Kolumbien: Übergangsprojekt mit rechten Verbündeten

Nr. 19 –

Präsident Gustavo Petro vollzieht einen Kurswechsel und setzt wieder verstärkt aufs Militär. Viele seiner versprochenen Sozialreformen kommen derweil nicht vom Fleck.

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Gustavo Petro mit weiteren Politiker:innen und Sicherheitsleuten
Wenn das nicht zieht: Gustavo Petro (mit Hund) hat im April zwei Gesetze gegen den Missbrauch von Haustieren unterzeichnet. Foto: Luisa Gonzalez, Reuters

Nach drei Jahren Amtszeit präsentiert sich Kolumbiens erste Linksregierung in denkbar schlechter Verfassung. Es vergeht keine Woche, ohne dass sich das Team um Präsident Gustavo Petro in aller Öffentlichkeit streitet. Ende April bekräftigte Aussenministerin Laura Sarabia Korruptionsvorwürfe gegen Innenminister Armando Benedetti, in der Woche davor bezichtigte der ehemalige Aussenminister Álvaro Leyva Staatschef Gustavo Petro des Drogenkonsums.

Den Auftakt für dieses Spektakel lieferte der 65-jährige Petro selbst. In einer live übertragenen Kabinettssitzung brüskierte er im Februar seine halbe Regierung, indem er die Leistungen der eigenen Minister:innen öffentlich scharf kritisierte und den Mitte-rechts-Politiker Armando Benedetti ins Kabinett holte.

Mit der Ernennung will Präsident Petro offenbar auf Allianzen für das kommende Wahljahr 2026 hinarbeiten. Benedetti, der in den letzten zwanzig Jahren ununterbrochen zum Regierungslager gehörte und selbst dem ultrarechten Präsidenten Álvaro Uribe (2002–2010) treu diente, ist in allen Parteien bestens vernetzt. 2022 hatte er als Wahlkampfleiter massgeblich zum Sieg Petros beigetragen, war danach wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung jedoch auf einen Botschafterposten ins Ausland geschickt worden. Mit der Rückkehr Benedettis kam es zum Eklat. Umweltministerin Susana Muhamad erklärte, als Feministin könne sie mit diesem nicht zusammenarbeiten, und verkündete ihren Rücktritt.

Brüskiert wurde auch die schwarze Vizepräsidentin Francia Márquez, die als Kandidatin der sozialen Bewegungen ins Amt gewählt worden war. Petro warf ihr eine ineffiziente Amtsführung vor. Márquez entgegnete, im Unterschied zu anderen Kabinettsmitgliedern habe sie ihr Ministerium für Gleichheit erst aufbauen müssen. Tatsächlich konnte das neue und vom Verfassungsgericht schon wieder suspendierte Ministerium im vergangenen Jahr nur etwa fünfzig Prozent seines Budgets ausgeben.

«Totaler Frieden»?

Seit Petros denkwürdigem Auftritt ist praktisch das gesamte Kabinett ausgetauscht worden. Besonders symbolträchtig ist der Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Menschenrechtsaktivist Iván Velásquez, der zu den erbittertsten Gegner:innen der kolumbianischen Ultrarechten gehört, wurde durch einen Luftwaffengeneral ersetzt. Zum ersten Mal seit dreissig Jahren unterstehen Kolumbiens Streitkräfte damit wieder einem Militär.

