Energiepolitik: Nicht die Wende, die es braucht

Nr. 10 –

Drei Tage lang will sich der Nationalrat kommende Woche mit dem «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» befassen. Erfreulicherweise lassen die Beschlüsse der vorberatenden nationalrätlichen Energiekommission kaum Zweifel aufkommen: Eine grundlegende energiepolitische Wende ist möglich, der Ausbau der erneuerbaren Energien, allen voran der Solarenergie, dürfte endlich substanziell vorangetrieben und auch gefördert werden. 35 Terawattstunden pro Jahr soll ihr Anteil 2035 ausmachen, was mehr als der Hälfte des heutigen Stromverbrauchs entspricht.

Das wäre angesichts der fortschreitenden Klimakrise absolut notwendig. Doch das nun geplante Gesetz ist keineswegs ein Befreiungsschlag. Denn um die Klimakrise zu bewältigen, reicht die Energiewende allein nicht. Es braucht eine umfassende ökologisch-soziale Wende – und keine Gesetzesvorlage, die beispielsweise den Schutz der artenreichsten Biotope aufweicht, wie dies der Ständerat im Herbst wollte. Der Nationalrat wird dies nächste Woche hoffentlich korrigieren. Über eine andere problematische Tendenz in der Energiepolitik wird dagegen weniger diskutiert: Viel zu oft stehen partikulare Interessen im Vordergrund.

Exemplarisch dafür steht ein Vorstoss von GLP-Präsident Jürg Grossen: Autobatterien, die künftig Strom auch wieder abgeben können, sollen als dezentrale Zwischenspeicher im Stromnetz eingesetzt werden, ohne das dafür Stromnetzgebühren anfallen. . Klingt nach einer sinnvollen Lösung, und technologisch ist sie das auch. Doch dahinter stecken in erster Linie erstaunlich unverhohlene wirtschaftliche Interessen: Grossen ist Präsident von Swiss eMobility, dem Elektromobilitäts-Lobbyverband der Autobranche, und zugleich Präsident von Swissolar, dem schweizerischen Fachverband für Sonnenenergie. Ziel ist, künftig E-Autos und Fotovoltaikanlagen als Gesamtpaket zu verkaufen.

Der GLP-Präsident vertritt damit die Interessen zweier Branchen, für die die Energiewende grosse – und subventionierte – Wachstums- und Gewinnchancen verspricht. Doch um die Klimakrise wirklich einzudämmen, braucht es auch eine Mobilitäts- und Verkehrswende. Die Umstellung vom Verbrennungs- auf den Elektromotor ist nicht nachhaltig genug; nur ein konsequenter Wechsel zu einem Mobilitätskonzept, das in erster Linie auf Langsam- und öffentlichen Verkehr setzt, wird die Treibhausgasemissionen substanziell verringern. Hinzu kommt, dass der Automobilverkehr mit Strassen, Parkplätzen oder Garagen gigantisch viel Platz beansprucht – auf Kosten von Menschen, Tieren und Pflanzen.

Ein anderer problematischer Punkt ist, dass der Vorstoss Grossens einen Schritt in Richtung Deregulierung und Privatisierung der Stromversorgung bedeutet: Haus- und Autobesitzer:innen profitieren, ebenso die Auto- und die Solarbranche. Mieter:innen und Leute, die bewusst auf ein Auto verzichten, bleiben aussen vor. Überhaupt sind soziale Fragen in der bisherigen energiepolitischen Debatte sträflich vernachlässigt worden.

Umso sinnvoller ist deshalb die aktuelle Intervention des Klimastreiks, der letzten Freitag einen umfangreichen Massnahmenkatalog präsentierte. Kernforderungen sind etwa ein sofortiger Ausbaustopp von fossiler Infrastruktur und deutlich mehr Anstrengungen zur Verringerung des Stromverbrauchs. Dies erfordere eine «Stromversorgung unter direktdemokratischer Verwaltung», so der Klimastreik. Ein solcher Schritt in Richtung Service public ermögliche es auch, eine kostenfreie Mindestmenge an Strom für jeden Haushalt als Grundrecht einzustufen, und mache gleichzeitig den Weg frei für die «progressive Bepreisung der Strommenge über diesem Mindestmass».

Massnahmen also, die endlich die soziale Frage ins Zentrum stellen. Und die Energiepolitik eben nicht als in sich geschlossenes System verstehen, sondern als wesentlichen Bestandteil einer ökologisch-sozialen Wende. Denn eine solch umfassende Wende ist zwingend, um die Klimakrise zu bekämpfen. Im Bewusstsein der vorwiegend jungen Aktivist:innen auf der Strasse ist das längst angekommen. Im bürgerlichen Parlament lässt es leider noch immer auf sich warten.