Kino: Unheil am Horizont
Wie kann man das alles einfach ignorieren? Christian Petzolds neuer Film «Roter Himmel» lässt sich als beklemmende Komödie über die Klimakatastrophe sehen.
«Etwas stimmt nicht»: Es sind die ersten gesprochenen Worte in «Roter Himmel», dem neuen Film von Christian Petzold. Wie viele weitere Sätze, die der Berliner Regisseur seine Figuren aussprechen lässt, beziehen sie sich auf etwas Konkretes, meinen aber auch alles andere.
Hier ist es der Benzinmotor, der seltsame Geräusche macht. Bei der Inspektion erst Rauch, dann ein Knall. Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) stehen verloren im Wald, aus dem Dickicht grunzt bedrohlich ein Wildschwein. Bis zur Ferienwohnung an der Ostsee sind es noch einige Kilometer zu Fuss. Leon findet die Situation überhaupt nicht märchenhaft, Felix lässt ihn an einer Kreuzung alleine warten. Durch das Blätterdach dringt der Lärm von Löschflugzeugen. Später hört man, dass sich die Waldbrände im Westen der Gegend trotz aller Bemühungen nicht unter Kontrolle bringen lassen.
Etwas stimmt also tatsächlich überhaupt nicht. Doch während das latente Gefühl des Unheimlichen, das sich schon länger auf die Wirklichkeit gelegt hat, in anderen filmischen Erzählungen meist etwas Bedrohliches hat, deutet es Petzold hier zur beklemmenden Komödie um. Nur dass es, von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen, kaum etwas zu lachen gibt.
Künstler mit Sonnenbrand
Etwas stimmt nicht mit Leon. Er ist Schriftsteller, gerade am letzten Schliff seines zweiten Romans. Er ahnt vermutlich, dass dieser misslungen ist, kann es sich aber selbst noch nicht eingestehen. Nervös blickt er dem Besuch seines Lektors (Matthias Brandt) entgegen. Unterdessen missgönnt er allen Anwesenden ihre Freiheiten, während er sich selbst als gewissenhaften Künstler inszeniert; definitiv produktiver und intelligenter als alle anderen in ihrer Gelassenheit, ihrer Fröhlichkeit. Ständig drängt er Felix dazu, mit seiner Arbeit zu beginnen – einer Bewerbungsmappe für die Kunsthochschule.
Doch Felix will «erst mal ankommen», repariert das undichte Dach, freundet sich locker mit einem Rettungsschwimmer (Enno Trebs) an und hat dann auch eine wunderschöne poetische Idee für sein Fotografieprojekt zum Thema Wasser, während Leon den Tag verschläft und sich einen Sonnenbrand holt. Danach kritisiert Leon Felix’ Plan, Menschen dabei zu fotografieren, wenn sie aufs Meer schauen. Sowieso sei Wasser kein Thema, sondern eher ein Element, und Porträts von Leuten, die aufs Meer schauen, seien in Wahrheit doch solche, die in eine Kamera blicken. Leon ist nicht der angenehmste Mensch.
Wasser war das Thema – Pardon, das Element – in Petzolds letztem Film «Undine» (2020). Damals kündigte der Filmemacher an, dass seine nächsten Filme eine Trilogie der Elemente bilden würden. Auf alle Fälle ist es jetzt das Feuer, das für den bedrohlich roten Nachthimmel sorgt, von dem sich sogar Leon kurz aus seiner asozialen Lethargie herausholen lässt.
Das Potenzial dazu hätte auch Paula Beer gehabt, das andere verbindende Element zu «Undine» (und zu Petzolds jüngerer Filmografie). Hier spielt sie Nadja, die Tochter einer Bekannten der Hausbesitzerin, mit der sich die beiden Freunde unverhofft das Haus teilen müssen – was für Leon vor allem in der Nacht eine gewisse akustische Zumutung mit sich bringt. Eine romantische Anziehung entwickelt sich dann auch, allen asozialen Bemühungen Leons zum Trotz – allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn manche Dinge entwickeln sich leider auch dann zur Tragödie, wenn man sie ignoriert.
Erst Feuer, dann Asche
Etwas stimmt nicht, das Feuer nähert sich, auf einmal regnet es Asche. «Roter Himmel» als Parabel auf die Klimakatastrophe beziehungsweise deren Verdrängung zu sehen, wäre wohl nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Es ist schon bemerkenswert, wie leicht es einem fällt, sich mit einem so hochgradig unsympathischen Protagonisten wie Leon zu identifizieren, der so sehr in seiner eigenen Perspektive gefangen ist, dass ihn weder die Reaktionen der anderen noch das am Horizont schimmernde Unheil an seinen Überzeugungen zweifeln lassen. «Die Arbeit lässt es nicht zu», entgegnet er einmal auf eine Einladung, zum Strand zu gehen. Wenigstens gesteht er sich einen Moment lang ein, ein Arschloch zu sein.
Es ist vielleicht die menschlichste und auch tragischste Eigenschaft dieser faszinierenden Figur: dass Leon seine Schwächen, seine zugleich abstossende und Mitleid erweckende Wirkung auf die Mitmenschen, aufs Deutlichste bewusst sind. So wie er eigentlich auch selbst weiss – und als es ihm endlich jemand sagt, ist das beinahe eine Erleichterung –, dass sein Manuskript namens «Club Sandwich» unbrauchbar ist.
Etwas stimmt nicht mit der Deutschen Filmakademie, die Petzolds Film – Kritikerliebling an der Berlinale und Gewinner des Silbernen Bären – mit keiner einzigen Nominierung bedachte, was auch für heftige Kritik sorgte. Petzold selber verglich deren Entscheidungsfindung in einem Interview mit der eines Kaninchenzüchtervereins. Mag sein, dass solche Auszeichnungen nicht besonders viel bedeuten – nur dass diese Akademie eben auch Fördergelder verteilt, die dann in neue Projekte fliessen. Das ist bedauerlich, denn viel besser und relevanter als «Roter Himmel» kann man sich das deutsche Kino der Gegenwart und näheren Zukunft eigentlich kaum vorstellen. Hier stimmt einfach alles.
«Roter Himmel». Regie und Drehbuch: Christian Petzold. Deutschland 2023. Jetzt als Vorpremiere in Bern, Biel, Brugg und Zürich. Ab 25. Mai 2023 im Kino.