Kommentar von Daniel Stern: Zurück zum Klima
Die Proteste sind noch genauso nötig wie 2019. Denn das vergangene Jahr war ein Rückschritt.
Diesen Freitag ist Klimastreiktag. Rund um den Globus wird für den raschen Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft, den schnellen Ausbau von erneuerbaren Energien und für Klimagerechtigkeit demonstriert. Auch in der Schweiz. Es ist wichtig hinzugehen – egal wie alt man ist. Es braucht diese Bewegung mehr denn je. Denn 2022 war ein Rückschritt für das Klima.
Nachdem russische Truppen vor einem Jahr die Ukraine angegriffen hatten, rückte die Diskussion um die Klimakatastrophe in den Hintergrund. Viele Politiker:innen sprachen nun von «Energiekrise», «Strom- und Gasmangellage». Man übertraf sich gegenseitig mit Angstmacherei vor einem Blackout und kalten Wohnungen. Nur dank des zivilen Widerstands von Klimaaktivist:innen – etwa mit Strassenblockaden – verschwand das Thema nicht völlig aus dem öffentlichen Diskurs. Doch viele Regierungen liessen Kohlekraftwerke wieder in Betrieb nehmen und ermunterten die Energiekonzerne, mehr fossile Energieträger zu fördern.
Die Resultate dieser Politik liegen jetzt vor: Zwar haben die europäischen Staaten, die USA und auch China stark in erneuerbare Energien investiert, doch gleichzeitig stieg der globale Verbrauch von fossiler Energie weiter an. 2022 sind laut der Internationalen Energieagentur erstmals mehr als acht Milliarden Tonnen Kohle verbrannt worden – obwohl diese der klimaschädlichste Energieträger überhaupt ist. Der Schweizer Energiekonzern Glencore hat allein mit seinem Kohlegeschäft einen Betriebsgewinn (vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen) von 17,9 Milliarden US-Dollar erzielt. Und allein die sechs grössten privaten Erdölkonzerne machten letztes Jahr zusammen über 200 Milliarden US-Dollar Gewinn – mehr als je zuvor.
Lebten wir in einer gerechten Welt, müssten diese Gewinne zugunsten der Klimaopfer eingezogen werden. Das wäre ein Stück Klimagerechtigkeit. Denn die Gewinne sind eigentlich Schulden, die die Konzerne bei jenen gemacht haben, die durch die Klimakatastrophe Verluste erleiden. Doch welche Regierung wagt es, Konzerngewinne anzutasten?
Die Rückschritte von 2022 haben langfristige Folgen. Aus Angst vor einer «Energiekrise» haben Politiker:innen Öl-, Gas- und Kohlekonzernen grünes Licht für den Ausbau von fossiler Infrastruktur gegeben: für den Bau von Flüssiggasterminals, von Pipelines und Förderanlagen weltweit oder in der Schweiz von «Reservekraftwerken». China hat 2022 mehr neue Kohlekraftwerke bewilligt als je zuvor – im Schnitt jeden zweiten Tag eines. Der Konzern BP, nur als Beispiel, hat kürzlich angekündigt, seinen Ausstieg aus dem Öl- und Gasgeschäft zu verlangsamen und stattdessen bis 2030 zusätzliche acht Milliarden US-Dollar in die Ausbeutung neuer Öl- und Gasfelder zu investieren.
Man könnte nun einwenden, dass diese Entwicklung ja vom beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien wieder abgebremst werde: Sonnen- und Windenergieanlagen produzieren schon heute vielerorts günstigeren Strom als Kohle- und Gaskraftwerke. Was solls, wenn sich private Kohle- und Ölkonzerne verspekulieren? Doch danach sieht es nicht aus. China setzt auf seinem Wachstumskurs weiterhin auf alle Energieformen, und in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern fehlt es an Kapital und Investor:innen, um die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen auszubauen. Viele Länder des Globalen Südens sind stark verschuldet. Geld von den Verursacher:innen der Klimakatastrophe im Norden bekommen sie viel zu wenig. Also bleiben sie von fossilen Energieträgern abhängig.
Soll das Klimaziel von Paris erreicht und die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzt werden, braucht es eine ganz andere Politik. Dazu ist eine starke globale Klimabewegung nötig, die Regierungen dazu zwingt, hehre Grundsätze des Kapitalismus wie etwa die freie Gewinnverwendung umweltzerstörender Konzerne infrage zu stellen. Die Proteste sind so nötig wie 2019. Und deshalb ist es so wichtig, dass wieder möglichst viele Menschen an diese Demonstrationen gehen.