Durch den Monat mit Paranoia City (Teil 2): Kann man streiken, wenn man seine eigene Chefin ist?

Nr. 23 –

Auch wenn sie im eigenen Buchladen vieles besser machen können: Selbstverwaltung schützt nicht vor Überarbeitung. Margot Ortiz vom Paranoia-City-Kollektiv über feminisierte Arbeit, emotionale Sitzungen und den Umgang mit Konflikten.

Margot Ortiz von der Paranoia City Buchhandlung
«Klar kann ich streiken. Auch wenn wir als Genossenschaft organisiert sind und den Laden zu dritt leiten, arbeiten wir immer noch in einer Branche des Tieflohnsektors»: Margot Ortiz (27).

WOZ: Margot Ortiz, streikt die Paranoia-City-Buchhandlung am 14. Juni?

Margot Ortiz: Ja natürlich. Wir streiken alle drei. Wir schliessen den Laden und gehen auf die Strasse.

Kann man denn überhaupt streiken, wenn man seine eigene Chefin ist?

Ja klar. Ich streike ja nicht nur für mich als Einzelperson. Ich streike als Buchhändlerin, und als solche bin ich genauso auf eine Lohnzahlung angewiesen. Auch wenn wir als Genossenschaft organisiert sind und den Laden zu dritt leiten, arbeiten wir immer noch in einer Branche des Tieflohnsektors, die zudem sehr feminisiert und tendenziell ökonomisch abgewertet wird. Arbeitsrechtlich muss hier noch einiges passieren. Zudem streike ich am 14. Juni auch solidarisch für all jene, die an diesem Tag nicht streiken können.

Wo liegen denn die grössten Baustellen innerhalb des Buchhandels?

Ich muss grad etwas aufpassen, dass ich nicht einfach nur von meinen persönlichen Erfahrungen erzähle. Ich glaube, wir haben alle drei in unserem Beruf recht Unterschiedliches erlebt, bevor wir Paranoia City übernommen haben.

Sie dürfen gerne ganz subjektiv erzählen.

Meine persönliche Erfahrung ist, dass ich als angestellte Buchhändlerin immer zusammen mit anderen Buchhändlerinnen, also Frauen, in Betrieben arbeitete, die stets von Männern geleitet wurden. Uns wurde dadurch vermittelt: Der Verkauf ist ein Frauenjob, aber Männer fahren die Gewinne ein und bestimmen die Spielregeln. Manchmal schien es mir schon fast so, als wären die Frauen im Buchhandel lediglich ein Aushängeschild.

Vorhin haben Sie auch den Lohn als Missstand genannt.

Genau, das kommt noch dazu. Wenn ich an meine Ausbildung zurückdenke, erscheint mir die Situation ziemlich absurd. Wir haben als Buchhändlerinnen die kaufmännische Berufsschule besucht und entsprechend auch die kaufmännische Basis erlernt. Gerade in diesem Kontext leuchtet mir das Lohngefälle zwischen kaufmännischen Berufen und uns Buchhändlerinnen wenig ein. Aber soweit ich beurteilen kann, wird das kaum hinterfragt. Als Buchhändlerinnen arbeiten wir klar im Tieflohnsektor – und das wird dadurch gestützt, dass uns immer wieder gesagt wird, wie wenig Geld in «unserer» Branche vorhanden sei.

Zurück zu Paranoia City: Wie geht Selbstverwaltung ohne Selbstausbeutung, wenn schon die Voraussetzungen ausbeuterisch sind?

Es ist tatsächlich schwierig, nicht in die Selbstausbeutungsspirale zu geraten. Zudem haben die meisten Menschen wegen steigender Lebenshaltungskosten derzeit eher wenig Geld für Luxusgüter wie Bücher übrig, während auf der anderen Seite die Druckkosten immer höher werden. Gleichzeitig haben wir sehr viel Arbeit, was wiederum dazu führt, dass wir immer mehr davon unbezahlt erledigen müssen. Als Team versuchen wir, das zumindest zu reflektieren und uns bewusst zu machen, wie viel wir unbezahlt machen.

Sagen Sie sich auch mal gegenseitig: «Hey, geh nach Hause!»

Wir versuchen, uns gegenseitig daran zu erinnern, auch mal Pausen zu machen, und uns auch über unser Befinden auszutauschen. Weil das im Alltag nicht immer gelingt, haben wir ein emotionales Sitzungsformat erarbeitet, in dem wir den Raum für Reflexionen und Diskussionen jenseits des rein Geschäftlichen schaffen und auch über Zwischenmenschliches sprechen.

Sie sind ja nicht nur Geschäftspartnerinnen, sondern auch gute Freundinnen. Macht es das nicht schwieriger, Konflikte anzusprechen?

Es gibt immer wieder Momente, in denen sich diese Ebenen vermischen und es dadurch auch schwierig wird herauszufinden, wo genau ein Problem oder ein Konflikt herrührt. In den letzten dreieinhalb Jahren haben wir auch bewusst einen Umgang mit Konfliktsituationen erarbeitet. Das ist ein Prozess, der andauert. Überwiegend bin ich aber sehr dankbar dafür, dass ich mit zwei nahen Freundinnen zusammenarbeiten und beruflichen Konflikten auch auf einer persönlichen Ebene begegnen kann.

Sie drei sind ja die Geschäftsführerinnen, aber ich sehe im Laden auch immer wieder andere Menschen hinter der Kasse stehen.

Das ist schön, dass Ihnen das auffällt! Tatsächlich ist es so, dass wir viele helfende Personen haben, die immer wieder einspringen und uns unterstützen, etwa im Weihnachtsverkauf oder bei Veranstaltungen. Das ist ein Kreis von einer Handvoll Personen aus unserem Umfeld, die das teils freiwillig und teils im Stundenlohn machen – und wir sind wirklich sehr froh, dass es sie gibt.

Sehen Sie Paranoia City eigentlich als antikapitalistischen Buchladen?

Ich glaube nicht, dass wir das von uns behaupten könnten. Wir sind letztlich ein Laden, der Bücher verkauft und Löhne sowie Miete zahlt, Abgaben tätigt, Steuern entrichtet. Ich sehe mich persönlich aber schon als antikapitalistische Person.

Nächste Woche erzählt Melina Korros von Paranoia City, welches das schlechteste Buch ist, das sie je gelesen hat, und warum es Buchhändler:innen heute dringender braucht denn je.