Finanzpolitik: Schalteggers Ideologie­maschine

Nr. 35 –

Demnächst präsentiert der Bundesrat seine Sparvorschläge. Mitgeprägt hat sie Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger. Wie ihm Milliardäre helfen, seine neoliberale Agenda in Medien und Politik zu verbreiten.

Illustration von Marcel Bamert: das IWP als Maschine dargestellt

Für den Posten empfohlen hatte er sich schon früh. Ein «sehr wichtiger Schritt» sei die Ankündigung, die Ausgaben des Bundes prüfen zu wollen. So lobte Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger Finanzministerin Karin Keller-Sutter Anfang Jahr in der NZZ. Man müsse lernen, Prioritäten im Budget zu setzen, sagte er. «Und das heisst eben auch: zu sparen.»

Wenige Wochen nach der Publikation des Interviews präsentierte Keller-Sutter ein fünfköpfiges Expert:innengremium zur «Bereinigung» des Bundeshaushalts. Mit dabei in der Gruppe, die vom ehemaligen Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Serge Gaillard, geleitet wird: Christoph Schaltegger. Dieser sei, schreibt das Finanzdepartement EFD auf Anfrage, als «Vertreter der Wissenschaft und ehemaliger Mitarbeiter des Bundes» berufen worden. Klingt ganz sachlich und ausgewogen.

Doch Schaltegger ist nicht einfach nur Wirtschaftsprofessor. Mit seinem vor vier Jahren gegründeten Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) hat sich der 52-Jährige vielmehr eine gut geölte Maschine geschaffen, um seine ideologischen Überzeugungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Anbindung an die Universität Luzern verleiht dem IWP den Nimbus wissenschaftlicher wie politischer Unabhängigkeit. Finanziert wird es allerdings von einer privaten Stiftung, deren Spender:innen weitgehend anonym sind. Die Causa Schaltegger offenbart, wie hochpotente Geldgeber:innen in der Schweiz die öffentliche Meinung zu beeinflussen wissen. Es geht um Hergiswiler Milliardäre, um Medien, die sich der Wirtschaftselite andienen, um die Käuflichkeit von Wissenschaft.

I. Unbeirrt unterwegs

Die politische Verve, mit der Schaltegger seine sparpolitische Ideologie vertritt, lässt sich weit zurückverfolgen. Die erste Spur, die er in der Schweizer Mediendatenbank hinterlässt, ist ein wütender Leserbrief aus dem Jahr 1995. Schaltegger empört sich über eine Kritik am Weissbuch «Mut zum Aufbruch», mit dem Vertreter der Wirtschaftselite die Schweiz auf einen neoliberalen Kurs trimmen wollen: Geht es nach den Autoren – allesamt Männer –, sind Service public und Sozialstaat nicht mehr zeitgemäss, lieber sollen Bundesbetriebe privatisiert und die AHV weitgehend durch die private Vorsorge ersetzt werden.

Schaltegger politisiert auch heute noch auf der Linie des Weissbuchs: Den Staat betrachtet er als aufgeblasen und ineffizient. Hinter dem Narrativ steht dabei weniger die Absicht, vernünftiges Haushalten anzumahnen – sondern die Rechnung, dass sich in der Privatwirtschaft mehr Gewinne erzielen lassen, wenn sich der Staat zurückzieht. Es ist jener neofeudale Blick auf die Welt, dessen fatale Auswirkungen sich in der Finanzkrise 2008 manifestierten und der inzwischen selbst vom Internationalen Währungsfonds kritisiert wird.

Doch Schaltegger lässt sich auf seinem Karriereweg nicht beirren. Und dieser führt ihn zuerst nicht in die Privatwirtschaft – sondern ausgerechnet zum Staat. Nach seiner Promotion in Basel (Thema: «Fiskalinstitutionen im Schweizer Föderalismus») arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Eidgenössischen Steuerverwaltung und anschliessend als Referent des freisinnigen Finanzministers und glühenden Bankgeheimnisverteidigers Hans-Rudolf Merz.

Nach nur einem Jahr bei Merz wechselt Schaltegger zunächst zum Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, 2010 wird er dann nach Luzern berufen, an den neu gegründeten Lehrstuhl für Politische Ökonomie. Einfach zu besetzen ist diese Professur nicht. Die kleinste und jüngste Universität des Landes hat keine Wirtschaftsfakultät, geniesst in dem Bereich kein Renommee. Entsprechend erleichtert zeigt sich der damalige Rektor gegenüber den Medien, dass die Berufung klappt.

Und Schaltegger? Für dessen grosse Ideen ist Luzern gerade klein genug.

