Rüstungsindustrie: Ein Tiefseeforscher auf Abwegen
2017 gründet die Tessiner Firma Idrobotica einen Ableger im russischen Kaliningrad. Pikant dabei: Sie stellt Unterwasserroboter her, die auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Auf Nachfragen reagiert die Firma empfindlich. WOZ-Recherchen zeigen nun, wieso.
Guido Gay gilt als Koryphäe der Tiefseeforschung. Der italienische Ingenieur entwickelt seit über vierzig Jahren ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge. Seine Produkte sind an zahlreichen spektakulären Missionen beteiligt: der Bergung von Kriegsschiffen oder dem Identifizieren von archäologischen Stätten, aber auch an Minenräumungen im Meer, etwa nach dem Jugoslawienkrieg. 2012 erhielt Gay für seine Leistungen die silberne Verdienstmedaille der italienischen Marine.
Zusammen mit dieser entwickelt Gay im norditalienischen Lomazzo ab den achtziger Jahren Unterwasserroboter – und gründet die Firma Gaymarine. Zur selben Zeit baut er im Tessiner Dorf Balerna, nur zwanzig Autominuten von Lomazzo entfernt, ein weiteres Unternehmen auf: Idrobotica. Sowohl Gaymarine als auch Gays Schweizer Firma sind heute wichtige Zulieferer und strategische Partner zahlreicher Seestreitkräfte.
Gemeinsame Recherchen der WOZ und des Tessiner Fernsehens RSI zeigen nun, dass das Schweizer Unternehmen seine Geschäftsaktivitäten vor ein paar Jahren – weitgehend unbemerkt – nach Russland auszuweiten suchte. Wer einen Blick ins Produktportfolio wirft, merkt rasch, wie brisant das ist.
In Balerna produziert das Unternehmen unter anderem seine Pluto-Systeme, das wichtigste Produkt aus dem Hause Gay: ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug, das über ein Kommunikationskabel mit dem Mutterschiff verbunden ist, was eine Datenübermittlung in Echtzeit ermöglicht. Die neusten Modelle sind mit zahlreichen Videokameras ausgestattet und verfügen teils über einen mechanischen Arm für das Arbeiten an Objekten oder das Deponieren von Minen. Ebenfalls im Angebot: «Kamikazefahrzeuge», die sich unter Wasser gleich selbst sprengen.
Unternehmer sehen kein Problem
Die Recherchen zeigen: Guido Gay und sein Geschäftspartner Antonio Ruggeri haben 2017 in Kaliningrad die Firma Idrobaltica gegründet – zusammen mit dem lokalen Partner Sergei Zurkan. Die russische Exklave gilt als wichtiger Standort für Geheimdienstaktivitäten und militärische Geschäfte.
Im August 2021 berichteten die staatlichen russischen Nachrichtenagenturen RIA Nowosti und Tass über die St. Petersburger Militärmesse «Armee 2021» – und erwähnten dabei Idrobaltica. Bei Tass wird Zurkan sogar als Generaldirektor der Firma vorgestellt. Und was dieser in dem Bericht sagt, lässt aufhorchen: Idrobaltica arbeite eng mit der Sredne-Newski-Werft in St. Petersburg zusammen, wo Minenräumer und andere Kriegsschiffe für die russische Marine produziert werden.
Die Werft gehört zum Firmenimperium der vom russischen Staat kontrollierten United Shipbuilding Corporation (USC), die auch jene Kriegsschiffe herstellt, von denen aus in den vergangenen Monaten ukrainische Städte beschossen wurden. Am 25. März nahm das für die Schweizer Rüstungsexportkontrolle zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Werft auf die Sanktionsliste. Doch die Firma war schon vorher kein unbeschriebenes Blatt gewesen: Die USA hatten sie bereits 2014 sanktioniert.
Schon vor zwei Jahren wies ein Artikel auf einem russischen Militärblog auf die Geschäftsaktivitäten von Idrobotica in Kaliningrad hin. Die WOZ konfrontierte die Firma damals mit den Recherchen, nachdem ihr Name in den Rüstungsexportdaten aufgetaucht war, die wir jährlich im «Rüstungsreport» veröffentlichen* . Idrobotica wich aus, die Berichte seien «inkohärent», zahlreiche Nachfragen blieben unbeantwortet. Die neuen Erkenntnisse bestätigen nun den Verdacht.
