Gewalt im Sudan: Freie Fahrt für die Generäle
Die brutalen Kämpfe im Sudan haben deutlich gemacht, wovor Teile der Zivilgesellschaft schon lange warnen: Den Machthabern Burhan und Hemeti ist nicht zu trauen. Die Kritik trifft auch den Westen.
«Die Lage ist furchtbar», sagt Ahmed Ismat in einer Sprachnachricht über Whatsapp. Er schickt sie aus der nordsudanesischen Stadt Wadi Halfa. Vor zwölf Tagen hat der 26-jährige Student sein Zuhause in der Hauptstadt Khartum verlassen, die seit Mitte April von einem grausamen Machtkampf zwischen zwei skrupellosen Generälen zerrissen wird.
«Am Tag zuvor hatten die Gefechte unsere Nachbarschaft erreicht», sagt Ismat. Die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) des Milizenführers Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, hätten sich dort in mehreren Gebäuden eingenistet – unweit einer Kaserne der regulären Streitkräfte unter der Führung von Hemetis Gegenspieler, General Abdel Fattah al-Burhan. «Das Militär nahm RSF-Stellungen unter Beschuss, ihre Kämpfer versteckten sich in Häusern der Anwohner», berichtet Ismat. «Die ganze Nacht über harrten wir unter dem Bett aus.» Am nächsten Morgen floh er mit seiner Familie. «Mein Viertel ist jetzt quasi ein Stützpunkt der RSF, sie kontrollieren die Nachbarschaft, leben im Haus eines Freundes – vielleicht inzwischen auch in meinem», sagt er bitter.
Gescheiterter Übergangsprozess
Seit Mitte April erschüttern die Gefechte zwischen Militärs und Paramilitärs Khartum sowie andere Teile des Landes. Mehr als 528 Zivilist:innen wurden gemäss dem sudanesischen Gesundheitsministerium bereits getötet, über 4600 verletzt. Die tatsächliche Zahl dürfte um einiges höher sein. Die humanitäre Lage ist katastrophal, es fehlen lebenswichtige Güter, Strom und Wasser. Mehr als 100 000 Menschen sind laut der Uno in die Nachbarländer geflohen. Trotz einer seit Freitag ausgerufenen Waffenruhe halten die Kämpfe an.
Mit dem Gewaltausbruch ist der Übergangsprozess gescheitert, der den Sudan nach dem Sturz des Diktators Umar al-Baschir im April 2019 in Richtung Demokratie führen sollte – begleitet von einer Vielzahl internationaler Akteure. In der Protestbewegung, die sich damals gegen Baschir gestemmt hatte, hat der Glauben an diesen Prozess allerdings schon länger gebröckelt. Einige sind auch enttäuscht über das Vorgehen der internationalen Gemeinschaft, die Burhan und Hemeti für einen Übergangsprozess stets als Teil der Lösung betrachtete.
«Es war abzusehen, dass uns dieser Prozess einem Bürgerkrieg näherbringt», sagt etwa Ahmed Ismat. Er ist Mitglied des Widerstandskomitees Khartoum South, einer der Graswurzelorganisationen, die massgeblich an den Protesten von 2019 beteiligt waren und auch seither einen demokratischen Wandel fordern. Einen, der für sie nicht gelingen kann, solange machthungrige Militärchefs und Milizenführer politische Schlüsselpositionen besetzen.
Besonders Hemeti hatte seine Skrupellosigkeit unter Beweis gestellt, lange bevor er an Burhans Seite die Macht im Land übernahm. Im Darfurkrieg, bei dem zwischen 2003 und 2008 mehr als 300 000 Menschen getötet wurden, verübten die von ihm befehligten Dschandschawid-Milizen Massaker. 2013 entstanden aus ihnen die RSF, die direkt Diktator Baschir unterstellt waren. Ihr Kommandant Hemeti wurde zu einem der mächtigsten und reichsten Männer im Sudan, unter anderem, weil er grosse Teile des Goldvorkommens unter seine Kontrolle brachte. Die offizielle Armee ihrerseits kontrolliert schon lange grosse Teile der Wirtschaft, darunter Banken und Agrarkonzerne.
2019, als das Militär Baschir nach monatelangen Protesten absetzte, zeigten sich Armee und RSF bald wieder von ihrer hässlichsten Seite. Am 3. Juni schlugen die RSF ein Sit-in vor dem Armeehauptquartier in Khartum nieder, bei dem Teilnehmer:innen eine Machtübergabe in zivile Hände forderten, und töteten mindestens 120 Personen. Die Armee verschloss laut Überlebenden ihre Tore vor jenen, die Zuflucht suchten. Auch international war die Aufregung gross. «Natürlich ist es so gut wie unmöglich, diese bewaffneten Akteure in einem Übergangsprozess einfach beiseitezustellen», sagt der Sudankenner und Experte für internationale Konfliktlösungen Sharath Srinivasan von der Universität Cambridge. «Doch die Vermittler hätten nach dem Blutbad ehrgeizigere Forderungen stellen können. Etwa eine Übergangsregierung unter ziviler Führung.»
