Rechtsliberale Experimente: Der Klub der rechten Apostel
Zwei Chefberater von Donald Trump haben in Zug einen Thinktank für «globale Freiheit» ins Leben gerufen. Am Gründungsanlass sprach der Schweizer US-Botschafter über die «woke Inquisition».
«Dies ist keine Cocktailparty, heute Abend beginnt die Arbeit», beschwört Scott W. Atlas das Publikum im grossen Saal des Zürcher Restaurants Metropol. Unter Donald Trump war Atlas Chef der Pandemietaskforce; letzten Frühling reiste der Radiologe in die Limmatstadt, um seinen Schweizer Thinktank einzuweihen: das Global Liberty Institute. Atlas sieht seine Freiheit von der «cancel culture» bedroht, seit er von fast hundert Professor:innen öffentlich für seine Coronaverharmlosung kritisiert wurde.
Joshua Rauh, ehemals Trumps leitender Ökonomieberater und der zweite Mitgründer des Thinktanks, umreisst im «Metropol» die grosse Erzählung der Initiative, wie Aufzeichnungen der Veranstaltung zeigen: Nach dem Finanzcrash von 2008 hätten Staatsausgaben wie Befugnisse von Regierungen zugenommen – um in der Pandemie schliesslich gänzlich aus dem Ruder zu laufen. In einem «Great Reset» würden die Machtansprüche des Staates von Eliten aus der Kaderschmiede des World Economic Forum (Wef) forciert. Zugleich etabliere die OECD ein «Steuerkartell», während der Internationale Währungsfonds auf höhere Staatsausgaben dränge, so Rauh vor den rund 150 Besucher:innen der Gründungsveranstaltung.
Schreckgespenst des Sozialismus
Der «Great Reset» – eine Kriseninitiative des Wef – ist längst Bestandteil internationaler Verschwörungsmythen: Die Pandemie sei von einer globalen Elite inszeniert worden, um in einer neuen Weltordnung noch mehr politische und ökonomische Macht zu erringen. Ganz so weit geht das Leitpapier des Global Liberty Institute nicht, aber auch dort wird das Schreckgespenst des Sozialismus heraufbeschworen: Unter Notstandsgesetzen habe der Staat grosse Teile der Privatwirtschaft übernommen, die Macht wolle er auch nach der Krise nicht abgeben.
Die Erzählung liegt ganz auf der Linie der Hoover Institution, an der Atlas und Rauh forschen. Der einflussreiche konservative Thinktank an der kalifornischen Stanford-Universität wurde 1919 vom künftigen US-Präsidenten Herbert Hoover gegründet. Sein Zweck: «Schutz des American Way of Life». Dazu gehörte insbesondere der «Kampf gegen den Sozialismus», der nach dem Kalten Krieg etwas in den Hintergrund treten sollte. Finanziert wird die Denkfabrik von rechtsradikalen und libertären Milliardären, aber auch von der Erdöl- und Chemieindustrie.
Arbeit an einer künftigen Elite
In Zürich erklärte Joshua Rauh in libertärem Pathos, man wolle eine internationale Organisation etablieren, die für freie Märkte und freie Menschen stehe. Das Global Liberty Institute soll auch die nächste Generation der privaten und staatlichen Führungselite ausbilden, sagte das Gründungsduo Ende November in der verschwörungsaffinen Sendung «The Next Revolution» auf dem rechten US-Sender Fox News. Im Februar sollen in einem Nobelhotel in Florida die ersten «rising leaders» geschult werden, um längerfristig «individuelle und wirtschaftliche Freiheiten» wiederherzustellen. Im November soll dann Zürich mit einem ähnlichen Ausbildungsevent beehrt werden. Das Vorgehen gleicht einer erfolgreichen Strategie der Hoover Institution, die für den neoliberalen Umbau unter Ronald Reagan in den achtziger Jahren rund dreissig Mitarbeiter:innen stellte.
Scott W. Atlas sieht die Schweiz mit ihrem ausgeprägten Privatsektor und der begrenzten Macht der Zentralregierung als Schlüsselpartnerin einer internationalen Allianz gegen die «Unfreiheit», wie er am Gründungsanlass erklärte. In Zug und Washington haben die beiden Leiter des Global Liberty Institute zusammen mit dem Gründer der Investmentfirma Riverwood Capital eine steuerbefreite Stiftung eintragen lassen. Man habe die Innerschweizer Kleinstadt gewählt, weil sie ein Zentrum für Business und Technologie sei, schreibt Rauh auf Anfrage. Die Gründung übernahm das Treuhandunternehmen Fidura, das zum Businessreich des kürzlich verstorbenen Hans Durrer gehört. Dieser hatte in den neunziger Jahren die SVP der Stadt Zug aufgebaut.
