Literatur: Rebellische Reispflückerinnen
Für Giorgia Meloni und ihre Gefolgsleute ist der antifaschistische Befreiungskampf bis heute der Lieblingsfeind geblieben. Auch in der Mitte der italienischen Gesellschaft dominieren Geschichtsfälschungen und Relativierungen. Wer sich ein realistisches Bild von der Resistenza machen will, ist aber nicht nur auf Sachbücher angewiesen. Der Rotpunktverlag hat jetzt einen Roman neu herausgegeben, der in italienischer Sprache schon 1984 erschien: Gino Vermicellis «Die unsichtbaren Dörfer». Der Originaltitel «Viva Babeuf!» verweist auf den revolutionären Frühsozialisten François Noël Babeuf (1760–1797) – ein Vorbild für Vermicelli und seine wichtigste Romanfigur, den kommunistischen Kommissar Simon, in dem unschwer das Alter Ego des Autors zu erkennen ist. Denn Vermicelli (1922–1998) war selbst Partisan. Das meiste von dem, was er über die Kämpfe zwischen März und Oktober 1944 erzählt, hat er in den Bergen und den Tälern westlich des Lago Maggiore miterlebt. Seine Held:innen sind bewaffnete Kämpfer:innen, überwiegend Männer, aber auch Frauen: rebellische Reispflückerinnen, die in die Berge flüchteten, Schmugglerinnen oder «staffette», die Kurierdienste leisteten.
Im Roman wechseln georgische Soldaten, die zuerst für die deutsche Besatzungsmacht gekämpft haben, die Seite. Auch die arme Landbevölkerung leistet ihren Beitrag zur Befreiung. Reiche dagegen spenden vor allem, um sich für die Nachkriegszeit Pluspunkte zu verschaffen. Bewaffnete Aktionen und schwere Gefechte mit italienischen Faschisten und deutschen Besatzungstruppen sind die Ausnahme: Partisan:innen müssen ständig den Ort wechseln – und ungeschriebene zehn Gebote befolgen. Das letzte lautet: «Dein Kommandant ist einer wie du. Wenn er einen Fehler macht, sag es ihm sofort!»
Neben sachliche Berichte stellt Vermicelli lebendige Dialoge. Sie sind Fiktion, aber genauso glaubwürdig wie die Einschübe, in denen er Denkweisen und Pläne der fanatischen deutschen Partisanenjäger nachvollzieht.
Gino Vermicelli: «Die unsichtbaren Dörfer». Roman. Aus dem Italienischen von Barbara Fahrni-Mascolo. Rotpunktverlag. Zürich 2022. 421 Seiten. 36 Franken.