Rüstungsreport 2025: Das blutige Vermächtnis der FDP

Nr. 38 –

Die russische Kriegsmaschinerie kann auch auf Schweizer Hightech zurückgreifen. Ermöglicht hat dies eine massgeblich von der FDP erwirkte Exportlockerung für Werkzeugmaschinen. Rekonstruktion eines folgenreichen Lobbyinglehrstücks.

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Illustration: zwei Personen in Appenzeller Tracht schieben eine Fertigungsmaschine vor den Mauern des Kreml

Die russischen Luftangriffe auf zivile Ziele in der Ukraine werden immer heftiger. Erst kürzlich wurden bei einer Angriffswelle mit über 800 Drohnen sowie Marschflugkörpern und Raketen mindestens vier Zivilist:innen getötet, darunter ein Kleinkind in der Hauptstadt Kyjiw. Die tödliche Angriffswut Russlands erreicht damit ein neues Ausmass.

Das ist die logische Folge davon, dass Wladimir Putin die Wirtschaft komplett auf den Krieg und die Rüstungsproduktion ausgerichtet hat. Die ist stark von ausländischer Technologie abhängig, speziell von Werkzeugmaschinen zur Fertigung von Einzelteilen. Eine Recherche der WOZ deckt nun auf, was für eine zentrale Rolle ausgerechnet die neutrale Schweiz in diesem Bereich spielte.

Über neunzig Maschinen

Dabei wandte die Schweiz nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 zunächst restriktive Exportbestimmungen an. Auslieferungsgesuche für Werkzeugmaschinen, die nicht nur zivil, sondern auch militärisch verwendet werden können (Dual Use), erhielten keine Bewilligung. Insbesondere nicht, wenn sie für russische Mischbetriebe bestimmt waren – Konglomerate, die sowohl militärische als auch zivile Güter herstellen. Man wollte eine möglichst grosse Distanz zum russischen Rüstungssektor wahren. Das änderte sich Anfang 2016. Nach einer Lobbyingkampagne aus der Industrie sorgten zwei FDP-Grössen für eine Lockerung beim Export von Dual-Use-Maschinen an russische Mischbetriebe: der damalige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann und die damalige Ständerätin Karin Keller-Sutter.

Aufgrund eines Einsichtsgesuchs nach Öffentlichkeitsrecht hat die WOZ einen Datensatz des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) erhalten, der erstmals das ganze Ausmass dieser Lockerung der Exportpraxis beziffert. Konkret geht es um über neunzig Bewilligungen im Zeitraum von Anfang 2016 bis Anfang März 2022 für ein Dutzend Schweizer Hersteller und Exporteure von Dual-Use-Werkzeugmaschinen. Der Wert dieser Lieferungen, die gemäss Seco auch tatsächlich erfolgt sind, dürfte bei über hundert Millionen Franken liegen. Die Summe lässt sich nicht exakt beziffern, ein Teil der Dokumente, die auf der WOZ-Website aufgeschaltet sind, ist geschwärzt.

Dank dieser Daten liegen nun die Namen der insgesamt zwanzig russischen Endabnehmer vor. Die «Mischbetriebe» entpuppen sich als grösstenteils zentrale Produktionsstätten der russischen Rüstungsindustrie. Das gilt etwa für den Kampfdrohnenproduzenten UWCA oder den Lastwagen- und Panzerfahrzeugbauer Kamaz. Gleich mehrere belieferte Betriebe gehören zur United Engine Corporation (UEC), die wiederum Teil der staatlichen Rostec-Holding ist – der Herzkammer der russischen Rüstungsindustrie. Die UEC fertigt Triebwerke für Kampfflugzeuge und -hubschrauber sowie Marschflugkörper oder Gasturbinen für Kampfschiffe. Die USA haben die UEC im Dezember 2015 sanktioniert. Die WOZ hat die Liste der Endabnehmer dem russischen Rüstungsexperten Pavel Luzin vorgelegt. Sein Fazit: «Jede dieser Firmen ist entweder in der Waffenproduktion oder in der Herstellung von Werkzeugmaschinen für den militärisch-industriellen Komplex Russlands tätig.»

Menschenrechte vs. Wettbewerb

Die Exportgeschichte beginnt im sankt-gallischen Rorschacherberg. Dort stellt die Starrag seit über 120 Jahren Werkzeugmaschinen her. Aus einer einfachen Werkstatt ist heute eine global tätige Unternehmensgruppe mit 2000 Mitarbeiter:innen und 500-Millionen-Franken-Umsatz geworden: die Starrag Tornos Group AG. Als die Schweiz nach der Annexion der Krim im März 2014 die Auslieferung von Dual-Use-Werkzeugmaschinen an russische Mischbetriebe unterband, stellte sich das für die Starrag als Problem heraus. Die Firma «spürt die Russlandflaute», titelte die «Finanz und Wirtschaft» im Juli 2014, das verringerte Auftragsvolumen liege im zweistelligen Millionenbereich.

