Theater: Nebel im Pfauen
Die Berichterstattung war schief. Doch das vorzeitige Ende der Intendanz am Zürcher Schauspielhaus hat andere Gründe. Eine Analyse zum Bruch und seinen Folgen.
Im Schauspielhaus Zürich schmust man selbst nach der Scheidung noch weiter. Zumindest die gemeinsame Pressemitteilung von Verwaltungsrat und künstlerischer Leitung wirkt wie eine Parodie von Wirtschaftssprech und Schweizer Höflichkeit. Von grossem Bedauern ist die Rede, von grosser Leistung und «künstlerisch hervorragendem Programm». Wenige Stunden später folgte ein zweites Statement, allein von den Ko-Intendanten Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg unterschrieben. Im Text der beiden Deutschen begriff man zwar, dass sie das Schauspielhaus 2024 nicht freiwillig verlassen. Woran die Verhandlungen gescheitert sind, ausser an der vieldeutigen «betriebswirtschaftlich strategischen Ausrichtung», erfährt man aber auch in diesem nachgereichten Text nicht.
Was man weiss: Die aktuelle Auslastung liegt bei 50 Prozent. Das ist wenig. Aber wichtig sind die verkauften Tickets. Und die fehlen auf der Stammbühne im Pfauen schon lange. Selbst Vorgängerin Barbara Frey kam in ihrer letzten Spielzeit im Pfauen nicht über 64 Prozent hinaus. Weder die Leitung noch der Verwaltungsrat sagte, was wirklich geschehen ist. Alles super, aber hat leider nicht geklappt.
Falsche Reflexe von rechts
Dieses kommunikative Vakuum wird medial mit viel Vorstellungskraft gefüllt, bis hin zu faktischem Unsinn. In der Presse ist zu lesen, drei von vier Abonnent:innen hätten gekündigt (Fakt: Nicht 75, sondern 20 Prozent haben ihr Abo vorerst nicht verlängert). Bei Barbara Frey, schreibt eine Kollegin, seien zuletzt 95 Prozent der Plätze verkauft worden (frei erfunden, der Geschäftsbericht dieser Spielzeit ist samt detaillierten Zahlen einsehbar). Eine andere Schreibkraft lancierte Karin Beier vom Schauspielhaus Hamburg als Nachfolgerin, weil die ab 2023 zu haben sei (Beiers Vertrag läuft bis 2025 mit Option auf drei weitere Jahre). Die korrekten Angaben würde man alle in wenigen Sekunden finden.
Selbst Harald Schmidt wusste im Tamedia-Interview, was im Schauspielhaus Zürich das Problem gewesen sei: «Nur mit Projekten, Überschreibungen und Wilhelm Tell nach Schiller scheint das nicht funktioniert zu haben.» Er plädiert für Broadway und das Londoner West End. Man könnte ob dieser populistischen Reflexe gleich einschlafen. Die Langeweile wird nur kurz von Fakten gestört: Der besagte «Wilhelm Tell» nach Schiller, inszeniert von Milo Rau, ist der Spitzenreiter der letzten und der laufenden Spielzeit. Auch da würde ein Blick in den Geschäftsbericht genügen. Das ist Kulturkampf von rechts.
Dennoch: Die schiefe Berichterstattung ist nicht verantwortlich für das Scheitern dieser Intendanz, sie macht den Abschied allenfalls bitterer. Als Ko-Intendant Nicolas Stemann den «Besuch der alten Dame» als Fest für nur zwei Schauspieler:innen inszenierte, hätte man ihm viel aktuelle Korrektheit vorwerfen können, weil er den ethischen Widerstreit zwischen einer mörderischen Milliardärin und einem alten Männerekel eindeutig zugunsten der alten Dame entscheidet. Dem relativen Erfolg dieser Arbeit stand das aber nicht im Weg. Die sogenannte Wokeness ist also ein vorgeschobener Grund für das Zürcher Debakel. Worum ging es dann?
Alles Vermutungen
Die nun abgebrochene Intendanz war teils ein Versuch, etwas weniger Arbeiten rauszuhauen, mit einem Ensemble vor Ort zu arbeiten und mit anderen Häusern in einen Austausch zu treten, etwa mit Bochum und dem Theater im belgischen Gent. Ein nachhaltiger und im Prinzip kostensparender Ansatz. Allerdings nicht, wenn man wie in Zürich noch zwei Tanzkompanien ans Haus holt, für die Arbeiten von Trajal Harrell und von Wu Tsang. Beide haben bisweilen Produktionen gezeigt, die auch von älterem Publikum angenommen wurden, etwa Harrells «The Köln Concert». Aber der finanzielle Aufwand für diesen Glamourtransfer von, im Fall von Wu Tsang, internationalen Kunstbiennalen ins beschauliche Zürich war wohl zu hoch.
Das ist das verheerende Signal: Stadttheater werden weiterhin keine Orte sein können, die sich auch künstlerisch öffnen und verschiedene Kompetenzen in Ensembles zusammenführen. Nicht weil das generell auf Ablehnung stossen würde, sondern weil es vermutlich nicht finanzierbar ist. Ja, schon wieder vermutlich. Alles kann nur vermutet werden, wenn der Verwaltungsrat wie die künstlerische Leitung die betriebswirtschaftlichen Differenzen nicht konkret benennen. Ob es nun an Mindestlohnanhebungen lag, die die Leitung gefordert haben soll, oder an Kündigungen aus Spargründen, die das Duo ablehnte? Und warum rechnet der Verwaltungsrat damit, dass nach der laufenden Spielzeit und der nächsten so viel Geld fehlen wird, dass er zu dieser drastischen Massnahme greift?
Denn drastisch ist dieser Bruch für die Geschäfte mit Sicherheit. Viele künstlerische Verabredungen für die Spielzeit 24/25 sind bereits getroffen. Man kann die auflösen. Aber Spitzenkräfte in der Regie zu finden, die mit einer erst zu bestimmenden neuen Leitung zusammenarbeiten, das ist in dieser Frist kaum möglich. Der Verwaltungsrat wird sich um eine Zwischenlösung kümmern müssen, eine Interimsleitung, die 2024 bereits geschlossene Verträge auch über die Ziellinie schiebt, bis eine Nachfolge für 2025 gefunden ist. Ob die dann gendert oder auch mal Theater macht, das weder dem Broadway noch der kunstfernen Idee einer ausgeglichenen Berichterstattung gehorcht, spielt dann hoffentlich keine Rolle mehr.
Transparenzhinweis: Der Autor Tobi Müller hat im Januar im Schauspielhaus Zürich eine Diskussion zwischen der künstlerischen Leitung und dem Publikum moderiert.