Ukraine: Russlands Kriegsjustiz statuiert ein Exempel

Nr. 12 –

Der ukrainische Journalist und Menschenrechtler Maxim Butkewitsch wird von Russland zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. Das Urteil verstosse gegen die Genfer Konvention, kritisieren Menschenrechtsorganisationen.

Dreizehn Jahre Straflager unter verschärften Bedingungen: So lautet die Strafe gegen Maxim Butkewitsch. Als Mitglied der ukrainischen Armee war er im Juni nach nur wenigen Tagen an der Front in Kriegsgefangenschaft geraten. Seither gab es von Butkewitsch nur vereinzelte Lebenszeichen; lediglich einmal erhielt er die Erlaubnis, vom Arbeitszimmer eines Ermittlungsbeamten aus seine Eltern anzurufen. Die Festnahme des in der Ukraine bekannten Journalisten, Menschenrechtlers und «No Borders»-Aktivisten diente den russischen Propagandamedien als Anlass zu hämischer Berichterstattung (siehe WOZ Nr. 31/22). Schon allein deshalb war davon auszugehen, dass ihm eine Sonderstellung unter den gefangenen Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte zukommen würde.

Das Urteil ist eines der ersten, die in der von Russland annektierten Luhansker Volksrepublik nach russischem Recht gegen einen ukrainischen Offizier gefällt wurden. Es gab keinen öffentlichen Schauprozess, das Gerichtsprozedere gegen den 46-Jährigen lief hinter verschlossenen Türen ab. Butkewitschs Anwalt, Leonid Solowjow, hatte sich in den Monaten zuvor bemüht, wenigstens den Aufenthaltsort seines Mandanten herauszufinden. Von der Verurteilung erfuhr er erst im Nachhinein und erhielt nicht einmal Einblick in die Ermittlungsakten.

Am 10. März veröffentlichte die russische Ermittlungsbehörde lediglich eine kurze Meldung über frisch gefällte Urteile gegen drei ukrainische Kriegsgefangene in Donezk und Luhansk. Dem Text ist zu entnehmen, dass es sich bei den Verurteilten neben Butkewitsch um zwei Angehörige des Asow-Regiments handelt, das der ukrainischen Nationalgarde untersteht. Deren Strafmass wurde mit 18,5 beziehungsweise 8,5 Jahren Freiheitsentzug bemessen.

Unhaltbare Tatvorwürfe

Die Gerichte sahen es als erwiesen an, dass alle drei ukrainischen Staatsbürger in brutaler Weise und mit unzulässigen Methoden gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen seien. Butkewitsch war zudem wegen versuchten Mordes und Sachbeschädigung angeklagt. Er soll, so behauptet es die Anklage, am 4. Juni 2022 als Anführer einer kleinen Truppeneinheit den Befehl erhalten haben, Wohnhäuser in der Stadt Sjewjerodonezk zu sichern. Vom ersten Stock eines Mehrfamilienhauses aus habe er in einer Wohnung auf der gegenüberliegenden Strassenseite Zivilpersonen bemerkt und daraufhin eigenhändig in Tötungsabsicht mit einer Panzerfaust auf sie geschossen. Dabei hätten zwei Frauen Verletzungen davongetragen; ausserdem sei Sachschaden entstanden.

Zur Untermauerung der Anklage veröffentlichte die Ermittlungsbehörde den Videomitschnitt eines Verhörs. Es zeigt Butkewitsch bei einem Geständnis, die ihm zur Last gelegten Taten begangen zu haben. Verwandte, Freund:innen und Bekannte haben indes allen Grund anzuzweifeln, dass die Tatvorwürfe gegen ihn auch nur im Geringsten der Wahrheit entsprechen. So liess der Kyjiwer Journalist Anton Naumliuk auf seinem Telegram-Kanal verlauten, dass sich Butkewitsch im besagten Zeitraum gar nicht am vermeintlichen Tatort aufgehalten haben könne; vor dem 14. Juni habe dieser noch tagtäglich mit Kolleg:innen kommuniziert und Verabredungen in Kyjiw getroffen. Erst an jenem Tag teilte er mit, dass seine Einheit aus dem Umland der Hauptstadt in den Donbas verlegt werde.

Nach der russischen Gesetzeslage kann das Gerichtsurteil angefochten werden, doch angesichts der plakativen Vorgehensweise der russischen Justiz dürfte die Berufungsinstanz zu keiner anderen Entscheidung kommen. Ukrainische Menschenrechtsorganisationen halten das gesamte Verfahren für ein Konstrukt und sprechen ihm jegliche Rechtsgrundlage ab.

Verstoss gegen Genfer Konvention

Aleksander Pawlitschenko, geschäftsführender Direktor der ukrainischen Helsinki-Gruppe, wies gegenüber dem ukrainischen Onlineportal Graty zudem auf den Umstand hin, dass Butkewitsch und die beiden Asow-Angehörigen als Kriegsgefangene unter den Schutz des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten fallen. Dazu gehören auch die Mitglieder bewaffneter Streitkräfte nach Aufgabe des Kampfes. Das Genfer Abkommen verbietet «Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmässig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet».

Pawlitschenko fordert, dass die Verurteilten im Rahmen eines Gefangenenaustauschs an die Ukraine übergeben werden. Zwar finden in unregelmässigen Abständen Austausche statt, doch machen Offiziere dabei nur einen geringen Anteil aus. Ausserdem gestaltet sich die Kommunikation zwischen den zuständigen russischen und ukrainischen Stellen selbst unter Beteiligung vermittelnder Instanzen – darunter die Türkei und die Arabischen Emirate – recht zäh. So brachten auch als vielversprechend angekündigte Gespräche im Januar in Ankara nicht den erhofften Durchbruch, wenngleich im Anschluss daran immerhin Dutzende verwundete Kriegsgefangene in ihre jeweiligen Heimatländer zurückkehren durften.

Ob das Gerichtsurteil Maxim Butkewitschs Chancen auf seine Freilassung in absehbarer Zukunft erhöht, ist fraglich. Sicher ist nur: Russland treibt durch das Urteil den Preis für seinen Austausch in die Höhe.