Die Uni Luzern ist nicht nur klein, sie ist auch chronisch unterfinanziert. Um wachsen zu können, soll eine neue Fakultät her. In welche Richtung es gehen soll, ist zunächst offen: Im Raum stehen die Gründung einer Psychologie- und einer Wirtschaftsfakultät. Schaltegger ist der Kopf einer Strategiegruppe, die Letztere ins Leben rufen soll. Die Idee ist heftig umstritten, Zankapfel sind die Finanzierbarkeit und die Konkurrenz zur Hochschule Luzern, die bereits einen Wirtschaftsstudiengang anbietet.

Die SP Luzern sammelt Unterschriften für ein Referendum: Sie bezweifelt die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Forschung, wenn das Geld für die Fakultät von Privaten kommen muss, wie es an der Universität Luzern mangels ausreichender öffentlicher Gelder der Fall ist. Lokale Industrieunternehmen sichern ihre Unterstützung zu. Schalteggers Plan geht auf, 2016 startet der erste Jahrgang an der Luzerner Wirtschaftsfakultät. Heute sind acht Professoren dort beschäftigt, darunter keine einzige Frau. Auch das ist eine der vielen Kontinuitäten in Schalteggers Berufsleben: Wo er wirkt, sind Frauen rar, Männerseilschaften stark.

Wie stark, zeigt die Gründung des IWP. Der damalige Rektor und einstige Brigadier Bruno Staffelbach stellt sich vorbehaltlos hinter das Vorhaben. Schalteggers Sparringpartner beim neuen Institut wird René Scheu. Einst vom St. Galler Privatbanker Konrad Hummler zum Mitherausgeber der «Schweizer Monatshefte» gemacht, trimmt Scheu später das Feuilleton der NZZ auf rechten Kulturkampf.

In einem pathetischen Text für die «Weltwoche» beschreibt Scheu die Gründung des IWP: «Das war Christophs Idee.» Alles habe mit einem Konzept für ein sogenanntes An-Institut begonnen. Der Begriff ist vor allem in Deutschland gebräuchlich, wo darunter rechtlich selbstständige Einrichtungen verstanden werden, die mit Hochschulen organisatorisch, personell und räumlich verflochten sind. Scheu schreibt, das neue Institut würde akademische Freiheit und Expertise mit gesellschaftlicher Relevanz verbinden, «quasi unabhängige Forschung und Vermittlung». Er schwärmt von «wirtschaftspolitischen Inhalten aus einer Hand, für alle verständlich». Die Themen: Altersvorsorge, Aufstiegschancen, Arm und Reich. Der Slogan «IWP – Wirtschaftspolitik für alle» sei ihnen bei einem «nächtlichen Zoom-Meeting» eingefallen, «als wir uns gegen die Müdigkeit aufbäumten».

Scheu und Schaltegger: Das Duo profitiert auch von seinen Unterschieden. Wo Schaltegger eine spröde Nüchternheit an den Tag legt, gibt Scheu den ungestümen Thesenschleuderer.

II. Im Maschinenraum

Wie jede Businessidee braucht auch das IWP eine Finanzierung. Aber Männerseilschaften wären keine solchen, würden sie nicht zu grossen Tresoren führen. Scheu und Schaltegger werden beim Liftmagnaten Alfred Schindler in Hergiswil NW (geschätztes Familienvermögen: zehn bis elf Milliarden Franken) fündig. Schindler drohte auch schon mit dem Wegzug aus der Schweiz, sollte er mehr Steuern bezahlen müssen. Aber Geld kann man dem Fiskus schliesslich auch entziehen, indem man es in Stiftungen steckt.

Mit Schindlers Geld gründet man mit dem Stiftungsrechtler Thomas Sprecher – der einst die Erbschaftssteuer als «de facto Enteignung» bezeichnete – die «Stiftung für Schweizer Wirtschaftspolitik». Sie hat einen «gemeinnützigen Charakter» und ist damit steuerbefreit. Stiftungsrät:innen werden neben Schindler und Sprecher der Unternehmer Michael Pieper (Vermögen: 4,7 Milliarden Franken, ebenfalls Hergiswil), die Zahnarztkettenbesitzerin Sara Hürlimann und die Professorin Andrea Opel. Die Truppe beschwört bei einem Treffen auf dem Bürgenstock – in Scheus Worten – «den Zentralschweizer Gründergeist». «Nun galt die ganze Aufmerksamkeit dem Maschinenraum, dem Ort der Produktion», schreibt Scheu.

