Naturschutz und Energie: Das unterschlagene Biotop

Nr. 5 –

Auf dem Belpmoos wollen das Energieunternehmen BKW und der Flughafen Bern die grösste Solaranlage der Schweiz bauen. Doch die Wiese müsste als Biotop von nationaler Bedeutung eingestuft werden. Warum redet niemand davon?

Visualisierung als Luftaufnahme der geplanten Solaranlage direkt neben dem Flugplatz Bern-Belp im Belpmoos
So gross wie 35 Fussballfelder: Die geplante Solaranlage direkt neben dem Flugplatz Bern-Belp im Belpmoos. Visualisierung: BKW

Im Belpmoos ist nichts los. Die Eingangshalle des Bern Airport ist leer, das Check-in verwaist. Unter der Tafel, die Abflüge und Ankünfte anzeigt, stehen ein paar Sessel, auch sie leer. Das «20 Minuten» auf dem Beistelltischchen ist fünf Tage alt. Nur im Selbstbedienungsrestaurant Charly plaudern ein paar Pensionierte.

Braucht Bern einen Flughafen? Bei dieser Frage geht es weniger um Verkehrspolitik als um einen regionalen Minderwertigkeitskomplex. Wer eine grosse Maschine sehen will, muss sich gedulden: Nur sieben Flüge sind an diesem Tag angekündigt, etwa nach Kiel, Marrakesch oder Basel. Der Rest sind private Kleinflugzeuge. Gerade fährt eines los zum Rollfeld. Die Triebwerke wirbeln stinkende Luft auf.

Regional bedeutend

Mehr Aufsehen als die wenigen Flüge pro Tag erregt das Projekt «Belpmoos Solar», das die Flughafen Bern AG und das Berner Energieunternehmen BKW gemeinsam planen: eine Solaranlage neben der Piste, 35 Fussballfelder gross, die 15 000 Haushalte mit Strom versorgen soll. Nach heutigem Stand wäre es die grösste Solaranlage der Schweiz. Die Berner Regierungsrätin Evi Allemann, Michael Aebersold von der Regierung der Stadt Bern (beide SP) wie auch Benjamin Marti, Präsident der Standortgemeinde Belp (SVP), äusserten sich in einer Medienmitteilung Mitte Januar positiv bis begeistert. Auch Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz befürwortet das Projekt: «Wir wollen vor allem die unerschlossenen Berggebiete bewahren», sagt er. «Wir würden uns unglaubwürdig machen, wenn wir auch Anlagen neben Flughäfen bekämpfen.»

Was in der allgemeinen Zustimmung untergeht: Die Fläche, auf der die Solaranlage stehen soll, ist eine Trockenwiese, die im kantonalen Inventar erfasst ist, ein Biotop von regionaler Bedeutung. Was bedeutet das für das Projekt?

Mary Leibundgut lebt in Wabern, nicht weit vom Belpmoos. Die selbstständige Botanikerin kennt die Trockenwiese neben der Piste genau: Sie hat 2019 im Auftrag des Kantons erhoben, welche Pflanzen dort wachsen. «Die Fläche ist sehr wertvoll», sagt sie. «Wahrscheinlich die grösste Trockenwiese im ganzen Mittelland. Nur beim Waffenplatz Thun gibt es noch ähnliche Objekte.» Die meisten Biotope im Mittelland seien isoliert und winzig, zwischen 1000 und 5000 Quadratmeter gross, «ein Fliegenschiss auf der Karte». Mit ihren 23 Hektaren (oder 230 000 Quadratmetern) hat die Wiese im Belpmoos ganz andere Dimensionen. «Man könnte sie noch aufwerten, zum Beispiel Strukturen für bodenbrütende Vögel schaffen. Weil sie eingezäunt ist, wäre sie dafür ideal.»

Unauffälliger kann eine Wiese kaum sein. Eine dünne Schicht Schnee liegt darauf, zwei Reihen Stacheldraht verstärken den Zaun. Auf der anderen Seite fahren Berner:innen mit ihren Hunden zum Spazieren heran.

