Die SP und die Mindeststeuer: Stimmfreigabe zur «Lex Zug»?
Noch vor kurzem hat die SP die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer laut verurteilt. Nun fordern einige Exponent:innen für die bevorstehende Abstimmung Stimmfreigabe.
Es war ein erstaunlicher Beschluss, den der SP-Parteirat kürzlich fasste: Das Gremium, das die Parteibasis vertritt, beschloss für die Abstimmung von Mitte Juni über die Umsetzung der globalen Mindeststeuer Stimmfreigabe. Noch im Dezember hatte die SP gedroht, ein Nein zu beschliessen, falls die Rechte nicht von ihrem Maximalprogramm abrücke. Dieses wurde kurz darauf vom Parlament beschlossen. Die grosse Frage ist, ob die SP-Delegierten, die am Samstag in Fribourg definitiv entscheiden, dem Parteirat folgen werden.
Die Mindeststeuer begann mit dem Versprechen einer Revolution, wurde in den Mühlen der Politik jedoch regelrecht zermalmt: Als die Debatte in der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) 2021 Fahrt aufnahm, forderten viele Länder des Südens, dass Multis weltweit 25 Prozent auf ihren Gewinn bezahlen. US-Präsident Joe Biden sprach immerhin von 21 Prozent, Frankreich und Deutschland nickten. Auf Druck der Multis und von Steueroasen wie der Schweiz schrumpfte die Steuer aber auf 15 Prozent.
Da die Unternehmenssteuern in Zug oder Basel-Stadt heute tiefer sind, wird das in der Schweiz zu Mehreinnahmen führen. Als sich die Schweiz 2022 an die nationale Umsetzung machte, forderten die NGO Alliance Sud und die Linke, dass ein Teil dieser zusätzlichen Einnahmen etwa in Klimaschutzprojekte im Globalen Süden fliesst. Denn: 39 Prozent der Unternehmenssteuern, die die Schweiz einnimmt, stammen laut einer Studie der Universität Berkeley aus ausländischen Profiten, die Firmen hierher transferieren. Der Rest des Geldes sollte im Inland etwa an Kitas gehen.
Mindeststeuer wird ausgehebelt
Der Wirtschaftsverband Economiesuisse, die FDP und die SVP sowie der damalige Finanzminister Ueli Maurer wollten jedoch möglichst viel Geld den Kantonen überlassen – diese wiederum wollen es etwa über Subventionen an die Konzerne zurückschleusen. Damit würde die globale Steuer faktisch ausgehebelt. Auf Antrag von Zug schlug Maurer vor, 75 Prozent den Kantonen zu überlassen. Um das zu verhindern, verabschiedete sich die SP von den Klimaprojekten, um nur noch Geld für Kitas zu fordern. Zudem rang sie sich zu einem Deal mit der Mitte-Partei durch: 50 Prozent sollten an den Bund gehen, und das Geld sollte zwischen den Kantonen besser verteilt werden. SP-Kopräsident Cédric Wermuth warnte die Bürgerlichen, dass die Bevölkerung zu dieser «Lex Zug» kaum Ja sagen werde.
Vergeblich. SVP und FDP wischten alles vom Tisch. Selbst die 25 Prozent, die an den Bund gehen, sollen zur «Standortförderung» eingesetzt werden.
Für Stimmfreigabe plädierten im SP-Parteirat Mitte Januar etwa SP-Nationalrätin Jacqueline Badran oder ihr Ratskollege Samuel Bendahan. Die Umsetzung der Mindeststeuer sei zwar schlecht; gleichzeitig sei die globale Steuerharmonisierung ein grosser Erfolg, den man nicht ablehnen könne, argumentierten sie. Doch die Schweiz stimmt nicht über die Einführung der Mindeststeuer ab. Die kommt ohnehin, sie ist längst beschlossen. Falls ein Kanton künftig weniger als 15 Prozent verlangt, könnten andere Länder, in denen hiesige Firmen ebenfalls operieren, die Differenz einziehen. Die Schweiz entscheidet nur über die Art und Weise der Umsetzung. Und die ist aus SP-Sicht «auf allen Ebenen schlecht», wie Wermuth im Parteirat konstatierte.