Und so also funktioniert die IWP-Maschinerie: Man kassiert vom Kanton erst ein Professorengehalt. Dann erhält man eine Wirtschaftsfakultät. Man sitzt in behördlichen Gremien und Expertenkommissionen. Man ruft zur Kürzung öffentlicher Gelder auf. Man gründet ein stiftungsfinanziertes Privatinstitut mit einem rechten Journalisten als Geschäftsführer. Und damit macht man nun einfach alles: Studien, neoliberale bis libertäre Propaganda, Journalismuspreise, Bildungsinhalte für Gymnasien – mal als Uniprofessor, mal als Institutsdirektor, tant pis.

Der Kooperationsvertrag, den das IWP mit der Uni Luzern abgeschlossen hat, verpflichtet es nicht zu Transparenz – was sonst in der Wissenschaft Usus ist. Ist das, was das IWP tut, deshalb noch unabhängige Forschung, wie es behauptet? Als Trägerin weist das Institut stets nur die Stiftung für Schweizer Wirtschaftspolitik aus, nicht die finanziellen Quellen. Auch das zeigt die Causa Schaltegger: Das Kerngeschäft des Schweizer Stiftungswesens ist das Geheimnis um Geld.

Wie viel Geld in der Stiftung ist? Fragen dazu hat Schaltegger (Wohnsitz: die Zürcher Tiefsteuergemeinde Erlenbach) nie beantwortet. Einzig in einem NZZ-Interview vor der IWP-Gründung sprach er von «zwei bis drei Millionen Franken jährlich», die dem Institut zur Verfügung stehen würden.

Schon früh regt sich Widerstand gegen das Konstrukt. Die Luzerner SP fordert, das IWP ans universitäre Transparenzgebot zu binden – beisst im konservativen Kantonsparlament allerdings auf Granit. «Die Regierung hat dem IWP immer den Rücken freigehalten», sagt etwa der sozialdemokratische Kantonsrat Urban Sager. Der parteilose ehemalige Bildungsdirektor Marcel Schwerzmann wischte die Kritik im Parlament einst mit der Empfehlung vom Tisch, man solle doch mal den Newsletter des Instituts abonnieren und sich selbst eine Meinung bilden.

Auch gegenüber der WOZ schafft das IWP keine Transparenz: Nachdem sich Direktor Schaltegger ein Gespräch bis zum Erscheinen des Expert:innenberichts zum Bundeshaushalt ablehnt, schaltet sich nach der Zusendung eines ausführlichen Fragenkatalogs Geschäftsführer Scheu ein – und schlägt ein Interview mit ihm und, nun doch, Schaltegger vor, «wenn Sie an wahrheitsgetreuen Antworten ernsthaft interessiert sind». Die WOZ müsse das Gespräch jedoch «eins zu eins» als Interview abdrucken.

Stellungnahmen zu Vorwürfen und Kritik sind nach den berufsethischen Regeln in Medienberichten fair wiederzugeben – formale Vorgaben zur Umsetzung dürfen sich Medien aber nicht von aussen diktieren lassen. Als sich die WOZ die Bedingungen nicht vorschreiben lässt und an der ursprünglichen Gesprächsanfrage festhält, reagiert Scheu pikiert: «Wir verzichten.»

III. Meinen, meinen, meinen

Wenn sie selbst nicht infrage gestellt werden, äussern sich die IWP-Vertreter:innen in den Schweizer Medien noch so gerne. Mehr noch: Sie liefern einer notorisch kaputt gesparten Branche den sogenannten Content. IWP-Vertreter:innen fungieren auf den Wirtschaftsseiten und in den Feuilletons des Landes regelmässig als Expert:innen – allen voran Schaltegger selbst, der seine Überzeugungen gern in grossen Interviews mit der Selbstzuschreibung «nüchterne Betrachtung» verziert. Die Unschärfe des Begriffs «An-Institut» kommt den IWP-Leuten gelegen: Mit dem Anstrich wissenschaftlicher Unabhängigkeit publizieren sie auch Meinungsbeiträge und Kolumnen in diversen Medien – vom «Blick» (Scheu) über CH Media (Scheu) bis zur «NZZ am Sonntag» (Melanie Häner). Von «intoleranten Linken» und dem «ausufernden Staat» ist da etwa die Rede und von der grossen Steuerlast der Reichen («Kann es da verwundern, dass manche überlegen, wie sie sich der Fiskalokratie entziehen können?»).

