Kolumbiens neue Regierung: Reformen provozieren Konflikte

Nr. 12 –

Wenige Monate nach dem Regierungswechsel wächst der Widerstand der Konzerne gegen Kolumbiens ersten linken Präsidenten Gustavo Petro. Wie beurteilen ihn seine Unterstützer:innen? Zwei Begegnungen.

zwei Frauen demonstrieren Mitte Februar in Bogotá für Gustavo Petros Neuordnung des Gesundheitssystems
Unterstützung für den Präsidenten: Zwei Frauen demonstrieren Mitte Februar in Bogotá für Gustavo Petros Neuordnung des Gesundheitssystems. Foto: Vanessa Jimenez, Getty

Am 19. Juni 2022 war die Sensation perfekt: Mit Gustavo Petro vom Wahlbündnis Pacto Histórico wurde zum ersten Mal ein linker Kandidat zum Präsidenten von Kolumbien gewählt. Im August trat er sein Amt an. Einen ersten Erfolg konnte seine Regierung Ende Jahr verbuchen: Finanzminister José Antonio Ocampo setzte innerhalb weniger Wochen eine Steuerreform durch, die hohe Einkommen, Finanzgewinne und Ölkonzerne stärker als bisher belastet. Auch wenn die Erhöhungen bescheiden ausfielen, war die Reform bemerkenswert. Kaum eine lateinamerikanische Linksregierung hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten an Steuererhöhungen herangewagt. Doch seitdem wird die Lage für den Präsidenten zunehmend kompliziert.

Die Konfliktgebiete des Landes hat der von der Regierung verkündete Waffenstillstand kaum befriedet. Die meisten bewaffneten Gruppen – darunter vor allem ehemalige Einheiten der Farc-Guerilla, die sich als unpolitische Banden neu formieren – bekämpfen sich untereinander. Die angekündigte Landreform, für die der Staat Grossgrundbesitzer:innen drei Millionen Hektaren Land abkaufen will, wird sowohl von Bauernorganisationen als auch von Viehzüchter:innen – aus entgegengesetzten Motiven – scharf kritisiert. Und zunehmend unübersichtlich ist schliesslich auch die Lage im Parlament.

Obwohl der Pacto Histórico, seinerseits eine Koalition von fast zwanzig Parteien, in den beiden Kammern des Kongresses weniger als ein Viertel der Abgeordneten stellt, hatte sich Präsident Petro mit grossem Verhandlungsgeschick dort zunächst eine komfortable Regierungsmehrheit organisiert. Sowohl Liberale als auch Konservative wurden über Ministerposten eingebunden. Doch diese Koalition bröckelt inzwischen.

Im medialen Dauerfeuer

Senator Carlos Alberto Benavides vom Pacto Histórico gibt sich im Gespräch in der Hauptstadt Bogotá dennoch zuversichtlich: «Zugegeben, die Kräfteverhältnisse sprechen nicht gerade für uns. Wir haben keine eigene Mehrheit, die Rechte kontrolliert die Medien. Aber entscheidender ist, glaube ich, ob wir die Initiative behalten.» Auch in der Unternehmerschaft seien viele der Ansicht, dass Kolumbien strukturelle Reformen benötige. «Was Friedenspolitik, Energiewende und Stärkung der produktiven Wirtschaft angeht, gibt es schon so etwas wie einen gesellschaftlichen Konsens.»

Der drahtige Benavides, der aus einer armen Bauernfamilie aus der Gemeinde Pasto im Südwesten stammt und als prekär beschäftigter Hochschullehrer tätig ist, lächelt verschmitzt. «Unser Projekt beschränkt sich darauf, die Verfassung von 1991 umzusetzen – und die ist eher sozialliberal als progressiv. Doch auch sozialliberale Reformen wären in Kolumbien schon ein gewaltiger Fortschritt.»

