Durch den Monat mit Paranoia City (Teil 4): Kaufen Sie Ihre Bücher nach Quoten ein?

Nr. 25 –

Buchhändlerin Auline Sanchez freut sich, dass Themen wie Diversity vermehrt Einzug in die grossen Verlagshäuser und Buchhandlungen finden. In ihrer eigenen Arbeit bei Paranoia City möchte sie aber noch weiter gehen.

Auline Sanchez von der Paranoia City Buchhandlung
«Auch wenn wir keine Quoten haben – wir wollen vermeiden, zu fünfzig Prozent Bücher von weissen cis Männern anzubieten»: Auline Sanchez.

WOZ: Auline Sanchez, wenn Sie bei jemandem zu Besuch sind, scannen Sie dann das Bücherregal?

Auline Sanchez: Ja klar, aber ich habe mittlerweile ein sehr diverses Umfeld und kenne auch viele Personen, die gar nicht lesen oder zumindest nicht analog. Das finde ich persönlich genauso legitim, wie Hunderte von Büchern zu besitzen. Aber wenn es Bücher hat, dann schaue ich sie schon gerne durch – vor allem, wenn die Person einen ganz anderen Geschmack hat als ich.

Geschmack ist ein gutes Stichwort. Bei Ihnen im Laden sehe ich immer wieder Bücher, die ganz spezifische, mir teils unbekannte Themenfelder bedienen. Da frage ich mich schon auch manchmal: Wer kauft denn so was?

In einer diversen Gesellschaft gibt es auch viele spezifische Interessen. Manche davon haben in der Dominanzgesellschaft nur wenig Platz oder werden als weniger wichtig wahrgenommen. Umso wichtiger ist es für uns, nebst Büchern, die vergleichsweise viele Menschen umtreiben, auch solche zu Themen einzukaufen, die vielleicht nur ganz wenige interessieren und deswegen andernorts nur schwer erhältlich sind. Und wer weiss: Vielleicht finden gerade diese Bücher dann durch die Repräsentation bei uns im Laden auch ein breiteres Publikum.

Gibt es Trends auf dem Buchmarkt?

Ja, das würde ich schon sagen. Das Thema Diversity zum Beispiel ist in den letzten Jahren auch bei den Publikumsverlagen angekommen, wo plötzlich viel mehr Bücher von unterschiedlichsten Menschen publiziert werden. Langer Widerstand und langer Kampf führen oft dazu, dass gewisse politische Anspruchshaltungen auch in der Marktrealität ankommen und sich als Trends zeigen. Wenn ein Verlag diesen Trend dann nicht wahrnimmt, läuft er Gefahr, finanzielle Einbussen hinnehmen zu müssen.

Und was halten Sie davon?

Grundsätzlich nehme ich solche Entwicklungen nicht als negativ wahr, auch den Begriff «Trend» möchte ich nicht per se negativ besetzen. Wenn einzelne Themen, die lange ein Schattendasein fristeten, endlich eine Bühne bekommen, ist das gut – nur muss man eben aufpassen, dass sie durch diesen Anspruch, allen zu gefallen, nicht an Profil und Schlagkraft einbüssen.

Was bedeutet Diversity für Sie persönlich?

Für mich bedeutet das, eine Gesellschaft auch im Buchhandel und im Verlagswesen so abzubilden, wie sie wirklich ist, und nicht, wie eine Dominanzgesellschaft sie gerne hätte. Dabei darf es aber nicht passieren, dass einzelne Autor:innen plötzlich als Repräsentant:innen einer ganzen Bevölkerungsgruppe hinhalten müssen, nur damit sich Verlagshäuser damit rühmen können, so jemanden unter Vertrag zu haben.

Kuratieren Sie Ihr eigenes Sortiment denn nach Quoten?

Nein, wir haben bei Paranoia City keine Einkaufsquoten. Wir beziehen unsere Bücher üblicherweise zweimal im Jahr bei den Besuchen der Verlagsvertreter:innen. Wenn wir aber unter dem Jahr merken, dass wir zu einem bestimmten Thema nichts im Laden haben, bilden wir uns dazu weiter und recherchieren mögliche Zugänge. Wenn wir dann Bücher finden, die uns zusagen, bestellen wir sie. Auch wenn wir keine Quoten haben – wir wollen vermeiden, zu fünfzig Prozent Bücher von weissen cis Männern anzubieten.

Bei einem unserer ersten Gespräche erwähnten Sie, dass Sie versuchen, Bücher aus einer intersektionalen, feministischen und antirassistischen Perspektive einzukaufen. Ich stelle mir das recht anspruchsvoll vor.

Als Buchhändlerin, aber auch als Mensch habe ich eine bestimmte Position im gesellschaftlichen Gefüge. In meinem Fall heisst das etwa, dass ich nicht von Rassismus betroffen bin. Also kaufe ich aus einer weissen Perspektive heraus antirassistische Bücher ein, was an sich natürlich eine gewisse Herausforderung darstellt. Ich gehe das an, indem ich versuche, mich persönlich zu diesem Thema zu bilden und somit meine eigene Perspektive zu erweitern. Ich orientiere mich auch an den Empfehlungen von People of Color und von Aktivist:innen, die sich intensiver mit der Thematik auseinandersetzen. Das kann schon auch schwierig sein, aber ich glaube, das gehört zu unserer Verantwortung, wenn wir einen Buchladen mit diesem Anspruch betreiben wollen.

Wenn wir schon bei den grossen Unterdrückungskategorien sind: Zeigt sich das Patriarchat auch auf dem Buchmarkt?

Natürlich, es zeigt sich überall in unserer Gesellschaft und in all unseren Lebensbereichen, also auch auf dem Buchmarkt.

Wie denn?

Zum Beispiel darin, wer die Mehrzahl der grossen Buchläden und wer die Verlage besitzt – und somit auch die Entscheidungsmacht darüber, wer wie viel Geld verdient. Es zeigt sich aber auch auf der Seite der Schreibenden: Wem wird zugehört? Wer darf sich äussern? Und vor allem auch: Wer wird in dem, was man schreibt, ernst genommen?

Wenn Auline Sanchez (26) sich mal nicht mit den grossen Themen befassen mag, liest sie gerne Magazine voll mit Popkultur. Ihr Lieblingsbilderbuch ist eines über Wut: «Greta haut ab» von Pija Lindenbaum.