Für Alfredo Burbano vom Sozialforschungsinstitut Cedins in Bogotá markiert dieser Ministertausch einen grundlegenden Kurswechsel. «Präsident Petro hat anfangs viele Erwartungen geweckt – vor allem in der Umwelt-, Sozial-, Agrar- und Friedenspolitik. Aber alle Sozialreformen wurden von den rechten Regierungspartnern blockiert. Und auch die Friedenspolitik ist offenkundig gescheitert», so Burbano. Unter dem Motto «Totaler Frieden» hatte Petro mit allen bewaffneten Akteuren gleichzeitig zu verhandeln versucht: Banden, Mafias, rechten Paramilitärs, den Dissidenten der demobilisierten Farc-Guerilla und der linken ELN. «Paradoxerweise setzt Petro jetzt vor allem auf eine Bekämpfung der ELN», sagt Burbano. «Es gibt eine Remilitarisierung, und zum ersten Mal seit den neunziger Jahren hat die Regierung den Ausnahmezustand verhängt.» Zwar ist das Dekret auf das von der ELN kontrollierte Grenzgebiet zu Venezuela beschränkt. Aber allein der Umstand, dass Petro eine Guerilla zum Hauptfeind erklärt hat, deren politische Ziele – soziale Gleichheit, Demokratisierung, lokale Selbstregierung und grössere Unabhängigkeit von den USA – sich von denen der Regierung auf den ersten Blick kaum unterscheiden, ist bemerkenswert.

Für Sozialforscher Burbano hat die neue Härte des Präsidenten mit dessen Bündnispolitik zu tun. Um sich Mehrheiten im Kongress zu organisieren, habe Petro von Anfang an mit der Rechten koaliert. So gelang ihm zum Amtsantritt das Kunststück, eine Allianz mit drei verschiedenen Mitte-rechts-Parteien zu schmieden. Doch genau dieses Bündnis habe den Präsidenten schnell vor grosse Probleme gestellt. «Die Rechte forderte für ihre Regierungsbeteiligung einen Preis: Posten und Gelder. Vor allem aber blockierte sie die zentralen Sozialvorhaben von innen», erläutert Burbano. Die – gut vorbereitete – Gesundheitsreform, in deren Rahmen Petro 2023 wieder eine öffentliche Gesundheitsversorgung aufbauen wollte, sei von Heckenschützen aus der Koalition zu Fall gebracht worden.

Der Präsident kündigte damals seine Regierungskoalition zwar auf, ging aber weiter auf die ehemaligen Verbündeten zu. «Seitdem nimmt sich die Regierung ständig selbst zurück», erklärt Burbano. Nachdem nun auch eine geplante Reform zur Erweiterung von Arbeits- und Beschäftigtenrechten im Kongress gescheitert ist, setzt Petro auf ein Referendum. Für dieses jedoch braucht der Präsident ein Quorum von 13 Millionen Stimmen – gewählt wurde er mit 11,3 Millionen.

Aus Burbanos Sicht haben sich die Hoffnungen auf transformatorische Reformen damit zerschlagen. Als positiver Aspekt bleibe hingegen, dass die Regierung Petro auf eine harte Unterdrückung von Sozialprotesten bislang verzichtet habe. Wohl auch deshalb ist die Position der sozialen Bewegungen uneinheitlich. «Die Mehrheit der Indigenenverbände und der Gewerkschaften ist nach wie vor in die Regierung eingebunden», erläutert Burbano. «Aber in den Konfliktgebieten, wo Petro für eine militärische Lösung plädiert, fühlen sich die Bauernorganisationen betrogen. Die versprochenen Infrastruktur- und Sozialprogramme sind dort ausgeblieben.»

Alternativlose Strategie?

Ganz anders bewertet die Lage Donka Atanassova, Politikerin der vom Präsidenten ins Leben gerufenen Partei Pacto Histórico (Historischer Pakt). Die 43-Jährige, die aus den sozialen Bewegungen kommt und schon für Petro arbeitete, als dieser 2012 Bürgermeister von Bogotá wurde, hält die Strategie des Präsidenten für alternativlos. «Der kolumbianische Staat war immer in den Händen von einigen Dutzend Familien. Unter Petro wurden Verwaltung und Haushalt demokratisiert», sagt Atanassova. «Erstmals wurden öffentliche Aufträge nicht unter der Hand an die Unternehmen der Eliten vergeben. Wer sich mehr erwartet hat, muss schon sehr naiv sein.»