Händchenhalten und Besänftigung
Stattdessen einigten sich Armee, RSF und eine zivile Koalition im August 2019 auf eine vorläufige Machtteilung in einem Souveränen Rat. Die Militärs unter Burhans Führung übernahmen den Vorsitz zuerst, Hemeti wurde sein Stellvertreter. Laut Beobachter:innen geschah die Einigung auf Druck des Westens, insbesondere der USA. «Es gab viel Händchenhalten und Besänftigung dieser Generäle, weil die USA dachten, sie könnten irgendwie Reformer aus ihnen machen», sagte die sudanesische Analystin Kholood Khair dazu kürzlich dem US-amerikanischen «New Lines Magazine».
Dass die Generäle nicht daran dachten, ihre Macht abzugeben, wurde im Oktober 2021 deutlich. In einem Putsch setzte Armeechef Burhan mit Hemetis Unterstützung zivile Teile der Übergangsregierung ab, kurz bevor diese den Vorsitz des Souveränen Rates übernehmen sollten. Wohl auch aus Angst, dies könnte die Kontrolle des Sicherheitsapparats über die sudanesische Wirtschaft beschneiden.
«Zu diesem Zeitpunkt haben Europa und die USA dabei versagt, die Generäle ganz deutlich für den brutalen Putsch zu bestrafen», sagt Sudanexpertin Anette Hoffmann vom niederländischen Thinktank Clingendael Institute. Zwar wurde das Vorgehen scharf verurteilt, die USA legten auch Unterstützungsgelder in der Höhe von 700 Millionen US-Dollar auf Eis. Doch am Fahrplan der Vermittler:innen änderte sich wenig. Nur wenige Tage später sagte der damalige US-Sonderbeauftragte für das Horn von Afrika, Jeffrey Feltman, zur Stabilität des Sudan bedürfe es einer Wiederherstellung der zivil-militärischen Partnerschaft.
«Die Idee des Westens: Die Hauptsache ist, erst ein endgültiges Rahmenabkommen durchzubringen, um dann durch wirtschaftliche Unterstützung das Land voranzubringen und weiter in Richtung Demokratie zu arbeiten», sagt Hoffmann. «Die Generäle hat man im Verhandlungsprozess ohne jede Vorbedingung als Hauptakteure akzeptiert.» Dabei hätte der Putsch ihr zufolge die Gelegenheit geboten, mit gezielten Sanktionen gegen Hemeti und Burhan, gegen von ihnen kontrollierte Unternehmen und Geschäftspartner Druck aufzubauen – und so alles zu versuchen, um sie früher aus dem politischen Prozess zu drängen.
Mehr als ein Jahr nach dem Putsch, im Dezember 2022, gelobten die Generäle erneut, die Macht in zivile Hände abgeben zu wollen, und stimmten einem vorläufigen Rahmenabkommen zu. Vorangebracht hatten es die Uno und die Afrikanische Union, unterstützt durch die USA, Saudi-Arabien, die Emirate und Grossbritannien. Kritische Punkte wie die Reform des Sicherheitssektors wurden auf spätere Gespräche verschoben. Zeitgleich demonstrierten auf den Strassen Tausende gegen das, was sie als Verlängerung des Putschs sahen. Sie sollten recht behalten.
Keine Ende in Sicht
Ein endgültiges Abkommen kam nie zustande. Wieder machten die Generäle deutlich, dass sie eine Beschneidung ihrer Macht nicht akzeptieren und sie auch nicht miteinander teilen wollen. Ein Streit über die vorgesehene Eingliederung der RSF in die Armee führte zum Bruch der Zweckgemeinschaft Burhan-Hemeti. Beide Seiten griffen zu den Waffen. Absehbar sei dies schon länger gewesen, sagt Hoffmann, «durch massive Rekrutierungen, vor allem in der fragilen Region Darfur, durch Truppenbewegungen und einen zunehmend feindseligen Umgang der Generäle miteinander».
Ein Ende des Machtkampfs ist nicht in Sicht. Zwar haben beide Anführer laut dem Uno-Sondergesandten Volker Perthes zugestimmt, Vertreter zu Verhandlungen für eine stabile Waffenruhe zu schicken. Perthes warnte aber vor zu hohen Erwartungen. Dennoch seien Anstrengungen, beide Lager wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, unabdingbar, sagt Anette Hoffmann. Sollte es dazu kommen, müsste, anders als bisher, auch die basisnahe Zivilgesellschaft stark eingebunden werden. «Es ist zwar unmöglich, dass die Armee und die RSF in naher Zukunft keine Rolle mehr spielen werden.» In Bezug auf ihre Anführer Burhan und Hemeti aber sei die Sache klar: «Politisch dürfen sie diesen Krieg nicht überleben.»