Auf allen Kanälen: Zornes Stimme
Ein gefeiertes Buch über die AfD entstand unter Mithilfe eines AfD-Politikers. Aufgefallen ist das erst durch eine groteske Bissattacke.
Besucht eine Soziologieprofessorin mit ihrem Partner, einem AfD-Lokalpolitiker, eine Bar in Berlin-Mitte. Vor Ort beleidigt der Politiker eine Musikjournalistin mit dem N-Wort, attackiert sie körperlich und beisst sie zum Schluss gar in den Arm. Es gibt ein Gerichtsverfahren gegen den Mann, im Zuge dessen der Öffentlichkeit gerade unsanft klar wird, dass die Professorin 2019 ein gefeiertes Buch veröffentlicht hat, in dem sie den Aufstieg der deutschen Partei Alternative für Deutschland erklärt. Nur dass die Autorin ihrem Untersuchungsgegenstand etwas zu nahe stand, fiel in den grossen Zeitungen damals niemandem auf.
Die Autorin ist Cornelia Koppetsch, ihr Partner – bis 2015 als «kritischer Islamwissenschaftler» an ihrem Lehrstuhl an der Technischen Universität Darmstadt angestellt – ist Kai Borrmann. Und man hätte nicht einmal die Argumente in ihrem Buch «Die Gesellschaft des Zorns – Rechtspopulismus im globalen Zeitalter» genau studieren müssen, um eine seltsame Nähe der Autorin zur AfD festzustellen. Am Schluss bedankt sie sich «bei meinem Lebensgefährten Kai und meinem Freund Martin, die den Stoff immer wieder mit mir diskutiert und weiterentwickelt haben» – «sowie bei meinen Bekannten aus der AfD, die mir in vielen Diskussionen ihre gesellschaftlichen Sichtweisen dargelegt haben». Die AfD hat also quasi mitgeschrieben, was in den Danksagungen zumindest halbwegs offen deklariert war.
Buch der Stunde
Vor diesem Hintergrund irritieren die medialen Lobgesänge auf das Buch. Die FAZ begann ihre Rezension mit der Feststellung, Koppetsch sei ein «grosser Wurf» gelungen; die «Süddeutsche Zeitung» lobte, das Buch sei «der in deutscher Sprache bisher ambitionierteste Versuch, den Rechtspopulismus mit einer Gegenwartsdiagnose zu verbinden»; die «Zeit» nannte es «das derzeit wohl anregendste Buch zum politischen und gesellschaftlichen Umbruch».
Auch in der Schweiz kam Koppetsch sehr gut an. Dass sie eine der «erfrischendsten Stimmen» ist, wusste Bettina Weber vom «Tages-Anzeiger» schon 2018, ein Jahr vor dem «Zorn»-Buch. Im Interview redete Koppetsch davon, wie homogen, konservativ und empathielos die linke urbane Mittelschicht tatsächlich sei und wie sie das Auseinanderdriften der Gesellschaft vorantreibe. Koppetsch solidarisierte sich nicht mit der Politik der AfD, aber ihre Soziologie ist mit deren reaktionärem Weltbild gut vereinbar. Den neuen Rechtsnationalismus versteht sie als Widerstand gegen den neoliberalen Kapitalismus, aber auf kulturellem Feld.
Ein knappes Jahr später erschien im «Tages-Anzeiger» schon das nächste Koppetsch-Interview, in dem sie – mit antisemitischer Schlagseite – klarmacht, wer in der polarisierten Gesellschaft der Aggressor ist: Die «Kosmopoliten», die «Migranten […] nur als Putzpersonal oder Paketboten» kennen, «verteidigen ihre Privilegien» und «verschärfen Klassengegensätze». Und sie zeigt Verständnis dafür, dass die rechte «Konterrevolution» der «grenzenlosen Kultur der Kosmopoliten» «Kollektividentitäten wie ‹Heimat› oder ‹christliches Abendland›» entgegensetzt.
Doppelt diskreditiert
Für Koppetsch ist der neuen Rechten die Rückkehr des Politischen zu verdanken. Im Interview mit der NZZ führt sie das zu absurden Schlüssen: «Seit es Rechtspopulismus gibt, wird wieder diskutiert: über Geschlechterverhältnisse, den Klimawandel und wie eine solidarische, eine gerechte Gesellschaft aussehen könnte.» Gleichzeitig beschreibt sie neurechte Bewegungen wie eine Naturgewalt. Über rechten Terror und seine Opfer verliert sie kein Wort, auch nicht über die milliardenschweren Mäzene der AfD.
Schwer zu sagen, wieso das Buch überhaupt als Innovation gefeiert wurde. Nur schon die Sache mit dem Zorn war ja ein alter Hut, wir erinnern uns an Buchtitel: «Zorn und Zeit» (2006), «Zornpolitik» (2017), «Das Zeitalter des Zorns» (2017).
Dass viele Gedanken von Koppetsch gar nicht neu waren, hatte aber auch einen ganz banalen Grund: Sie hat ausgiebig bei anderen abgeschrieben. 2019 wurden Plagiatsvorwürfe laut. Eine Untersuchungskommission der TU Darmstadt wies in zwei Büchern und vier Aufsätzen von ihr 111 Plagiate von 49 Autor:innen nach, darunter Oliver Nachtwey, Wendy Brown und Slavoj Žižek. Das hat die Soziologin moralisch diskreditiert. Dass sie auch politisch vorbelastet ist, wollte damals leider niemand bemerken.