Kunst: Picknick auf dem Mars

Nr. 35 –

Kosmische Reisen durch fossile Landschaften: Im Kunsthaus Aargau ist der Genfer Künstlerin Pauline Julier erstmals eine grosse Einzelausstellung gewidmet.

Kunstinstallation «Million-Year Picnic» von Pauline Julier
Bühne frei für den Dialog zwischen drei Forschenden: Frei nach Ray Bradbury lädt Pauline Julier zu einem «Million-Year Picnic». Foto: Margot Sparkes, © Pauline Julier

Die Natur? Gibt es nicht, sie ist ein kulturelles Konstrukt, eine Erfindung. Und ihr Erfinder, der Mensch, hat sie immer auch mit den Mitteln der Kunst beschworen. Unsere Vorstellung davon, was wir für «Natur» halten, ist geprägt von der Landschaftsmalerei samt ihren späteren Ausläufern etwa in der Tourismuswerbung oder heute auf Instagram.

Im Chinesischen dagegen, so berichtet die Schweizer Künstlerin und Filmemacherin Pauline Julier, gebe es nicht einmal ein Wort für «Landschaft». Das klingt erst mal verblüffend. Aber wie so oft, wenn es irgendwo heisst, dass eine bestimmte Sprache kein Wort für dies oder jenes habe, ist es auch hier nur halb wahr – meist heisst das einfach, dass stattdessen mehrere mögliche Umschreibungen geläufig sind. Auf Chinesisch ergeben die Zeichen für «Berg» und «Wasser» zusammen etwas wie «Landschaft», die klassische chinesische Landschaftsmalerei heisst denn auch wörtlich «Berg-Wasser-Malerei». Julier bevorzugt eine andere gängige Umschreibung, die mehr ins Atmosphärische geht, zusammengesetzt aus den chinesischen Zeichen für «Wind» und «Licht». «Wind-Licht», so fragt sie, klinge das nicht wie eine Definition des Kinos?

Mit einem Sturm aus Licht eröffnet Pauline Julier ihre erste grosse Einzelausstellung im Kunsthaus Aargau. Auf Grossleinwand eine verlangsamte Animation der Nasa: Supernova! Kernkollaps in Zeitlupe, ein Gleissen in kosmischer Nacht, milliardenfach heller als die Sonne. Anfangs sieht das aus wie eine Orange, die von innen verglüht, dann eine Explosion von Licht. Eine Chiffre für die Katastrophe, der wir sehenden Auges entgegengehen, oder auch der Anfang von etwas Neuem? Das Video der US-Raumfahrtbehörde liefert gewissermassen den Urknall für Juliers Expedition durch fossile Landschaften: im Vulkangestein, auf den Spuren urzeitlicher Wälder in China, auf irdischem Testgelände für den Mars.

Astromobil in ewiger Ruhe

Im zweiten Raum steht dann gleich auch eine begehbare Holzhütte auf Stelzen, Funktion unklar: Biwak, Observatorium, Raumkapsel? Und in der esoterischsten Ecke wabert es in einer Höhle, ein Video wie ein Vexierbild: Abgrund oder Mutterleib? Im letzten Raum dann, am Ende dieses kosmischen Rundgangs: Ankunft auf dem Mars. Schräg auf dem Boden liegt da eine maschinell bedruckte Tapisserie, die einen Marsrover nach seinem Ableben zeigt. Die Maschine hat ihren Geist aufgegeben, kein Empfang mehr da oben. Julier verknüpft hier buchstäblich die Zeiten und Räume, das Analoge und das Digitale: Pixel auf Stoff, altes irdisches Teppichhandwerk zum Gedenken an unseren mechanischen Pionier auf dem Mars.

Ihre Arbeit bestehe darin, «von den Verbindungen zwischen Dingen zu erzählen», sagt die Künstlerin in einem Gespräch mit der Philosophin Donna Haraway, das im Katalog zur Ausstellung abgedruckt ist. Man könnte auch sagen: Sie nutzt die Forschung von Nasa und anderen wie eine Mine, um daraus eine Art von Poesie zu extrahieren. An der Videoex in Zürich wurde Pauline Julier dieses Jahr mit einer Werkschau geehrt, und wer ihre Filme kennt, sieht diese im Museum teils aufgefächert und in den Raum verteilt und irgendwie auch: gestreckt. Das ganze Erdgeschoss im Kunsthaus Aargau, es ist insgesamt wohl noch etwas zu gross für dieses Werk. Dennoch: Juliers Spiel mit verschiedenen Medien, Formaten und Präsentationsformen – analog und digital, Wandbild und Diaschau, Holzplastik und Videowand – entfaltet durchaus einen assoziativen Reiz.

Wo das Wasser fliesst

Erde und Mars, Berg und Wasser: Alle diese Landschaftsmotive kommen in der Videoarbeit zusammen, die in Aarau den grössten Raum einnimmt. «Follow the Water» (2023) heisst der Film, hier als Drei-Kanal-Projektion im überdimensionierten Breitwandformat. Schauplatz: die Atacamawüste in Chile. Dort werden Ressourcen wie Lithium abgebaut, während die Nasa die Wüste als Testgelände für ihre Marsforschung nutzt. Auch der Titel des Films geht auf die Nasa zurück: «Follow the Water» ist deren Losung bei der Frage, ob es auf unserem Nachbarplaneten Leben geben könnte.

Aber dem Wasser folgen, das heisst in Zeiten der Privatisierung natürlicher Ressourcen immer auch: dem Fluss des Geldes folgen. Davon erzählt in dem Film die indigene Aktivistin Karen Luza, von der sich Julier das Motto für die ganze Ausstellung geliehen hat: «A Single Universe». Der Titel erinnert daran, alles Lebendige als ein Ganzes zu sehen, als ein einziges Universum – wobei die Ausstellung auch diese Setzung selber wieder dekonstruiert.

Denn was ist das überhaupt: Leben? Je nachdem, welche Forschungsrichtung man fragt, fällt die Definition ganz anders aus, so zeigt «A Million-Year Picnic» (2024), die jüngste Arbeit in der Ausstellung. Inspiriert von Ray Bradburys gleichnamiger Kurzgeschichte, hat die Künstlerin drei Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen zu einem Picknick auf dem Mars versammelt (zumindest auf einer Studiobühne, die diesem nachempfunden ist). Dabei zeigt sich, dass die Unterscheidung zwischen lebendig und nichtlebendig womöglich auch nur die Grenzen unserer beschränkten Wahrnehmung widerspiegelt. Und wenn der Mensch auf dem Mars nach Leben sucht: Was könnte er dort überhaupt finden, wo er doch vor allem sich selbst sucht?

Pauline Julier, «A Single Universe» in: Aarau, Kunsthaus Aargau, bis 27. Oktober 2024. Gespräch mit Pauline Julier, mit Listening Session von Sandar Tun Tun: Do, 5. September 2024, 18 Uhr.