Zur eigentlichen Machtprobe haben sich die Reformen des Gesundheitswesens und der Arbeitsgesetze entwickelt. «Die Gesundheitsreform berührt unmittelbar die Profitinteressen», erläutert Senator Benavides, «denn die privaten Krankenkassen gehören zu den lukrativsten Anlagemöglichkeiten in Kolumbien.» Tatsächlich sind unter den fünfzig grössten kolumbianischen Unternehmen sieben sogenannte Empresas Promotoras de Salud (EPS). Während diese Kassen gigantische Gewinne erwirtschaften, müssen Patient:innen oft monatelang auf Termine warten oder sich Behandlungen vor Gericht erstreiten. Bei Normalversicherten spekulieren viele Kassen ganz offenkundig darauf, dass die Kranken sterben, bevor eine Klage vor Gericht entschieden wird.

Carolina Corcho, die Gesundheitsministerin, die sich seit vielen Jahren gegen die Zerschlagung des öffentlichen Gesundheitswesens engagiert, wollte die profitorientierten Krankenkassen deshalb abschaffen. Das Dauerfeuer der bürgerlichen Medien machte das schon im Vorfeld unmöglich. «Corchos Gesetzesvorhaben sah dann vor, die Privatkassen stärker zu regulieren», erläutert Senator Benavides. Doch auch das ging den mächtigen Investor:innen zu weit. Am Ende musste Präsident Petro, der seine Ministerin nicht an die Verhandlungen mitnahm, mit den Konservativen und dem rechten Partido de la Union por la Gente einen Kompromiss aushandeln, der an der Profitorientierung des Gesundheitswesens wenig ändert.

Beunruhigend ist, dass der Widerstand gegen linke Reformen teilweise auch aus den eigenen Reihen kommt. So hat der Pacto Histórico im Februar mit Roy Barreras seinen neben Petro wichtigsten Politiker verloren, weil dieser eine neue Partei gründete. Als Senatspräsident ist Barreras so etwas wie Fraktionsvorsitzender des Regierungslagers. Doch dieser Posten hinderte ihn, der in der Vergangenheit auch schon Mitglied der Liberalen Partei und des Partido de la U war, nicht daran, eine eigene Kleinstpartei aufzubauen.

Benavides kann das nicht erschüttern. «Politiker wie Roy Barreras sind für Präsident Petro enorm wichtig. Weil sie aus den etablierten Parteien kommen, wissen sie nämlich, wie man Mehrheiten im Kongress organisiert. Dass nun Barreras gleichzeitig versucht, linken Reformen die Zähne zu ziehen, ist Teil des politischen Geschäfts.» Für Benavides ist daher klar, dass die erhofften Sozial- und Wirtschaftsreformen nur mit einer entsprechenden gesellschaftlichen Mobilisierung durchgesetzt werden können. «Ohne den Druck von sozialen Bewegungen wird keine einzige wichtige Reform gelingen.»

Stolz auf die Regierung

Dass in Kolumbien überhaupt wieder über Reformen geredet wird, hat mit dem Umstand zu tun, dass das Land 2021 von den heftigsten Protesten seit Jahrzehnten erschüttert wurde. Mitten in der Coronapandemie kam es in zahlreichen Städten zu Massenprotesten gegen die Sozialpolitik der damaligen rechten Regierung. Vor allem in der Millionenstadt Cali weiteten sich die Demonstrationen zu einem regelrechten Volksaufstand aus.

Zwei Monate lang blockierten Jugendliche Überlandverbindungen und lieferten sich Strassenschlachten mit der Polizei. Die Regierung antwortete mit heftiger Gewalt: An die hundert Personen wurden von Sicherheitskräften erschossen, etwa ebenso viele wurden verhaftet und «verschwanden». In einem Armenviertel Calis schaltete die Polizei sogar den Strom ab, um dann von Dächern und Helikoptern aus mit Gewehren auf Demonstrant:innen zu schiessen.

