Krieg im Sudan: «Das Problem ist, dass beide Seiten denken, sie könnten gewinnen»
Seit Mitte April liefern sich Armee und Paramilitärs brutale Kämpfe. Politanalystin Kholood Khair spricht über die Risiken für die gesamte Region, die Schwächen internationaler Vermittlungsversuche und über ihre eigene Flucht.
WOZ: Frau Khair, der bewaffnete Konflikt zwischen den Streitkräften von General al-Burhan und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) von General Daglo, genannt Hemeti, dauert bereits fast zwei Monate. Nicht nur die Hauptstadt Khartum, auch andere Landesteile sind betroffen. Wie ist die Lage vor Ort?
Kholood Khair: Die Kämpfe in Khartum intensivieren sich wieder. Eine brüchige Waffenruhe wurde nicht erneuert, die Armee hat die seit Mai im saudischen Dschidda laufenden Verhandlungen mit den RSF ausgesetzt. Die humanitäre Lage wird jeden Tag schlimmer. Hilfsgüter, die über Port Sudan und den Flughafen Wadi Seidna im Norden von Khartum ins Land kommen, werden laut Berichten vor allem von der Armee beschlagnahmt, die beide Stellen kontrolliert. Medikamente sollen auch über den Schwarzmarkt verkauft werden. Beide Seiten versuchen anscheinend, davon zu profitieren. In West- und Zentraldarfur waren die Kämpfe in den vergangenen Tagen besonders intensiv. Berichte von Geflüchteten, die in den Tschad gelangten, deuten auf Gräueltaten beider Seiten hin, besonders aber von den RSF.
Sie waren selbst in Khartum, als die Kämpfe losgingen, und konnten ausser Landes fliehen.
Als die RSF eines der Häuser in meiner Nähe übernahmen, musste ich fliehen, um nicht von einem Luftangriff der Armee getroffen zu werden. Andauernd fielen Bomben, es gab nur ein paar Momente, in denen es ruhig war. Eineinhalb Wochen nach Beginn der Kämpfe reiste ich per Bus nach Port Sudan im Nordosten. Ich hatte Glück, Ende April gelangte ich mit einem Evakuierungsflug nach London, denn ich habe die britische Staatsbürgerschaft. Eine Freundin und ihre Familie reisten weiter nach Ägypten, an der Grenze mussten sie lange warten, unter harten Bedingungen. Die ägyptischen Behörden liessen die Leute nur nach und nach ins Land. Die Lage war dramatisch, mehrere ältere Menschen starben.
Nehmen mittlerweile neben Armee und RSF auch weitere Akteure an den Kämpfen teil?
In Khartum stehen sich immer noch vorrangig RSF und Armee gegenüber. In Darfur sind nun der Gouverneur der Region, Minni Minnawi, und seine Truppen involviert sowie ein paar andere Milizen und Rebellengruppen. Es scheint, als würden sich Minnawi und seine Miliz SLA-MM vorerst auf die Seite der Armee stellen. Letzte Woche hat er die Bewohner:innen Darfurs aufgefordert, sich zu bewaffnen. Die Situation geht zunehmend in Richtung eines ethnisierten Bürgerkriegs.
Die zuletzt durch die USA und Saudi-Arabien in Dschidda ausgehandelte Waffenruhe wurde gebrochen, wie schon die Feuerpausen davor. Setzen Sie noch Hoffnung in internationale Vermittlungsversuche?
Wenig. Die Afrikanische Union hat zwar gerade einen Plan zur Deeskalation beschlossen, sie muss diesen aber erst einmal umsetzen. Bei den Gesprächen in Dschidda gab es keine erfolgreichen Deeskalationsversuche, sie legitimierten nur die Kriegsparteien. Die Vermittler wollten nicht sehen, dass weder Burhan noch Hemeti ein sofortiges Kriegsende wollen. Das Problem ist, dass beide noch denken, sie könnten gewinnen. Dabei ist klar, dass es keinen Sieger geben wird.
Warum?