Die Maschine IWP spielt auch, wenn Medien Studien übernehmen: Als An-Institut ist es nicht an den «Scientific Conduct» gebunden, der Universitäten zu guter wissenschaftlicher Praxis verpflichtet. So sind zahlreiche Publikationen zwar nicht einer «peer review» unterzogen, also durch unabhängige Forschende des gleichen Fachgebiets nach wissenschaftlichen Standards begutachtet; durch die Anbindung an die Uni kommen sie dennoch als seriöse Studien daher. Das hat dem IWP in der Vergangenheit Kritik von Fachkolleg:innen eingebracht. Wie steht es tatsächlich um die Behauptung auf der Website, man sei eine «verlässliche, faktenbasierte Stimme in den aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussionen»?

«Gewisse Beiträge aus dem IWP enthalten mehr Meinung als Wissenschaft», kritisiert etwa der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart. Er habe nichts dagegen, wenn sich universitäre Forscher:innen auch mit populärwissenschaftlichen Publikationen und Meinungsbeiträgen zu Wort meldeten. Auch für politisch ausgerichtete Denkfabriken hat Brülhart viel übrig. Avenir Suisse etwa deklariere aber seine Geldgeber. «Und sie tun nicht so, als wären sie ein komplett unvoreingenommenes akademisches Forschungsinstitut.»

In seiner Kritik bezieht sich Brülhart in erster Linie auf den sogenannten Subventionsreport vom Mai 2023, in dem IWP-Ökonomen staatliche Subventionen mit einem Ampelsystem in «volkswirtschaftlich schädliche, neutrale und nützliche» Subventionen einteilten. «Da gaben drei Fachkollegen ihre subjektiven Einschätzungen ab, punktuell gestützt auf ausgewählte Forschungsliteratur. Als Meinungsbeitrag ist das durchaus interessant, es ist aber keine Wissenschaft», sagt der Professor.

Der Report erscheint wohl nicht zufällig zur Abstimmung über das Klimaschutzgesetz, das Subventionen etwa für die Heizungsumstellung vorsieht. Vor dem Urnengang titelt die NZZ: «Der Bund verteilt 7 Milliarden Franken an schädlichen Subventionen – vor allem für Landwirtschaft und Klimaschutz». Wenn mediale Abstimmungskampagnen auf eine vermeintlich wissenschaftliche Studie gestützt geführt würden, werde die Problematik des Konstrukts IWP offensichtlich, sagt Brülhart.

Der Draht zur NZZ ist ohnehin besonders gut: Das IWP dient zugewandten Journalist:innen dazu, ihre Beiträge mit «Fakten» zu unterlegen – und erhält dafür wiederum selbst Publizität. Zum zwanzigjährigen Bestehen der Schuldenbremse veröffentlicht das Blatt gemeinsam mit IWP und dem Freiburger Walter-Eucken-Institut eine Verlagsbeilage mit «globalen Erkenntnissen für die Zukunft», so der Untertitel. An der von den beiden Denkfabriken mitfinanzierten Lobpreisung des Fiskalinstruments schreibt neben Institutsvertreter:innen auch NZZ-Chefökonom Peter A. Fischer mit. Verlagsbeilagen werden von der Abteilung NZZ Content Creation betreut, kommen jedoch gestalterisch wie der redaktionelle Teil daher. Fischer schreibt auf Anfrage, er halte dies alles nicht für problematisch. Die Beiträge stammten alle von renommierten Ökonom:innen. Die Zusammenarbeit mit dem IWP sehe er «als Erfolg, den wir wiederholen wollen».

Eine weitere IWP-Freundin bei der NZZ ist die libertäre Kulturkämpferin Katharina Fontana. Sie führte das eingangs erwähnte Interview mit Schaltegger und erhielt für ihre «detektivische Entlarvung der Mär von der Lohnungleichheit» (Laudatio) den IWP-Preis für «exzellenten Wirtschaftsjournalismus» (siehe WOZ Nr. 29/24). Der Eindruck von Befangenheit und Kumpanei wird dadurch noch verstärkt, dass Fontana wenig später auch noch den mit 100 000 Franken dotierten Preis der «Bonny Stiftung für die Freiheit» erhielt, die gemäss ihrer Website wiederum das IWP unterstützt. Wie genau? Auf die Frage gibt es auch hier keine Antwort.

Das IWP verbreitet seine Botschaften nicht nur in den Medien, sondern produziert auch Lernvideos für Schulen, ein Pilotprojekt lief an der Kantonsschule Zug. Und auch im öffentlichen Raum markiert das IWP Präsenz: Letztes Jahr plakatierte es eine Kampagne namens «Fakten statt Meinungen» an Deutschschweizer Bahnhöfen, Haltestellen und Hauptstrassen. «2019 bezahlten die Top 1 Prozent Verdiener 24,6 Prozent des gesamten Steueraufkommens», stand da etwa. Oder: «Der Bund zahlt im Schnitt 12 Prozent mehr Lohn als die Privatwirtschaft.»

