Durch den Monat mit Paranoia City (Teil 1): Wie kam es, dass Sie einen eigenen Laden betreiben?

Nr. 22 –

Die drei Freundinnen Auline Sanchez (26), Melina Korros (28) und Margot Ortiz (27) führen seit dreieinhalb Jahren die Buchhandlung Paranoia City in Zürich. Den anarchistischen Wurzeln des Ladens sind sie treu geblieben – aber mit einem diverseren Sortiment als früher.

Melina Korros, Margot Ortiz und Auline Sanchez in der Buchhandlung Paranoia City
«Wir waren uns schnell einig, dass in Zürich ein feministischer Buchladen fehlt», sagt Melina Korros (links). Mit Margot Ortiz und Auline Sanchez konnte sie Paranoia City übernehmen.

WOZ: Frau Sanchez, Frau Korros, Frau Ortiz, was ist das letzte Buch, das Sie gelesen haben?

Auline Sanchez: «Für Seka» von Mina Hava. Sie ist eine sehr intelligente junge Autorin, die mich wirklich beeindruckt.

Melina Korros: Bei mir war es «Du bist so schön, sogar der Tod erblasst» von Akwaeke Emezi. Ich empfehle diesen Roman allen, die sich mit dem Thema «Liebe und Beziehungen» in verschiedenen Facetten auseinandersetzen wollen und etwa bell hooks oder Şeyda Kurt gerne lesen.

Margot Ortiz: «Nimm die Alpen weg» von Ralph Tharayil war mein letztes Buch. Es ist der Debütroman des Basler Autors. Die Sprache ist voller Metaphern, fast schon wie Poesie und sehr dicht.

Über Bücher reden ist das eine, Bücher verkaufen das andere. Wie kam es dazu, dass Sie einen eigenen Laden betreiben?

Ortiz: Paranoia City hiess ab 1975 eine anarchistische Buchhandlung in der Zürcher Altstadt. Eine Gruppe von fünf Personen hat diesen Laden gegründet. Bis in die nuller Jahre war dieses Kollektiv immer wieder im Wandel, manche kamen, andere gingen. Am Schluss blieb eigentlich nur noch Thomas Geiger übrig, der mit dem Laden an die Ankerstrasse umzog und ihn fast zwanzig Jahre lang allein weiterführte. In dieser Zeit bildete er immer wieder Lernende aus und stellte Aushilfen an. Ich war seine letzte Lernende.

Sanchez: Und ich half als Weihnachtsaushilfe aus. Melina war damals meine Oberstiftin bei Orell Füssli, wo wir die Ausbildung gemacht haben. Wir waren also alle drei immer wieder im Laden und kannten Thomas gut. Vor rund vier Jahren fragte er uns unerwartet, ob wir jemanden kennen würden, der Lust hätte, den Laden zu übernehmen und als Kollektiv weiterzuführen.

Korros: Wir sagten: Ja, wir drei!

Ein eigener Laden scheint ein ziemlich grosses Risiko zu sein. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Korros: Im Buchhandel gibt es nach der Ausbildung nicht wirklich viel Entwicklungspotenzial. Entweder man arbeitet quasi für immer als angestellte:r Buchhändler:in weiter, oder man macht sich irgendwann selbstständig. Rund zwei Jahre bevor wir die Paranoia übernahmen, trafen wir uns mal als Freundinnen zum Abendessen und sammelten Ideen, wie wir eine Buchhandlung gestalten würden, wenn wir denn jemals eine hätten.

Rein hypothetisch?

Korros: Ja, rein hypothetisch. Wir waren uns schnell einig, dass in Zürich ein feministischer Buchladen fehlt. Als wir dann diese Möglichkeit erhielten, wussten wir, was wir machen müssen.

Sanchez: Wir konnten die Leitung des Ladens einfach übernehmen und mussten das Lokal nicht kaufen, weil es einer Genossenschaft gehört. Uns war klar: So ein Angebot bekommen wir nie wieder im Leben.

Paranoia City war eine anarchistische Buchhandlung. Sie sprechen jetzt von einer feministischen Buchhandlung, oft wird Ihr Laden auch als queerfeministisch bezeichnet.

Ortiz: An dieser Stelle möchte ich etwas klarstellen: Wir finden es natürlich immer ein sehr schönes Kompliment, wenn wir so genannt werden, und selbstverständlich verstehen wir uns auch als feministisch – aber eben nicht nur. Es gibt ganz viele andere Themen, die uns mindestens genauso wichtig sind, zum Beispiel, Bücher aus einer antirassistischen Perspektive einzukaufen, einen psychiatriekritischen Ansatz in unserer Psychologieabteilung zu vertreten und eben das anarchistische Sortiment beizubehalten. Wir mussten auch merken, dass es schwierig ist, hier einen aktuellen und attraktiven Bestand zu pflegen, da viele der Bücher älter sind und ein Grossteil davon von weissen Cis-Männern verfasst wurde.

Sanchez: Wir versuchen, Feminismus, aber auch Antikapitalismus, Antirassismus und andere Themen, die uns umtreiben, aus einem intersektionalen Verständnis heraus zu vertreten. Wir wollen in unserem Sortiment verschiedene Kämpfe repräsentieren, die allesamt aus einer linken und widerständigen Perspektive kommen.

Dieses Selbstverständnis, zeigt sich das nur im Sortiment oder auch in der Art, wie Sie den Laden führen?

Korros: Dass wir den Laden als Kollektiv ohne Hierarchien führen oder das zumindest probieren, hat auch mit unseren Ansichten zu tun. Wir haben den Anspruch, dass es uns bei der Arbeit gut geht. Natürlich gelingt uns das nicht immer, aber wir arbeiten stetig daran, unseren eigenen politischen Vorstellungen auch in unserem Arbeitsverhältnis gerecht zu werden.

Die Paranoia-City-Buchhandlung war während der Jugendunruhen der achtziger Jahre ein Szenetreffpunkt. Streben Sie das auch an?

Sanchez: Es ist sicher kein Ziel, das wir aktiv verfolgen. Aber wir haben in den letzten Jahren viele Veranstaltungen, Diskussionen und Lesungen hier organisiert, die wirklich sehr gut besucht waren. Dass so viele Menschen hierherkommen, um sich auch mit unseren Gästen, uns und vielen anderen über Inhalte auszutauschen, statt sie allein für sich zu konsumieren, macht uns schon etwas stolz.

In der Buchbranche arbeiteten Frauen meist im Verkauf, während Männern der Laden gehöre, sagt Margot Ortiz. Nächste Woche erzählt sie, weshalb sie am 14. Juni auf die Strasse geht.