Aargauer Kunsthaus: Niedliche Dämonen

Nr. 16 –

Etwas verschroben auf den ersten, sehr gegenwärtig auf den zweiten Blick: In Aarau lädt der jurassische Künstler Augustin Rebetez zu einem Rundgang durch seine freundlich-düstere Welt.

Installation «Throw Your Shadows» (2018) von Augustin Rebetez
Das Video als Stoff zur belebenden Verwirrung der Sinne: «Throw Your Shadows», 2018. Still: © Augustin Rebetez

Die dämonischen Wesen bewegen sich wie von Geisterhand. Sie machen irrwitzige Verrenkungen, werden durch den Raum und über Hindernisse geschleift, ein fiebriges Ruckeln geht durch jede Bewegung. Stop-Motion heisst der technische Zauber, mit dem die Körper hier mit einzeln aufgenommenen Bildern in Bewegung versetzt werden. Dazwischen abstrakte Choreografien aus Objekten oder sich selbst auftragender weisser und schwarzer Farbe, die kontrastreichen, frickeligen Bilder fesseln den Blick. Die Wesen bedienen verschiedene Geräte, um weitere Wesen zu beseelen, auch eine Art Maschinenmagie. Hat der Künstler hier seine eigene Praxis inszeniert?

«Throw Your Shadows» heisst der dreizehnminütige Film, zu sehen ist er derzeit im Aargauer Kunsthaus, in der bisher grössten Einzelausstellung des im Jura aufgewachsenen und lebenden Künstlers Augustin Rebetez. Den Ausstellungstitel «Vitamin» kann man gut als psychedelische Metapher verstehen: Stoff zur belebenden Verwirrung der Sinne. Ein Horrortrip könnte das sein, tiefes Schwarz dominiert diese Welt, Fratzen und morbide Masken, surreale Maschinen und okkulte Symbole. Doch das alles ist nicht halb so furchteinflössend, wie es vielleicht klingt.

Im Erlebnispark

Das hat mit Rebetez’ absurdem Humor zu tun, aber auch damit, dass die meisten dieser Wesen überaus freundlich wirken, viele geradezu niedlich. Ein Rundgang durch die Ausstellung reicht, um sie an mancher Ecke anzutreffen und Beziehungen aufzubauen. Zuallererst zu den archaisch wirkenden Vögeln, die in gegossenem Metall durch den Museumshof segeln, in einem dunklen Raum als Laterne leuchten oder als Totem auf einem Friedhof stehen. Rebetez ist ein Meister der Weltenbildung.

Um was geht es in dieser Welt? Seine Kunst brauche keine Erklärung, sagt Rebetez, umgeben von einer Traube Leute im Museumsfoyer. «In einem Vergnügungspark sagt dir auch niemand, dass du Spass haben sollst.» Der Künstler ist zu Besuch in Aarau, für die Premiere seines Kurzfilms «Love of God: In Quarantine», in dem die gereizte Langeweile einer Wohngemeinschaft in Wahn, Entrückung und Erleuchtung kippt.

Auf dem Rundgang durch die Ausstellung mit Kuratorin und Direktorin Katharina Ammann beteiligt sich Rebetez kaum am Gespräch über die Semantik seiner Kunst. Der Titel des Films? Ein blöder Einfall, keine Bedeutung. Macht er sich in einer Szene lustig über die Mystifizierung des künstlerischen Schaffens? Bloss eine spontane Idee der Schauspielerin. Man fragt sich, ob nicht auch diese Arglosigkeit eine Mystifizierung ist, doch Rebetez scheint nicht von einer Lust auf Verweigerung motiviert. Wenn er über sich selber spricht, geht es oft um Alltäglichkeiten seines Berufs oder um Fleiss: «Das Entscheidende ist, viel zu arbeiten, sich nicht entmutigen zu lassen.»

Die Emsigkeit ist unschwer zu erkennen in der beeindruckenden Fülle von Videoarbeiten, Skulpturen, Zeichnungen und Fotomontagen, die sich zu raumfüllenden Installationen verbinden. Jeden Saal hat Rebetez vor Ort gestaltet, viele Arbeiten sind erst in diesem Jahr entstanden. Tatsächlich gleicht die als Rundgang angelegte Ausstellung einem Erlebnispark, eine einnehmende Welt folgt auf die andere, nicht selten wird man ein bisschen durchgeschüttelt. Gleich zu Beginn flackern riesige bunte Worte zum Beispiel rhythmisch über einen Bildschirm, während die Installation im Nebenraum rattert. Auf ein Händeklatschen klappert ein behorntes Schauerwesen mit seinem Gebiss, an entstellten Porträts von Diktatoren vorbei gehts ins «Cinema Panico», wo in einem der Kurzfilme gerade eine Bierdose mit einem Beil gespalten wird. Zum Film «Throw Your Shadows» gelangt man durch einen rot beleuchteten Gang kurz vor dem Ende des Parcours, das wäre dann die Geisterbahn.

Faule Kunst

Die rohen Oberflächen, das handwerkliche Ethos, eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Trends, die Arbeit im Kollektiv und ab vom Schuss – vieles an dieser Kunst erinnert an das Labelkollektiv Hummus Records aus La Chaux-de-Fonds um Musiker:innen wie Louis Jucker und Emilie Zoé. Rebetez hat selber Videoclips und Plattencovers für das Label gestaltet, verwendet Musik von dort in seinen Werken. Jedoch kann die Perspektive der jurassischen Eigenwilligkeit auch davon ablenken, wie gegenwartsbezogen diese Kunst ist. Das beginnt beim comichaften Stil, der an wenigen Kohlestrichen und in diversen Medien und Materialien sofort erkennbar ist; Rebetez versieht seine Rauminstallationen gar mit passenden Piktogrammen. Das funktioniert in räumlichen Kontexten oder in einem Buch, aber auch wunderbar im Netz.

Vor allem jedoch ist das ständige Nebeneinander von Technologie und Spiritualität, von digitaler Vernetzung und eigensinnigen Ritualen fest in der Gegenwart verankert. Rebetez spielt auch mit Bewertungen. Eine religiös anmutende Stätte – vielleicht eine verlassene Kapelle, die von einem friedfertigen schamanischen Kult übernommen wurde – folgt auf einen Raum mit digital verzerrten Katzenbildern. Der Künstler nennt sie «lazy art», weil er dafür nur im Bett liege und Photoshop bediene. Vielleicht ist diese Unmittelbarkeit doch nicht so unschuldig, immerhin sagt das ein Hyperproduktiver, der nach einem langen Tag in der Werkstatt auch in der angeblichen Ruhezeit noch ein paar Werke mit Kunsthausqualität schafft.

«Augustin Rebetez. Vitamin» läuft bis zum 29. Mai 2023 im Aargauer Kunsthaus in Aarau.