Diese Eskalation der Repression ebnete dem Exguerillero Gustavo Petro bei den Präsidentschaftswahlen 2022 den Weg, denn auch in bürgerlichen Parteien setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Land einem Pulverfass gleicht. Die Menschenrechtsaktivistin Berenice Celeita, die seit vielen Jahren in Cali und Umgebung arbeitet, weiss um die Bedeutung der neuen Regierung. Trotzdem ist sie wenig optimistisch, was die Reformaussichten angeht.

«In unserem Land liegt die Macht bei den grossen Unternehmen und der Armee», erklärt sie kategorisch. «Das haben wir schon bei den Friedensverhandlungen mit den Farc Mitte der zehner Jahre erlebt. Die Regierung hat damals von vornherein erklärt, dass über das Wirtschafts- und das Sicherheitsmodell nicht verhandelt werden darf.» Dabei seien genau das die zentralen Probleme: Das Wirtschaftsmodell ziele auf die Erschliessung bäuerlicher Regionen für Bergbau- und Energiekonzerne ab, und die Militärstrategie betrachte die eigene Bevölkerung potenziell als «inneren Feind».

Doch auch wenn sich Celeita skeptisch zeigt, ist sie durchaus stolz auf die neue Regierung. Vor allem die 41-jährige afrokolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez, die aus einer ländlichen Gemeinde siebzig Kilometer südlich von Cali stammt, hat es der Menschenrechtsaktivistin angetan. «Ich kenne Francia seit zwanzig Jahren, weil sie damals an einem unserer Menschenrechtskurse teilgenommen hat. Sie hat sich schon als Jugendliche gegen die Vertreibung von Bäuer:innen durch Energiekonzerne engagiert.»

Dass mit Márquez – einer alleinerziehenden Mutter aus ärmsten Verhältnissen, die sich ihren Lebensunterhalt als Hausangestellte verdienen musste – erstmals jemand aus den ärmsten Bevölkerungsschichten in ein hohes Staatsamt aufsteigen konnte, hält Celeita für enorm wichtig. «Zumal Francia ihre Identität als Schwarze immer betont hat.»

Widerstand von rechts

Doch trotz des Wahlerfolgs sei die Lage im Land nicht einfacher geworden, erklärt Celeita. «Seit dem Friedensprozess mit den Farc hat sich der Krieg bei uns und in vielen anderen Regionen weiter verschärft.» Viele von den demobilisierten Guerillakämpfer:innen hätten sich mit der organisierten Kriminalität und rechten Paramilitärs zu – wie es Celeita ausdrückt – «perversen Allianzen» zusammengeschlossen. «Ganz offensichtlich mit Rückendeckung der Armee. Das Hauptziel des Staates war immer, eine eigenständige Organisierung der Bevölkerung zu verhindern, damit sich niemand gegen Bergbauprojekte, Monokulturen oder Wasserkraftwerke zur Wehr setzt.»

Celeitas grösste Sorge ist, dass die Linksregierung die sozialen Bewegungen enttäuscht und demobilisiert. «Die Regierung Petro hat eine grosse Friedensinitiative gestartet und die ökologische Umgestaltung der Wirtschaft angekündigt. Aber es ist nicht recht zu erkennen, wie diese Slogans umgesetzt werden sollen.» Wie Senator Benavides verweist auch die Menschenrechtsaktivistin Celeita auf die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft.

«Alle Reformen, die wirtschaftliche Interessen berühren – egal ob die von Bergbaukonzernen, organisierter Kriminalität oder Privatkassen –, provozieren enorme Konflikte.» Der Widerstand von rechts sei so gross, dass die Regierung von Gustavo Petro und Francia Márquez gar nicht viel mehr erreichen könne, als Grundlagen für zukünftige Reformprozesse zu schaffen. «Das aber müsste man der Bevölkerung auch so erklären.»

Zumindest in dieser Frage scheint sich die kolumbianische Linke einig zu sein: Veränderungen wird es nur geben, wenn sich die Bevölkerung organisiert und Druck ausübt. Ob das gelingen kann, während die eigenen Hoffnungsträger:innen die Staatsspitze stellen, steht in den Sternen.