Kost und Logis: Heimliche Held:innen

Nr. 11 –

Karin Hoffsten entdeckte den Wert freiwilliger Care-Arbeit

Nicht nur die Jungen, sondern alle – vorneweg die Akademiker:innen – haben keine Lust mehr, zu arbeiten, sie geben sich lieber dem süssen Nichtstun hin: So kreischt es derzeit missgünstig aus allen Ecken. Angefangen damit hat ein Berner Bildungsökonom. Dabei kann dessen Argumentarium mit Statistik, schlichtem Rechnen und Sachlichkeit schnell entkräftet werden.

Ich weiss nicht, für wen der Mann arbeitet, aber er vertritt konsequent die finanziellen Interessen jener Wirtschaftsverbände, die Care-Arbeit, Kunst, Soziales et cetera traditionell ausblenden. Indem er diese Interessen in ein pseudowissenschaftliches, moralgetränktes Mäntelchen hüllt, trifft er den Nerv jener Leute, die alles sein wollen, bloss nicht faul. Und die erhobene Forderung, Akademiker:innen sollten ihre Ausbildungskosten zurückzahlen, damit Supermarktkassier:innen nicht für deren Studium aufkommen müssen, passt zum Zeitgeist wie Arsch auf Eimer.

Aber was machen Teilzeitler:innen eigentlich am restlichen Tag? Darüber erfuhr ich kürzlich mehr von einem befreundeten Paar, nennen wir sie Kurt und Karla: Ein nicht unbeträchtlicher Teil leistet Freiwilligenarbeit. Kurt leidet seit Jahren an einer chronischen Krankheit, Karla ist noch berufstätig. Weil Kurts Krankheit zunehmend zu physischen Einschränkungen führt, die regelmässige Besuche in Physiotherapiepraxen erfordern, begleitet Karla ihn oft, was sie wegen ihrer Arbeit manchmal stresst.

Dann empfahl ihnen jemand den Rotkreuz-ÖV-Begleitdienst in Zürich: Wer in der Lage ist, den öffentlichen Verkehr zu benutzen, kann sich dort von freiwilligen Helfer:innen begleiten lassen. Kurt und Karla meldeten sich an, und die Welt änderte sich.

Freundliche Menschen holen Kurt jetzt ab, begleiten ihn zum gewünschten Ort und nach den Terminen wieder nach Hause. Der Dienst ist gratis, einzige Bedingung: Man bezahlt den Begleiter:innen das ÖV-Tagesticket zu 6.20 Franken. Dauert ein Termin länger, bringt eine Person Kurt hin, und eine andere holt ihn wieder ab, dann kostet es zwei Tickets. Diese Kosten übernimmt die Krankenkasse.

«Alle sind unheimlich nett und hilfsbereit», erzählt Karla, «es sind auch junge, berufstätige Leute dabei, nicht nur Pensionierte.» Inzwischen hat Kurt auf langen Tramfahrten Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen kennengelernt, und für Karla ist es eine Riesenerleichterung, zu wissen, dass Kurt sicher dort ankommt, wo er hinmuss.

Dass so viele Menschen in einer Schweizer Grossstadt gut gelaunt und freiwillig eine solch wichtige Aufgabe übernehmen, wusste ich nicht. Noch wird erwartet, dass – meist weibliche – Verwandte für solche Einsätze ganz selbstverständlich ihren eigenen Bereich reduzieren. Noch schöner wäre es allerdings, wenn Care-Arbeit endlich gesellschaftlich anerkannt und gut bezahlt würde. Dann käme sie vielleicht auch in den Berechnungen eines Bildungsökonomen vor.

Karin Hoffsten würde sich wünschen, dass auch Supermarktkassier:innen so viel verdienten, dass sie problemlos ihr Pensum reduzieren könnten, statt einen schlecht bezahlten Zweitjob annehmen zu müssen.