Russland war damals über die Starrag hinaus ein wichtiger und wachsender Absatzmarkt für die Schweizer Werkzeugmaschinenbauer. Wenig überraschend griff im November 2015 – zwei Monate nach Russlands Kriegseintritt in Syrien – der mächtige Industrieverband Swissmem das Thema auf. Am «Seco-Exportkontrolltag» beklagte der Verband eine «Blockade» in Bezug auf Russland. Es seien bis zu fünfzig Gesuche mit «grösserem Geschäftsvolumen» hängig, das «Kriterium der Menschenrechte als überlagernder Taktgeber in der Exportkontrolle» behindere die Wettbewerbsfähigkeit.

Von da an ging es schnell. Am 10. Dezember schickte die Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren (VDK) einen Brief an den Bundesrat, der einen «pragmatischen Ansatz» beim Export von Dual-Use-Werkzeugmaschinen vorschlug. Der Brief landete offensichtlich auch bei der damaligen St. Galler FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter.

Keller-Sutter reichte am 16. Dezember 2015 jedenfalls eine Interpellation ein, mitunterzeichnet von zehn FDP-Ratskolleg:innen, mit Bezug auf den VDK-Brief sowie «betroffene Unternehmen im Kanton St. Gallen». Am Ende stellte Keller-Sutter darin die folgende Frage: «Ist der Bundesrat bereit, dem Seco entsprechend angepasste Praxis-Richtlinien zu geben, um den Export von nachweislich zivil genutzten Dual-Use-Gütern nach Russland wieder zu erlauben?»

Die Antwort des Bundesrats kam schnell: Im Januar 2016 bewilligte er die Ausfuhr von sechs Werkzeugmaschinenlieferungen an russische Mischbetriebe. Ein Dammbruch: Von da an gab das Seco die restriktive Exportkontrollpraxis auf, die Entscheidungskompetenz lag nun beim Bundesrat. Und dieser bewilligte entsprechende Gesuche grundsätzlich. Hauptverantwortlich für diese Änderung war der damalige FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann – der von 1999 bis 2010 Swissmem-Präsident gewesen war. Auch er begründete die Lockerung damit, es gehe um rein zivile Verwendungen. Das sah das Aussendepartement damals anders: Es habe «nicht garantiert werden können, dass die auszuführenden Werkzeugmaschinen nebst zivilen nicht auch für militärische Zwecke verwendet würden».

Das bestätigt auch der russische Militärexperte Pavel Luzin: «Es war und ist unmöglich, zu überprüfen und zu gewährleisten, dass die Werkzeugmaschinen nur zivil zum Einsatz kommen.» Endabnehmer seien allesamt militärisch-industrielle Fabriken, die schon lange und bekanntermassen in Lieferketten für die russische Rüstungsproduktion eingebunden seien. Für Luzin ist klar: «Schweizer Hersteller lieferten von 2016 bis 2022 fortschrittliche Werkzeugmaschinen für die russische Waffenproduktion.»

Kollektive Verantwortungslosigkeit

Die WOZ hat alle Schweizer Beteiligten mit den Folgen der damaligen Exportlockerung und der Liste der russischen Endabnehmer konfrontiert. Von Altbundesrat Schneider-Ammann kam bis Redaktionsschluss keine Rückmeldung. Hingegen schreibt der Pressesprecher der heutigen Finanzministerin Keller-Sutter, dass eine Interpellation lediglich Fragen stelle, «es lag damals keinerlei Entscheidungskompetenz vor». Auf die privatwirtschaftliche Verantwortung angesprochen, antwortet der Swissmem-Pressesprecher, einst persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Schneider-Ammann: «Die Politik beschliesst die Regeln, die Behörden sind für deren Umsetzung verantwortlich, die Firmen haben sich daran zu halten.» Diese hätten ihre Gesuche umfassend dokumentieren und den zivilen Charakter belegen müssen. Vorwürfe an Schweizer Unternehmen seien also völlig fehl am Platz und rufschädigend.

Von den Werkzeugmaschinenherstellern und -exporteuren – neben der Starrag Tornos Group, die ihre Exportbewilligungen übrigens schwärzen liess, sind das etwa GF Machining Solutions, die Mägerle AG Maschinenfabrik oder die mittlerweile liquidierte Galika AG – blieb bei über der Hälfte eine Rückmeldung aus. Der Rest, zu dem die Starrag Tornos Group gehört, antwortete je praktisch gleichlautend: Die Firma habe sich jederzeit an alle gesetzlichen Vorgaben und insbesondere an die Vorgaben des Seco gehalten. Verantwortung für die gravierenden Konsequenzen der vor zehn Jahren durchgesetzten Exportlockerung will niemand auch nur ansatzweise übernehmen.

Mitarbeit: Luca Obertüfer.

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