Tatsächlich hat Petro seine Regierung immer als «Übergangsprojekt» bezeichnet. Da die Macht der alten Eliten tief in den Institutionen verankert sei, werde man zwei Legislaturperioden brauchen, um Voraussetzungen für echte Sozialreformen herzustellen, fasst Atanassova die Sicht des Präsidentenlagers zusammen. Zwar sei richtig, dass der Widerstand der Koalitionspartner die wichtigsten Reformvorhaben blockiert habe. «Aber Petro hat trotzdem etwas geschafft, was vor ihm nur der Ultrarechten gelungen ist: Er hat das Parteienspektrum durcheinandergewirbelt.»

Für die nächstes Jahr anstehenden Wahlen sieht Atanassova die Möglichkeit ganz neuer politischer Allianzen. «In allen Parteien der Mitte gibt es mittlerweile Politiker, die sich zu Petro bekennen.» Ziel der Regierungspartei sei ein «Frente Amplio», ein breites Mitte-links-Bündnis, wie es zuletzt in Uruguay erfolgreich war. «Im Oktober werden wir interne Vorwahlen abhalten. Im Mai 2026 dann wird es eine weitere Runde geben, um den gemeinsamen Spitzenkandidaten des Frente Amplio zu bestimmen.»

Währenddessen wird die Regierungspartei den Kongress durch eine Massenmobilisierung vor sich hertreiben. Das Projekt, die Bevölkerung in einem Referendum über die blockierte Arbeitsreform abstimmen zu lassen, ist populär. Laut Umfragen befürworten über fünfzig Prozent die Volksbefragung.

Der Menschenrechtsaktivist José Benito Garzón ist allerdings skeptisch, ob sich das Regierungslager damit durchsetzen kann. Dabei stellt Garzón, der in der südwestkolumbianischen Millionenstadt Cali Angehörige von Polizeiopfern unterstützt, das politische Geschick des Präsidenten nicht infrage. «Die Grösse der Demonstrationen für die Volksbefragung hat mich überrascht», sagt er. Mitte März sind eine halbe Million Menschen auf die Strasse gegangen, um dem Präsidenten den Rücken zu stärken. Doch Garzón glaubt nicht mehr an das Reformprojekt – vor allem wegen der Rückkehr zur Repression in den Konfliktgebieten. «Als Petro antrat, war die Hoffnung gross, dass die sozialen Ursachen der Gewalt endlich bekämpft werden würden. Jetzt dagegen erleben wir die Wiederkehr alter Lösungen.»

Gescheiterte Verhandlungen

Garzón arbeitete in den vergangenen beiden Jahren auch in einer Kommission, die die Friedensverhandlungen zwischen Regierung und ELN-Guerilla begleiten sollte. Ihr Ziel war der gesellschaftliche Dialog über notwendige Sozialreformen. Doch bevor die Debatte überhaupt in Gang kam, war sie schon wieder beendet. «Auch Petro versteht unter Frieden in erster Linie die Demobilisierung illegaler Gruppen», sagt Garzón. «Meiner Ansicht nach ist dieses Verhandlungsmodell überall in Lateinamerika gescheitert.»

Nicht zuletzt die Gewalteskalation im Nordosten Kolumbiens selbst scheint ihm recht zu geben. Anfang 2025 brachen an der Grenze zu Venezuela heftige Kämpfe aus. Präsident Petro warf der ELN daraufhin vor, den Drogenhandel kontrollieren zu wollen. Die linke Guerilla ihrerseits beschuldigte die Armee, ehemalige Farc-Kämpfer als Paramilitärs einzusetzen. Es seien die sogenannten Farc-Dissidenten, die den Drogenanbau in der Region förderten.

Fakt ist auf jeden Fall, dass die versprochenen Sozialprogramme in der Region ausgeblieben sind und die Probleme jetzt wieder militärisch gelöst werden sollen. Von einem Ende der bewaffneten Konflikte ist Kolumbien auch nach einer Amtszeit von Präsident Petro weit entfernt.