Musik: Romantik im Strobolicht

Nr. 3 –

Was macht diese Musik mit dem Körper? Noémi Büchi komponiert Sounds, die unsere Wahrnehmung kitzeln. Und lässt auch Instrumente aus der klassischen Musik darin herumgeistern.

Portraitfoto von Noémi Büchi
Immer schon drin im konkreten Klang: Noémi Büchi.

«Bevor ich sterbe, will ich das noch veröffentlichen», sagt Noémi Büchi. «Aber es macht mich schon müde, wenn ich daran denke, wie viel Arbeit das noch ist.» Vor ihr auf dem Bartisch liegt das Objekt, das sie als Abschlussarbeit ihres Kompositionsstudiums an der Zürcher Hochschule der Künste eingereicht hat: ein Faltbuch aus einer sechs Meter langen Papierbahn, bedruckt mit einem Text, der in seiner verspielten Typografie an konkrete Poesie erinnert, manchmal an eine Partitur. Im Text nähert sie sich drei Drone-Stücken, eines aus dem 14. Jahrhundert, zwei aus der jüngeren Vergangenheit. Büchi ist fasziniert von den ausdehnenden Klängen, die sich Rhythmus und Harmonie zu entziehen scheinen: «Drone ist für mich kein Stil, sondern eine Technik. Diese ist an keinen kulturellen Kontext gebunden, man findet sie schon in der klassischen indischen Musik, aber auch in Gesängen im europäischen Mittelalter. Es geht darum, was diese Musik mit dem Körper macht.»

Vielleicht sind die Vibrationen, die Drones durch den Körper schicken, verwandt mit dem Schaudern des Horrors. Die beiden haben sich jedenfalls gut gefunden, kürzlich im Konzertlokal Schönegg Varieté in Zürich, wo Noémi Büchi zusammen mit dem Musiker Feldermelder den Stummfilm «Nosferatu» von 1922 vertonte. Mit dunklen, dichten Sounds erzeugten sie von Beginn an eine schier unerträgliche Spannung, die das Unheimliche in den Blick rückte, das jede scheinbar noch so harmlose Szene von Friedrich Murnaus Film durchzieht; als würde das Flimmern der Musik die diffuse Macht des Vampirs spürbar machen.

Schwelgen und flackern

Meistens klingt die elektronische Musik von Noémi Büchi opulenter, gleichzeitig brüchiger und zerrissener als reine Drone-Musik. Gut zu hören ist das jetzt auf ihrem Soloalbum «Matter». Immer wieder erinnern die Sounds darauf an Instrumente und Gesten aus der klassischen Musik: an wiegende oder zitternde Streicher, den scharfen Anschlag eines Cembalos, brummende oder heulende Bläser. Das Album beginnt mit einer schwelgerischen Streichermelodie, die das ganze erste Stück hindurch erkennbar bleibt und sich gleichzeitig verliert in einer anmutigen, aber auch verstörenden Maschinenorchestermusik. Die Melodie dehnt sich, zerfliesst, schwillt an zu einem Strom, wird unterbrochen und zerstückelt, bis sie nur noch hektisch flackert – Romantik mit Stroboskopeffekt.

Nachdem «Matter» erschienen war, habe sie sich selber auch die Frage gestellt, wie sie eigentlich komponiere, erzählt Büchi im Gespräch an jenem Bartisch. Eigentlich gehe sie immer gleich vor. Zuerst kreiert, sucht und sammelt sie neue Sounds, bevor sie diese in verschiedene Kategorien sortiert und auf dem Computer in entsprechenden Ordnern ablegt. Dann kommt das eigentliche Komponieren: Sie hört sich in die Soundwelt hinein, aus der ein Album entstehen soll, hört heraus, welche Sounds getrennt bleiben, welche sich verbinden wollen, wie sie sich in einen Ablauf fügen könnten. «Das macht elektronische Musik für mich aus: dass die Komposition und der Klang in demselben Moment entstehen, dass man immer schon im konkreten Klang drin ist.»

Ravel in Zeitlupe

Solche Soundwelten sind gut erkennbar, wenn man die verschiedenen Alben von Noémi Büchi hört, auch klare Ideen, die sie darin verfolgt. Auf «Reprise R» (2021) ging sie von Klavierstücken von Maurice Ravel aus, die sie bearbeitet und stark verlangsamt hat, «um die tiefe Traurigkeit darin hörbar zu machen». Die weich schimmernden Sounds wirken unmittelbar emotional, seltsam tröstlich. Die fili­­­granen Rhythmen auf ihrer ersten EP, «Matière» (2020), für die sie einen modularen Synthesizer und Field Recordings verwendete, wirken dagegen rastlos und verspielt. Feinste Variationen von Texturen und Sounds kitzeln die Wahrnehmung, als würde hier ein stark angeregtes Nervensystem vertont. Man kann da auch Humor heraushören, wenn auch keinen besonders heiteren.

Über weite Strecken klingt diese Musik geradezu konkret, nicht nur wegen der deutlichen Strukturen und Motive, derer sie sich immer wieder bedient, auch wegen der starken Assoziationen, die sie evoziert. So schnell man von dieser Musik auf dazu passende Bilder kommt, so zielstrebig versucht Büchi, sich darin von weltlichen Bezügen gerade zu lösen. Das Musikmachen vergleicht sie mit Meditation, spricht davon, wie sie in der Musik ihre Person hinter sich lasse: «Wenn ich ins Komponieren vertieft bin, denke ich an nichts anderes mehr als den Klang und was ich damit machen könnte. Für Bilder bleibt da keine Konzentration übrig. Vielleicht kommen mir später welche in den Sinn, aber fast schon auf forcierte Art und Weise. Die Musik nämlich steht für sich allein.»

So abgewandt und zeitlos die Techniken und Welten sind, nach denen Büchi in ihrer Musik sucht – derzeit beschäftigen sie eher weltliche Probleme: «Normalerweise bin ich sehr produktiv, ich könnte jeden Tag einen Song produzieren. Aber im Moment bin ich einfach erschöpft von den vielen Konzerten und Veröffentlichungen der letzten Zeit.» Ausserdem lebt sie gerade in einem Keller, um keine Miete bezahlen zu müssen, bis sie einen Brotjob gefunden hat. «Vielleicht ziehe ich mich für eine Weile in die Berge zurück, oder ich suche einen Verlag, der mein Drone-Buch veröffentlicht.»

Live: Düdingen, Bad Bonn, 10. Februar 2023 (zusammen mit Feldermelder).

CD-Cover «Matter» von Noémi Büchi

Noémi Büchi: «Matter». -OUS Records. 2022.