Atlas und Rauh haben prominente Unterstützung mobilisiert. Im «Metropol» sorgte beispielsweise der Schweizer US-Botschafter Jacques Pitteloud für einen offiziellen Anstrich. In einer Videobotschaft schnitt der ehemalige Geheimdienstkoordinator des Bundes die Bedrohung durch totalitäre Regimes an, stellte aber die Gefahr aus dem Inneren ins Zentrum. Zum ersten Mal seit der letzten Hexenjagd würden in den USA wieder Bücher verbrannt – von rechten wie linken Extremist:innen. QAnon, aber auch die «woke Inquisition» gehörten auf den Misthaufen der Geschichte, erklärte Pitteloud, schliesslich würden «bedeutungslose Diskussionen über Transgenderklos» die mächtigste Demokratie der Welt zersetzen, während diese auf eine Konfrontation mit dem Totalitarismus zusteuere. Die Fahndung nach «woken» Vergehen wirkt als Kitt zwischen Konservativen und radikalen Rechten.
Wie aber kommt der Schweizer Botschafter an die Konferenz und zu seinem Thema? Auf Anfrage heisst es aus dem Aussendepartement lediglich: Pitteloud sei eingeladen worden, es gehöre zu den Aufgaben des Botschafters, über Themen wie Demokratie, Dialog oder die Suche nach Konsens zu sprechen. Die genannten Beispiele würden die persönliche Meinung von Pitteloud widerspiegeln.
Welchen Dialog das Global Liberty Institute anstrebt, zeigt die Besetzung eines der Podien am Abend im «Metropol». Dort sass der rechtsliberale Financier Konrad Hummler neben dem Ökonomen Reiner Eichenberger, der in den Medien gerne SVP-Terrain bespielt. Der Freiburger Wirtschaftsprofessor ist Mitglied des zwölfköpfigen Expert:innengremiums des Global Liberty Institute. Der ansonsten kamerafreudige Eichenberger antwortet auf eine Anfrage mit allgemeinen Ausführungen zur Wichtigkeit unabhängiger liberaler Institute und verweist an Rauh. Dieser nennt den Ökonomen einen «perfekten Treffer».
Glaubt man Rauhs grossen Ankündigungen, so soll rund um das Global Liberty Institute ein Netzwerk entstehen, das «für die nächste Krise bereitsteht». An einem zweiten Anlass im Casino Zug war im Oktober laut Programm neben Atomkraftlobbyistin Irene Aegerter auch der Zuger SVP-Regierungsrat Heinz Tännler auf der Bühne anzutreffen.
Zweiter Fuss in der Schweiz
Allerdings scheint die Initiative hierzulande nicht auf besonders fruchtbaren Boden zu fallen. Er sei bereits 2021 für eine Mitarbeit angefragt worden, sagt Konrad Hummler, aufgrund seiner zahlreichen Engagements habe er abgelehnt und stattdessen am ersten Podium teilgenommen. Derzeit beobachte er die Entwicklung der Organisation. Eine Zersplitterung «freiheitlicher Thinktanks» sei nicht zielführend, so Hummler. Weitere Mitarbeitende konnte das Institut in der Schweiz bisher nicht gewinnen, neben Eichenberger seien keine Personen verpflichtet worden, sagt Rauh. Auch für die hierzulande geplanten Anlässe zu «Woke Corporatism» und «Defending the Free World» habe man bislang noch keine Referent:innen engagiert.
Von der Strahlkraft der Hoover Institution, die in einem fünfzehnstöckigen Turm die Eliteuniversität Stanford überragt, ist man also weit entfernt. Der konservative Thinktank aus Kalifornien hat aber bereits einen zweiten Fuss in der Schweiz. Der britische Historiker Niall Ferguson, der ebenfalls in Stanford forscht und nun auch im Zuger Institut als Experte fungiert, wurde letztes Jahr als Beirat ans Institut für Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern geholt. Dieses wurde mithilfe der Gelder zweier steuerscheuer Innerschweizer Milliardäre gegründet (siehe WOZ Nrn. 51 + 52/21). Am IWP sprach im Herbst auch Ayaan Hirsi Ali, natürlich über «Wokeismus». Die Hoover-Forscherin ist nun ebenfalls im Expert:innenrat des Global Liberty Institute vertreten. Eine Zusammenarbeit mit dem IWP gebe es aber nicht, versichert Rauh. Es handle sich bei seinem Institut um eine private Initiative.