Zahlen ohne Kontext, dafür mit unmissverständlicher Schlagseite: Die Kampagne ist das Gegenteil nüchterner Erkenntnisproduktion, der sich die Wissenschaft verschreibt.

IV. Der perfekte Kronzeuge

Von der Uni über das IWP in die Medien und in die Politik, von der Politik wieder in die Medien: Die IWP-Maschine ist ein Perpetuum mobile. Schaltegger tritt auf, wo man ihn braucht, und liefert die Zahlen, die zur Untermauerung politischer Entscheide benötigt werden.

Mit der «Krisenresistenz der Schuldenbremse» befassten sich so auch die Finanzkommissionen von National- und Ständerat Anfang Juli in ihrem Seminar im thurgauischen Warth-Weiningen. Schaltegger war einer von vier Referent:innen. SP-Präsident Cédric Wermuth, der als Kommissionsmitglied den Ausführungen lauschen durfte, sagt: Als einer der «letzten Mohikaner» unter den Ökonom:innen vertrete Schaltegger noch immer die reine Lehre des Neoliberalismus. Fürs Festhalten an der helvetischen Ausprägung der Schuldenbremse habe er keine stichhaltige ökonomische Begründung geliefert. Diese hat zu einer rekordtiefen Verschuldung geführt. Statt bei den Ausgaben zu kürzen, so Wermuth, würde die Schweiz besser mehr Schulden aufnehmen.

«Die Schuldenbremse erlaubt vermögenden Kreisen und den Unternehmen relativ einfach den schrittweisen Rückzug aus der gesellschaftlichen Solidarität, versteckt hinter einem Schleier der moralisch-ökonomischen Erhabenheit», schreibt die SP in einem aktuellen Positionspapier. Wermuth sieht Schalteggers Handeln denn auch als «panischen Versuch, gegen die Realität anzukämpfen». Die Realität, wie Schaltegger sie sich wünscht: ein höheres Renteneintrittsalter, noch tiefere Steuern für Reiche, ein noch weiter zurückgestutzter Sozialstaat. Der perfekte wissenschaftliche Kronzeuge bürgerlicher Politik.

Nicht nur in den parlamentarischen Kommissionen ist Schaltegger gern gesehen, sondern auch bei den rechten Parteien. Anfang Jahr trat er bei der traditionellen Bad-Horn-Tagung der SVP auf. Titel: «Stoppt den Staat – er ist zu links und zu teuer». Schalteggers Votum fiel wenig überraschend aus: «Intelligentes Sparen ist ausgabenorientiert», zitiert ihn die Medienmitteilung. Auch wo er sparen würde, gab Schaltegger – diesmal einzig als IWP-Chef aufgeführt – zu Protokoll: «Ein Beamter erhält einen Monatslohn mehr als ein Angestellter in der Privatwirtschaft, der diese Luxuslöhne mit seinen Steuergeldern noch zwangsfinanzieren muss.» Wenige Tage später eröffnete der Ökonom – hier wieder als Uniprofessor – die Winterkonferenz des Gewerbeverbands im bündnerischen Klosters. Im Herbst wird er in Basel am «Tag der Wirtschaft» erwartet, mit Karin Keller-Sutter und Katharina Fontana. Zuerst aber wird er mit der Expert:innengruppe noch die Sparvorschläge an die Finanzministerin überreichen. Dem Vernehmen nach werden sie in der kommenden Woche in einer Bundesratsklausur diskutiert.

Auch Keller-Sutter ist eine ideologische Überzeugungstäterin: Die Schuldenbremse bezeichnete sie einmal als «gute Freundin» – «so einfach wie genial». Wie eng ist der Austausch zwischen Keller-Suter und Schaltegger? Die WOZ hat per Gesuch nach dem Öffentlichkeitsgesetz um Einblick in die Korrespondenz zwischen Keller-Sutters Departement und Schaltegger ersucht. Doch auch hier tut das IWP alles gegen Transparenz. Gemäss dem Finanzdepartement habe das Institut «totalen Widerstand» gegen die Herausgabe der Dokumente geleistet, weshalb das Gesuch derzeit beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten hängig ist.

Dass sich Keller-Sutter und Schaltegger gut verstehen, zeigte sich letzten November beim IWP. Die Bundesrätin kam gemeinsam mit ihrem deutschen Amtskollegen und Parteifreund Christian Lindner nach Luzern. Vor 900 Zuhörer:innen priesen die beiden auch dort die Vorzüge der Schuldenbremse. Frei nach dem Motto: Wiederholt man etwas nur oft genug, wird es irgendwann wahr.

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