Doch der Fall Belpmoos ist brisant: «Diese Wiese erfüllt die Kriterien für die Aufnahme in das Bundesinventar der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung», sagt Lorenz Heer von Pro Natura Bern. Damit wäre sie ein Biotop von nationaler Bedeutung – und die Solaranlage laut Energiegesetz nicht zulässig. Welche Flächen ins nationale Inventar gehören, ist klar geregelt: Es hängt von der Art des Biotops, den erfassten Pflanzen und der Grösse ab. Bei der nächsten Revision der Inventare müsste die Wiese im Belpmoos also nationalen Status bekommen. «Inventare sind nie fertig», sagt Leibundgut. «Der Grossteil der Trockenwiesen wurde zwischen 1995 und 2008 erfasst. Den Wert des Belpmooses hat man lange übersehen.»

Der Kanton schweigt

Sollen Anlagen für die Produktion erneuerbarer Energie künftig auch in Biotopen von nationaler Bedeutung gebaut werden dürfen? Genau das wollte der Ständerat in der Herbstsession in den Mantelerlass zum Energiegesetz schreiben. Nach heftiger Kritik von Naturschutzverbänden hat die Umweltkommission des Nationalrats vergangene Woche anders entschieden: Die Energieproduktion soll weiterhin ausgeschlossen bleiben auf jenen knapp zwei Prozent der Schweizer Landesfläche, zu denen berühmte Landschaften wie die Greina und das Val Roseg gehören – aber eben auch die oft kaum bekannten Überreste der artenreichen Wiesen, die von Überdüngung verschont geblieben sind. Vermutlich wird das Parlament der Kommission folgen.

Wenn die Wiese im Belpmoos als Biotop nationaler Bedeutung eingestuft wird, wäre die Solaranlage also nicht zulässig. Was sagt «Belpmoos Solar» dazu? Die Medienabteilung der BKW antwortet ausweichend: In der Machbarkeitsstudie seien alle notwendigen Abklärungen getroffen worden, die zu einem positiven Entscheid geführt hätten. Die Website erwähnt eine Studie speziell zu den Umweltauswirkungen. BKW und Flughafen halten diese jedoch unter Verschluss und wollen nicht einmal sagen, wer sie gemacht hat. Haben die Autor:innen der Studie nicht bemerkt, welchen Wert die Trockenwiese hat?

Und was sagt der Kanton? Wie beurteilt die Berner Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion (WEU) das Bauvorhaben? Warum hat bis jetzt niemand darauf hingewiesen, dass die Anlage auf einem Inventarobjekt geplant ist? Die Antwort des Kantons ist karg: Die WEU werde «die offenen Fragen auf fachlicher Ebene beurteilen», wenn ein konkretes Bauprojekt vorliege. «Zu Projektideen äussern wir uns nicht.»

Auch Jonas Schmid vom WWF möchte sich noch nicht im Detail zum Projekt äussern, bevor eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegt. Er weist aber darauf hin, dass der WWF Solaranlagen auf Dächern, Fassaden und anderen versiegelten Flächen vorziehe.

«Verdacht auf Greenwashing»

Mary Leibundgut sieht den geplanten «Turboausbau» von Energieanlagen in den Alpen sehr kritisch. Projekte wie den Triftstausee oder die Freiflächensolaranlagen in Gondo und Grengiols lehnt sie ab: «Die beste Energie ist jene, die man nicht verbraucht. Sparen, Suffizienz und Solaranlagen im überbauten Gebiet – das sollte Priorität haben.» Doch auch sie findet den Solarausbau dringend nötig. «Belpmoos Solar» fällt nicht unter den «Turbobeschluss» des Parlaments vom letzten Herbst: Der Anteil an Winterstrom ist zu gering. Und das Belpmoos liegt nicht im hintersten Bergtal, sondern in einem erschlossenen Gebiet. «Mit ‹Belpmoos Solar› könnte ich vielleicht leben», sagt Leibundgut.

Ihre Kritik ist trotzdem deutlich: «Warum erwähnt niemand, weder die BKW und der Flughafen Bern noch der Kanton oder die Medien, den Trockenstandort? Wenn bei einem so grossen Projekt wichtige Fakten nicht kommuniziert werden, weckt das den Verdacht, dass Greenwashing betrieben werden soll.» Genau wie jedes Wasserkraftwerk sei «Belpmoos Solar» ein massiver Eingriff in die Natur. «Man kann darüber diskutieren, ob das ein tragbarer Verlust ist. Aber diskutieren kann man nur, wenn die Fakten bekannt sind.»