Energiewende: Dächer statt Freiflächen
Schuld am miserablen Ausbau der Erneuerbaren seien die Umweltverbände, sagen die Bürgerlichen. Das ist ebenso falsch wie perfide.
Um mit einer positiven Nachricht zu beginnen: In der Energiebranche sind sich mittlerweile alle bewusst, wie gravierend die Klimakrise ist – und dass der Ausbau erneuerbarer Energien so schnell und so umfassend wie möglich umgesetzt werden muss.
Am Stromkongress, dem Branchentreffen der Energiewirtschaft im Berner Kursaal vergangene Woche, wollte – oder konnte – nur eine Person die Klimakrise nicht klar benennen: der neue Energieminister Albert Rösti. Auch mit seiner Äusserung, Subventionen für Atomkraftwerke prüfen zu wollen, um diese länger laufen zu lassen, stand der langjährige SVP-Nationalrat im Abseits.
Doch zurück zum eigentlichen Thema: dem Umbau der Energie- und Stromversorgung. Sie steht vor der dringlichen Herausforderung der Dekarbonisierung, also der völligen Abkehr von fossilen Energieträgern. Dieser Schritt wird automatisch zu höherem Stromverbrauch führen, etwa für die Elektromobilität oder die Wärmebereitstellung über Wärmepumpen. Das heisst, der Ausbau der Erneuerbaren muss nicht nur rasch, sondern auch in einem beträchtlichen Ausmass vollzogen werden.
Mit Ausnahme der fossilen SVP sind sich alle Parteien einig, dass dieser Schritt unumgänglich ist. Und mit dem Mantelerlass zum Energiegesetz, der zurzeit intensiv in den Kommissionen für Umwelt, Raumplanung und Energie beraten wird und wohl in der kommenden Frühjahrssession ins Parlament kommt, ist das Geschäft hochaktuell.
Zurzeit dominiert – auch medial – ein bürgerlich geprägtes Narrativ die energiepolitische Debatte: Schuld am miserablen Ausbau der Erneuerbaren seien vor allem die Umweltverbände mit ihren unzähligen Einsprachen. Es sei deshalb dringend nötig, deren Einspracherechte zu beschneiden. Es brauche schnellere Verfahren und gezielte Förderungen, um diesen Ausbau auf den Freiflächen – Solaranlagen in den Alpen, mehr und höhere Stauseen, Windräder auf Hügeln – zu pushen.
Diese Erzählung ist ebenso falsch wie perfide. Der Hauptgrund dafür, dass der Ausbau von erneuerbaren Energien seit Jahren nicht vom Fleck kommt, liegt im kompletten Fehlen einer Anreizpolitik der Bürgerlichen, die überdies eine notorische Nähe zur Öl-, Gas- und Atomlobby aufweisen. Exemplarisch dafür steht Albert Rösti: Vor seiner Wahl zum Energieminister war er jahrelang als Lobbyist der Erdöl- und Autobranche im Bundeshaus unterwegs.
Perfide ist, dass der Ausbau der Erneuerbaren gegen den Landschaftsschutz und die Biodiversität ausgespielt wird. Sollte das Parlament tatsächlich die wertvollsten Flächen, die Biotope von nationaler Bedeutung, für die Stromproduktion opfern wollen, würde den Umweltverbänden nichts anderes übrig bleiben, als das Referendum zu ergreifen.
Was bisher offensichtlich noch nicht im bürgerlichen Lager angekommen ist: Die Klimakrise und der Verlust der biologischen Vielfalt stellen gleichermassen eine Bedrohung für die Menschheit dar. «Beide Krisen hängen zusammen, verstärken sich gegenseitig und müssen darum auch gemeinsam angegangen werden», schrieb die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz vergangenes Jahr in einem Appell. Eine sinnvolle und nachhaltige Energiepolitik ist also nur erreichbar, wenn sie nicht auf dem Buckel der Natur, der Landschaften und der Biodiversität ausgetragen wird. Und wenn der Mythos des unbegrenzten Wirtschaftswachstums infrage gestellt wird.
Das ist absolut möglich. Eine Studie der Energie Zukunft Schweiz AG zeigt, dass Parkplätze, die mit einer Solaranlage überdacht sind, eine wichtige Rolle beim Solarausbau spielen könnten. Rein von der Fläche her bestehe ein Potenzial von bis zu 10 000 Megawatt. Zum Vergleich: Das viel zitierte alpine Solarprojekt von Gondo hätte eine Leistung von 18 Megawatt.
Nutzflächen, etwa Fabrikdächer, sind mehr als genug vorhanden, um den Ausbau der Erneuerbaren zu stemmen. Dafür braucht es keine Freiflächen, die für die Biodiversität unerlässlich sind.