Selbst wenn eine Seite militärisch siegt, ist ein politischer Sieg schwierig. Würden die RSF gewinnen, hätten sie weiter die Islamisten innerhalb der regulären Streitkräfte gegen sich. Diese haben grosse wirtschaftliche Macht und politischen Einfluss, und sie verfügen über Milizen im Land. Wenn die Armee gewinnt, müsste sie die RSF erst einmal aus Karthum vertreiben, wo sich diese in Häusern eingenistet haben, und aus Teilen Darfurs, wo die RSF starken Rückhalt haben.
Die internationalen Vermittlungsversuche stehen im Sudan schon länger in der Kritik …
… ja, denn diese haben lange nur die Generäle legitimiert. Sie konnten als Staatsmänner auftreten, unterzeichneten Deklarationen und Einigungen – und zugleich zwang sie nichts dazu, sich an diese Prinzipien zu halten. Das frustriert und enttäuscht viele Sudanes:innen. Vor den Augen der internationalen Gemeinschaft konnten die Generäle Menschenrechtsverbrechen begehen, sich an die Macht putschen, Khartum zerstören, Protestierende töten, und das alles ungestraft. Die aktuellen Vermittlungsversuche folgen derselben Logik wie jene vor dem Krieg.
Vergangene Woche haben die USA nun Sanktionen gegen beide Kriegsparteien verhängt.
Diese betreffen allerdings nur vier Unternehmen, zwei pro Seite. Andere Gruppen wie die Muslimbruderschaft, die viele für das Schüren der Feindschaft zwischen den beiden Seiten verantwortlich machen, wurden nicht sanktioniert. Genauso wenig wie Individuen. Es fehlt auch eine Strategie, wie diese Sanktionen maximalen Einfluss entwickeln können.
Seit Beginn der Kämpfe gibt es Warnungen, der Konflikt könnte die gesamte Region destabilisieren. Wie gross ist diese Gefahr heute?
In gewisser Weise passiert das schon durch die Fluchtbewegungen in die sehr armen und teils krisengebeutelten Nachbarländer. Sollte der Konflikt andauern und sich näher an die Grenzen verlagern, könnte das manche dieser Länder noch viel stärker destabilisieren.
Inwiefern?
Ziehen sich die RSF etwa nach Darfur zurück, könnten sie dort für politische Instabilität im Tschad sorgen – einem Nachbarland, das im sudanesischen Konflikt offiziell neutral ist, aber dessen Sympathien eher bei der Armee liegen. Die RSF könnten, gemeinsam mit den Söldnern der russischen Gruppe Wagner, die die Paramilitärs unterstützt haben und Berichten zufolge auch die Rebellen im Tschad unterstützen, dort auf einen Regimewechsel hinarbeiten. Ein solches Szenario gilt es dringend zu vermeiden, sonst wird es noch schwieriger, einen Ausweg zu finden.
Was bräuchte es dafür?
Auf diplomatischer Ebene müssten individuelle Sanktionen deutlicher auf den Tisch gebracht werden, nicht nur von den USA. Ein stabiler Sudan ist auch im Interesse von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Regionale und internationale Akteure müssen mit ihren Vermittlungen eine gemeinsame Agenda verfolgen. Zudem braucht es zum Schutz der Zivilbevölkerung eine Flugverbotszone. Das Waffenembargo der Uno, das für Darfur gilt, müsste auf den ganzen Sudan ausgeweitet werden.
Es bräuchte eine gemeinsame Strategie der internationalen Gemeinschaft, damit nicht eine Kriegspartei einen militärischen oder politischen Vorteil erlangt. Und die zivile Seite muss von Anfang an mit am Tisch sitzen. Solange Hemeti und Burhan glauben, dass sie die internationale Gemeinschaft an der Staatsspitze akzeptieren wird, werden sie weiter nach einem Sieg streben.
Kholood Khair (37) ist politische Analystin und Gründerin des sudanesischen Thinktanks Confluence Advisory. Ende April konnte sie aus dem Sudan fliehen. Derzeit lebt sie in London.