Kommentar von Yves Wegelin: Die Aushebelung der OECD-Mindeststeuer
Die Schweiz stimmt im Juni über die Umsetzung der Reform ab.
Auf dem Tisch liegt der Plan der Steuerparadiese und der Konzerne.
Gut, dass Karin Keller-Sutter ein verbreitetes Missverständnis ausräumte, als sie am Montag den Abstimmungskampf für ein Ja zur Mindeststeuer lancierte, die am 18. Juni an die Urne kommt. Die Schweiz stimme nicht über deren Einführung ab, stellte die FDP-Finanzministerin klar. Diese komme ohnehin – «wie ein Naturereignis». Tatsächlich haben sie 140 Länder unter Führung der OECD bereits 2021 beschlossen.
Abgestimmt wird darüber, wer die erwarteten 1 bis 2,5 Milliarden Franken Mehreinnahmen erhalten soll. Und hier haben sich der damalige Finanzminister Ueli Maurer, seine SVP, die FDP, Steuerparadiese wie Zug und der Konzernverband Economiesuisse auf ganzer Linie durchgesetzt.
Die Reform hatte als Revolution begonnen. 2021 waren sich US-Präsident Joe Biden, Deutschland, Frankreich und globale NGOs einig, dass Konzerne künftig weltweit über zwanzig Prozent Steuern zahlen sollten. Während 1980 der Steuersatz im globalen Schnitt rund fünfzig Prozent betrug, sind es heute in Singapur oder etlichen Schweizer Kantonen nach Abzügen noch ein paar wenige Prozent.
Für die Schweiz, die eine Unmenge von Multis anlockte, ging die Rechnung bis jetzt auf. Viele Länder bluten jedoch aus: Obwohl sie ihre Steuern senken, wandern Konzerne ab und versteuern ihre Gewinne etwa in der Schweiz. Laut dem Berkeley-Professor Gabriel Zucman stammen 39 Prozent der hierzulande versteuerten Gewinne aus dem Ausland. Allein seit der Finanzkrise 2008 sind die globalen Staatsschulden von 61 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts auf 96 Prozent geklettert. Nun, da die Zinsen steigen, droht erneut ein Crash.
Auf Druck internationaler Verbände und von Steuerparadiesen wie der Schweiz fiel die Revolution jedoch rasch in sich zusammen: Aus dem Steuersatz von über zwanzig Prozent wurden fünfzehn; und der Satz gilt nur für Konzerne mit einem Umsatz ab 750 Millionen Euro. Zudem sind etliche Abzüge möglich, für die auch Maurer per Brief bei der OECD lobbyiert hat. US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz sprach von einem «Akt des Egoismus».
SP, Grüne sowie NGOs forderten daraufhin, dass immerhin ein Teil der hiesigen Zusatzeinnahmen für Entwicklungsprojekte im Süden verwendet wird. Auch Kitas wollten sie fördern. Maurer, SVP, FDP, Kantone wie Zug und Economiesuisse zimmerten jedoch eine Vorlage, mit der fast sämtliche Zusatzeinnahmen (75 Prozent) an die Kantone gehen. Diese sollen das Geld an die Firmen zurückschleusen, etwa durch Subventionen. Auch die 25 Prozent, die an den Bund gehen, sollen in die «Standortförderung» fliessen. Damit würde die Mindeststeuer schlicht ausgehebelt.
Um den rechten Durchmarsch zu verhindern, suchten Linke, GLP und Die Mitte den Kompromiss: Bund und Kantone sollten das Geld hälftig unter sich aufteilen. Zudem hätten die Tiefsteuerkantone maximal 400 Franken pro Kopf erhalten, der Rest wäre unter den anderen Kantonen aufgeteilt worden. SVP und FDP wischten jedoch alles vom Tisch, schliesslich lenkten auch GLP und Die Mitte ein.
Doch mit ihrem Plan soll nicht nur die Mindeststeuer ausgehebelt werden. Die Zusatzeinnahmen würden auch extrem ungleich verteilt: Vier Kantone sollen ganze drei Viertel der rund 1,2 Milliarden Franken erhalten, die an die Kantone gehen. Die übrigen Kantone sollen die Brosamen unter sich aufteilen – wobei vierzehn so gut wie nichts erhielten. Die Rechte betont, dass Gewinnerkantone entsprechend mehr in den Finanzausgleich zahlen müssten. Viel ist das jedoch nicht: Basel müsste von seinen 270 Millionen Franken laut Bund gerade mal 10 Millionen in den Ausgleich zahlen.
Mitte-Nationalrat Markus Ritter sagte der WOZ im Dezember: «Wie will man dem Volk erklären, dass Zug eine Viertelmilliarde Franken erhält, um damit den Steuerwettbewerb weiter anzuheizen?»
Die Stimmbevölkerung hat nun die Möglichkeit, die Vorlage zur Korrektur an das Parlament zurückzusenden. Ein Nein wäre keine Absage an die Mindeststeuer. Sondern vielmehr ein Zeichen an die Welt, dass die Schweiz nicht schon wieder versucht, eine globale Reform auszuhebeln.
Das WOZ-Podium zur OECD-Mindeststeuer: Alle Infos zur Veranstaltung.