Ein Problem sehen Gay und Ruggeri in ihrem Russland-Abenteuer nicht. Im Gespräch mit RSI verteidigen sie die Expansion gar: Ihre Geschäftstätigkeiten hätten vor der russischen Invasion in die Ukraine stattgefunden. Sie hätten ab 2017 – also drei Jahre nach der völkerrechtswidrigen russischen Annexion der ukrainischen Krimhalbinsel – versucht, ein Standbein in Russland aufzubauen, und dafür mit Zurkan zusammengearbeitet, der gute Kontakte zu Industrie und Behörden gehabt habe. Nur über einen solchen Mittelsmann sei es möglich gewesen, in Russland überhaupt ins Geschäft zu kommen.
Doch damit nicht genug: Um die benötigten Zulassungen zu erhalten, wurde sogar ein Pluto-Typ aus der Tessiner Produktion zu Testzwecken nach Russland geschickt. Im Dezember 2021 waren die Tests laut Gay und Ruggeri abgeschlossen, das Unterwasserfahrzeug sei in die Schweiz zurückgeführt worden. Einen Beweis für den Reexport bleibt Idrobotica schuldig.
Die versuchte Expansion hatte zum Ziel, Unterseeboote in Russland zu produzieren und diese ab Ende 2024 an die russische Marine zu liefern. Das wohl auch, weil ein direkter Export zu kompliziert gewesen wäre, wie die beiden Unternehmer gegenüber RSI durchblicken liessen. Dann kam die Invasion, die auch, wie Gay und Ruggeri sagen, die Geschäftspläne von Idrobaltica «in die Luft sprengte». Die beiden versichern, sie hätten in Russland weder Produkte verkauft noch produziert und seien daran, ihre russischen Unternehmensanteile zu verkaufen.
Umgehung von Sanktionen?
Wir legen unsere Erkenntnisse dem russischen Militärexperten Pavel Luzin vor, der mittlerweile in die USA geflüchtet ist. Laut seiner Einordnung ist es ohne Verbindungen zu Armee und Geheimdiensten unmöglich, an der Militärmesse teilzunehmen, und weder Tass noch RIA Nowosti würden so detailliert über eine Firma berichten, die keine guten Beziehungen zu den russischen Behörden hat. Luzin ergänzt, dass es nicht nur um Minenräumung gehe, sondern dass die Roboter auch Unterwasserobjekte identifizieren und zerstören könnten, zum Beispiel Unterwasserkabel oder -sensoren. Vor dem Hintergrund der Sabotage der Nordstream-Gaspipelines im letzten September ist diese Einschätzung besonders brisant – und zeugt von der potenziellen Tragweite solcher Geschäfte.
Wir fragen beim Seco nach, ob ein solches Vorgehen mit den geltenden Exportbestimmungen vereinbar sei. Auf einzelne Firmen geht das Seco nicht im Detail ein, führt jedoch aus, dass es seit der Krim-Annexion spezielle Bestimmungen für Rüstungsexporte nach Russland gebe – diese seien jedoch nur auf bestimmte Güterkategorien aus dem Dual-Use-Bereich anwendbar.
Jürgen Boehler vom Seco bestätigt auf Nachfrage allerdings, dass er Kenntnis von Idroboticas russischen Geschäften hat, die aber «durch die damals anwendbaren Anhänge zur Güterkontrollverordnung keinen Restriktionen nach dem Güterkontrollgesetz» unterlegen seien. Das Seco habe somit keine Möglichkeit gehabt, «diese zu unterbinden». Zu beurteilen, ob die Geschäfte angemessen seien, liege deshalb nicht in der Zuständigkeit des Seco. «Die Frage der Opportunität solcher Geschäfte musste das Unternehmen selber beantworten, von staatlicher Seite konnte aufgrund der damaligen Rechtslage kein Einfluss genommen werden», so Boehler.
Die versuchte Expansion von Idrobotica nach Russland verstiess gegen keine Gesetze. Sie rückt aber die im Rüstungsgeschäft völlig fehlende Unternehmensverantwortung in den Fokus: Gay und Ruggeri sahen 2021 kein Problem darin, die russische Marine mit ihren ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen zu beliefern, die auch zu Sabotagezwecken genutzt werden können.
Etliche weitere Schweizer Beispiele, etwa Werkzeugmaschinen oder Mikrochips für die Drohnenherstellung, zeigen, dass bis März 2022 munter Dual-Use-Güter – also sowohl militärisch wie auch zivil einsetzbare Produkte – an Mischkonzerne oder militärische Endabnehmer in Russland exportiert wurden. Besonders krass am Fall Idrobotica ist aber, wie und zu welchem Zeitpunkt die Unternehmer die Expansion aktiv suchten und dass es sich nicht bloss um Komponenten, sondern um ganze militärisch einsetzbare Produkte handelte. Und dass diese in Russland für die russische Marine produziert werden sollten.