#MeToo bei Tamedia: Elefanten im Glashaus

Nr. 6 –

Eine hehre Ansage von Pietro Supino, Tamedia-Verleger und Chef der TX Group: «Als Unternehmen schaffen wir die Voraussetzungen und stärken unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Rücken, damit sie ihr Handwerk unabhängig und frei ausüben können.» Geschrieben hat Supino das 2017, in seinem Nachwort zum Tamedia-Handbuch «Qualität in den Medien». Für viele klingt es wie Hohn. Denn nach allem, was die frühere «Magazin»-Redaktorin Anuschka Roshani nun in einem aufsehenerregenden Gastbeitrag für den «Spiegel» zur Führungskultur bei Tamedia publik gemacht hat, muss man schliessen: Das Unternehmen stärkt in erster Linie seinen Kaderleuten den Rücken – auch dann, wenn diese intern im Ruf stehen, ihre Macht zu missbrauchen.

Ein «Regime des Mobbings», sexistische Bemerkungen, Machtmissbrauch: Roshanis Vorwürfe zielen zuallererst auf ihren von Supino installierten Vorgesetzten Finn Canonica, von 2007 bis 2022 Chefredaktor beim «Magazin». Aber sie weisen über das Fehlverhalten im konkreten Fall hinaus, denn Roshani problematisiert auch die fehlende Bereitschaft auf den höheren Chefetagen, auf die Vorwürfe zu reagieren. Déjà-vu bei Tamedia: männlich dominierte Führungskultur. Da hat sich seit März 2021 offenbar nicht wirklich etwas getan.

Damals protestierten 78 Mitarbeiterinnen aus der ganzen Deutschschweiz mit einem offenen Brief bei Chefredaktion und Geschäftsleitung, mit frappanten Parallelen: Auf den Tamedia-Redaktionen herrsche eine «von Männern geprägte Betriebskultur», in der Frauen «ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert» würden. Der von 115 Frauen unterzeichnete Brief sorgte international für Schlagzeilen, weil er auch über Tamedia hinaus auf strukturellen Sexismus in der Medienbranche aufmerksam machte. In einem zweiten Brief solidarisierten sich 125 männliche Kollegen mit den Absenderinnen, auf der Leitungsebene gab man sich zerknirscht und gelobte Besserung – durch Workshops und Schulungen für Führungskräfte.

Seither haben etliche Unterzeichnerinnen des Briefs den Betrieb verlassen, sehr vereinzelt wurden Frauen in leitende Positionen gehoben. Doch ein ungehobelter bis herrischer Führungsstil gehört an manchen Stellen weiterhin zum Alltag. So schlägt sich die Geringschätzung des Journalismus, die der Konzern schon lange an den Tag legt, in Geringschätzung des journalistischen Personals nieder.

Im «Spiegel» schreibt Roshani, sie habe schon seit 2010 mehrfach auf ihre Situation aufmerksam gemacht, bei verschiedenen Stellen im Haus. Demgegenüber lässt die Chefredaktion von Tamedia verlauten, sie habe erst im Frühjahr 2021 von den Vorwürfen erfahren. Auf Führungsebene nahm man sich erst im Nachgang zum Frauenbrief der Sache an. Doch den Bericht der Anwaltskanzlei, die man schliesslich mit der Untersuchung des Falls betraute, hielt man unter Verschluss.

Canonica, der die Vorwürfe bestreitet, erklärt sich in einem Brief an Bekannte nun zum Opfer einer Intrige. Beim «Magazin» war er jedenfalls schon weg, als Roshani dort im September 2022 entlassen wurde. Und die Stellungnahme der Chefredaktion auf deren Erfahrungsbericht im «Spiegel» ist nach allen Regeln der Unternehmenskommunikation imprägniert, aber sie schmeckt nach Kreide: «Respekt, Wertschätzung und eine darauf beruhende Führungskultur sind essenzielle Prinzipien unseres Hauses. Wir sind uns bewusst, dass es in der Vergangenheit in dieser Hinsicht Versäumnisse gegeben hat und dass die Aufklärung in diesem Fall zu lange gedauert hat.» Was sich von den Vorwürfen gegen Canonica habe erhärten lassen, erachte man gleichwohl als schwerwiegend – weshalb Tamedia sich von ihm getrennt habe. Das allerdings wäre neu.

Denn als im Juni 2022 dessen Weggang als «Magazin»-Chefredaktor mitgeteilt wurde, war von Trennung keine Rede. Im Gegenteil, der Konzern verabschiedete Canonica mit den allerbesten Wünschen für seine Zukunft: Man hob seine publizistische Leistung hervor, lobte ihn in den höchsten Tönen für sein «feines Gespür» und sprach ihm «grosse Anerkennung» aus.

Zum Abschied hat man dem Kadermann nochmals öffentlich den Rücken gestärkt.