Einige in der Partei sagen, dass ein Nein trotzdem schwer zu vermitteln wäre. Doch bei der Unternehmenssteuerreform III war es genau gleich: Obwohl die SP die von der OECD geforderte Abschaffung von Steuerprivilegien für Holdings begrüsste, bekämpfte sie erfolgreich die nationale Umsetzung, die neue Privilegien vorsah – und erreichte zwei Jahr später einen besseren Kompromiss.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Andere äusserten im Parteirat auch die Befürchtung, dass die Abstimmung kaum zu gewinnen sei; auch weil der SP aufgrund der Abstimmung über das Klimagesetz, das Priorität habe, die Ressourcen fehlten. Eine Niederlage kurz vor den Wahlen im Herbst, so die Befürchtung, würde die Partei schwächen. Die Aussichten sind jedoch alles andere als klar: Nicht nur Linke dürften Nein stimmen. Drei Viertel der rund 1,2 Milliarden Franken zusätzlichen kantonalen Einnahmen würden laut Forschungsinstitut BSS an nur vier Tiefsteuerkantone wie Zug gehen. Die übrigen 22 Kantone müssten sich die restlichen 300 Millionen teilen – wobei 14 von ihnen so gut wie nichts erhielten. Warum sollten deren Stimmbürger:innen Ja sagen? Umso mehr, als etwa Zug «seine» Viertelmilliarde nutzen will, um den kantonalen Wettlauf etwa durch die Senkung der Einkommenssteuern weiter anzuheizen.
Ist es für die SP schliesslich nicht riskanter, aus strategischen Gründen bei einer Vorlage Stimmfreigabe zu beschliessen, die die globale Steuerharmonisierung torpediert und die sie bisher verurteilt hat? Was würden die Wähler:innen sagen? Und riskiert die SP damit nicht kurz vor den Wahlen eine Spaltung der Linken? Ein Drittel des Parteirats stimmte am Ende für ein Nein. Es sei auch im Wahljahr wichtig, meinte der Luzerner SP-Kantonsrat David Roth im Parteirat, «beim stärksten SP-Thema eine konsequente Politik» zu betreiben.
Nachtrag vom 2. März 2023 : Mindeststeuer: Das Nein wird lauter
Der Widerstand gegen den Umsetzungsplan der OECD-Mindeststeuer, der am 18. Juni an die Urne kommt, wächst: Nachdem am Samstag die SP an ihrem Parteitag die Nein-Parole beschlossen hatte, lehnte am Montag auch die Geschäftsleitung der Grünen die Vorlage ab, wie Nationalrätin Franziska Ryser der WOZ berichtet. Definitiv entscheiden die Grünen an ihrer Delegiertenversammlung Ende März. Auch die NGO Alliance Sud hat vor einigen Tagen die Nein-Parole verkündet.
Zwar begrüsst die Linke den globalen Mindeststeuersatz für grosse Konzerne, wie er 2021 von rund 140 Regierungen unter der Führung der OECD vereinbart worden ist – auch wenn die beschlossenen 15 Prozent vielen zu wenig weit gehen. Sie verurteilt jedoch die Schweizer Umsetzung der Mindeststeuer, die vor allem die SVP und die FDP letzten Dezember durchgedrückt haben: Das Geld, das die Schweiz zusätzlich einnehmen wird, wenn alle Konzerne mindestens 15 Prozent zahlen, sollen vor allem Steueroasen wie Zug erhalten – die es mittels «Standortförderung» an die Konzerne zurückschleusen wollen.
Mit dem Einwand, dass man als Linke trotz der schlechten Umsetzung nicht gegen eine globale Steuerharmonisierung ankämpfen könne, hatte die SP-Spitze für eine Stimmfreigabe plädiert. Sie unterlag am Parteitag jedoch mit 112 zu 240 Stimmen. Der Luzerner Kantonsrat David Roth rief am Parteitag in Erinnerung, dass die Schweiz nicht über die Mindeststeuer als solche abstimme. Diese ist international längst beschlossen. Zur Abstimmung steht lediglich die Verteilung des Geldes.
Einige bürgerliche Politiker:innen behaupteten auf Twitter trotzdem, die SP wolle Konzerne nicht höher besteuern – der Wahlkampf hat begonnen. Das grösste Problem der Rechten für die Abstimmung im Juni: Während Zug und Basel-Stadt zusammen rund eine Viertelmilliarde Franken kassieren sollen, würde über die Hälfte der Kantone gerade mal einen einstelligen Millionenbetrag erhalten – oder wie der Jura ganz leer ausgehen.