Kost und Logis: Das Lebendige im Plastik

Nr. 3 –

Bettina Dyttrich besucht das Schweizerische Agrarmuseum

Eine typische Schweizer Mittellandkreuzung: Kreisel, rundherum Wiesen, irgendwie ab vom Schuss und doch den ganzen Tag Verkehr. Burgrain liegt zwischen Willisau und Sursee, einst landwirtschaftliche Schule, heute Biohof, Beiz und Verarbeitungsbetrieb. Und Standort des Schweizerischen Agrarmuseums, das vor kurzem den Prix Expo der Akademie der Naturwissenschaften bekommen hat.

Agrarmuseum, das klingt nach einer kalten Scheune, vollgestopft mit landwirtschaftlichem Gerät, das niemand mehr versteht. So sah es auch in Burgrain aus. Bis das Museum neu konzipiert und 2021 wiedereröffnet wurde, in einem Neubau aus hellem Holz, zeitgenössisch, aber ohne seine Geschichte zu verleugnen: Ein Teil der alten Sammlung wurde in einen neuen Kontext gestellt, kombiniert mit Bildern des virtuosen Fotografen Ernst Brunner (1901–1979) – und was für Bilder das sind! Darum herum und im Kontrast dazu steht die neue Ausstellung «Wer ist Landwirtschaft?». Jede:r Besucher:in bekommt ein Tablet und kann sich damit in Filme und Hintergrundtexte vertiefen.

Mitkonzipiert wurde das neue Museum von Max Eichenberger, einem der Pionier:innen des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in Frick. Damit versteht sich von selbst, dass die Ausstellung kein Werbespot für die heutige Landwirtschaft ist, sondern viele kritische Fragen stellt. Aber dank einer durchdachten Szenografie wirkt das nie kopflastig – wenn 396 alte Apfelsorten den 4, die heute den Markt dominieren, gegenübergestellt werden, wenn man auf dem «Netz des Lebens» balancieren oder wortwörtlich im Boden versinken kann. Acht Videoporträts leiten durch die Ausstellung und sind verknüpft mit einer Umfrage über das eigene Konsumverhalten. Vom idyllischen Bioweinberg bis zum Hors-sol-Gemüsebetrieb ist alles dabei, da wird der Zusammenhang zwischen Schweinemast und Überdüngung klar, aber ohne die porträtierte Landwirtin an den Pranger zu stellen.

Die Station über Agrarpolitik bleibt zwar in Schlagworten stecken, und dem Thema Zukunft hätte etwas mehr Kontroverse gutgetan (wo bleibt der Hightechfan?). Doch was am meisten hängen bleibt, sind nicht Positionen, sondern Fragen. Was meint etwa der Chef des Gemüsebetriebs, wenn er vom «Lebendigen» schwärmt – dabei ist er umgeben von Förderbändern und Plastik? Fragen an die Gegenwart stellen auch die Geräte von früher, die zusammen mit Brunners Fotos eine Ahnung vom enormen praktischen Wissen der bäuerlichen Gesellschaft geben, etwa im Umgang mit Holz. Und die Ambivalenz der Kinder, die auf diesen Fotos überall mitarbeiten – manchmal stolz, oft erschöpft.

Es gibt viele Gründe, warum man sich diese Gesellschaft nicht zurückwünschen kann. Aber Achtung hat sie verdient, und daran erinnern Brunners Bilder. Sie konnte aus den Materialien der Umgebung viele Dinge transformieren, die sie im Alltag brauchte. Und sie war genauso komplex wie unsere.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.