Auf allen Kanälen: Denken mit Technomüll

Nr. 7 –

Eine neue Zeitschrift will die linke Debatte über Technologie und Gesellschaft anreichern. Doch nach zwei Ausgaben ist die Zukunft von «Vigia» ungewiss.

Ausschnitt aus dem Logo der Zeitschrift «Vigia»

Eine Schelmin, wer bei einem Slogan wie «Für e suubers Züri» gleich an düstere politische Tendenzen denkt. Doch komplett abseitig sind derartige Verbindungen gar nicht, wie die an der Universität Bern forschende Sozialanthropologin Sabrina Stallone in einem Text darlegt, der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift «Vigia» erschienen ist. Ihr Artikel handelt von der App und Website «Züri wie neu», wo die Stadtbevölkerung den Behörden «Schäden und Mängel» an der öffentlichen Infrastruktur melden kann. Stallone zeigt, wie sich das öffentlich einsehbare Archiv von Beschwerden, die über eine Karte in der Stadt verortet werden, zu einer «urbanen Geografie der Empörung» verbindet. Das Textfeld für die Beschwerden ist nicht zuletzt ein Einfallstor für rassistische Stereotype, die sich mithilfe der offenbar unsauber moderierten App in die städtische Landschaft einschreiben.

«Vigia» gibt es erst seit gut einem Jahr, die gedruckte Zeitschrift widmet sich aus gesellschaftskritischer Perspektive dem Themenkomplex Technologie. Sie wird von einem in Zürich ansässigen Verein und sehr viel Gratisarbeit zweier Redaktoren sowie eines Grafikers getragen. Viele Texte stammen von Autor:innen aus dem akademischen Umfeld, und man orientiert sich zwar an wissenschaftlichen Formen, doch das Hauptaugenmerk liegt auf politischen Perspektiven. Es finden sich in den Heften, deren auffallende Grafik einer Website nachempfunden ist, auch Beiträge von Kunstschaffenden oder Aktivist:innen. Nach einer ersten Ausgabe über virtuelle Realitäten erschien Ende Jahr das zweite Heft zum Thema Elektroschrott.

Informelles Recycling

Elektroschrott ist quasi die Ausscheidung des digitalen Zeitalters. Trotz der Vielfalt an Zugängen und Methoden, die die zweite Ausgabe von «Vigia» versammelt, ist die Handschrift der Zeitschrift gut zu erkennen: Technologie von den materiellen Vorstellungen einzelner Geräte zu lösen, die sie zunächst einmal hervorruft, und vor allem auch von zu einfach gestrickten Ängsten oder darauf reagierenden Euphorien, wie sie auch innerhalb der Linken einer klugen Diskussion oft im Weg stehen. Stattdessen dröseln die Texte die vielfältigen sozialen, imaginären, ökonomischen Beziehungen, die Technologien miteinander verschalten, von der Kultur und Ökonomie ihrer Entsorgung her auf.

Jonas Frick, der am deutschen Seminar der Universität Zürich über die Politisierung und Entpolitisierung von Computern seit den sechziger Jahren forscht und einer der Herausgeber ist, schreibt über Solarpunk als Science-Fiction-Genre und politisches Imaginäres. Wie entpolitisiert diese vermeintliche Harmonie von Technologie, Mensch und Natur ist, zeigt sich zugespitzt an der Verdrängung des Elektroschrotts. Die Kulturwissenschaftlerin Insa Härtel untersucht, wie sich das deutsche Privatfernsehen in einer Sendung über Messies einer Entsorgung als «Trash-TV» entgegensetzt. Und Samwel Moses Ntapanta schreibt eine kleine Ethnografie über das informelle Recycling in kleinen Werkstätten in Tansania und über einen leichten, aus entsorgten Elektrogeräten hergestellten Gasherd, der in dem Land als Teil portabler Kaffeeverkaufsstände eine wichtige soziale Rolle hat.

Selbsttragend werden

Bereits zwischen den ersten beiden Heften gibt es inhaltliche Querverweise, etwa zwischen den Texten von Frick, der in beiden Ausgaben die Wirkmacht von Science-Fiction-Narrativen untersucht hat. Aber gerade angesichts der gelebten Diversität – es werden etwa auch Texte auf Englisch gedruckt – würde es «Vigia» guttun, über mehrere Ausgaben Kontinuitäten aufzubauen. Doch die Zukunft des Hefts ist ungewiss, wie Jonas Wenger, das andere Redaktionsmitglied, auf Anfrage sagt. Zwar seien die Rückmeldungen sehr ermutigend gewesen: «Wir glauben, dass es ein grosses Interesse an einer linken Auseinandersetzung mit Technologie gibt.» Doch ohne finanzielle Förderung – für ein Periodikum sei es kaum möglich, solche zu erhalten – und mit dem selbstgemachten Marketing und dem Vertrieb in Eigenregie sei es sehr schwierig, genügend Hefte und Abos zu verkaufen, um selbsttragend zu werden. Was weiterhin das Ziel ist.

vigia.tech