Die Lage im Sudan: Kahlschlag zur Unzeit
Die Einstellung der humanitären Hilfe aus den USA trifft die Menschen im Sudan mit unmittelbarer Wucht: Wer kann dem Land den Frieden bringen?
Die Nachricht aus den USA war ein Schock. Ende Januar wurden die Mitarbeiter:innen zahlreicher von den USA finanzierter Organisationen im Sudan vor die Wahl gestellt: Entweder würden sie in völliger Ungewissheit irgendwie ihre Arbeit fortführen oder der Anordnung von US-Präsident Donald Trump folgen und ihre Tätigkeit umgehend einstellen.
Bereits wenige Tage nach Amtsantritt kündigte Trump den radikalen Schritt an, aus der Weltgesundheitsorganisation WHO auszutreten, US-amerikanische Hilfsgelder weltweit für neunzig Tage auszusetzen und das USAID-Personal radikal zu reduzieren. Gerade im kriegsgebeutelten Sudan, wo die USA im letzten Jahr im Bereich der humanitären Hilfe mit knapp 800 Millionen US-Dollar das mit Abstand wichtigste Geberland waren, zeichnen sich katastrophale Folgen ab. Denn 22 Monate nach Kriegsausbruch befindet sich das Land in einer der schlimmsten humanitären Krisen der Gegenwart. Bereits im Sommer vergangenen Jahres wurde in Norddarfur im Westen des Landes eine Hungersnot ausgerufen. Gemäss Uno-Prognosen droht sich diese bis im Mai auf neun weitere Regionen auszubreiten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Sudan, fast 25 Millionen Menschen, sind von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen.
Nun legt die Suspendierung der USAID-Hilfsgelder medizinische Einrichtungen im ganzen Land und die Verteilung von Nahrungsmitteln lahm. Hunderte Organisationen sind gezwungen, ihre Arbeit einzustellen. Darüber hinaus wurde etwa auch das von den USA finanzierte Famine Early Warning Systems Network, das als wichtigstes Instrument für die Überwachung der Nahrungsmittelversorgung und der humanitären Lage im Sudan gilt, kurzerhand vom Netz genommen.
Zwar haben US-Gerichte letzte Woche Teile der von Trump erlassenen Dekrete vorerst gekippt, aber der unmittelbare Schaden ist angerichtet.
Kriegsverbrechen beider Seiten
Der finanzielle Kahlschlag kommt für die Menschen im Sudan zur absoluten Unzeit. Der Krieg, in dem die regulären Streitkräfte (SAF) unter Armeechef Abdel Fattah al-Burhan mit den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) von Mohammed Hamdan Daglo – bekannt als Hemeti – um die Vorherrschaft im Land kämpfen, nähert sich dem zweiten Jahrestag. Mehr als 150 000 Menschen könnten nach Angaben von US-Behörden bereits bei den Kämpfen sowie durch Hunger und Krankheiten ums Leben gekommen sein. Die Uno spricht von der grössten Flüchtlingskrise der Welt: Mehr als elf Millionen Sudanes:innen befinden sich demnach auf der Flucht.
Militärisch kam es zuletzt zu einer neuerlichen Wende in diesem Krieg, in dem der Vorteil schon wiederholt die Seite gewechselt hat: Die SAF eroberten das strategisch wichtige Wad Madani zurück, die Hauptstadt des Bundesstaats al-Dschasira im Osten des Landes. Der Bundesstaat gilt nicht nur als Kornkammer, sondern auch als Knotenpunkt im Kampf um die Vorherrschaft im Land. Als die RSF im letzten Jahr die Kontrolle übernahmen, ermöglichte ihnen dies ein schnelles Vorrücken in andere Landesteile. Für die SAF könnte die Wiedereinnahme nun ein ebenso bedeutsamer Schritt bei der angestrebten Rückeroberung der Hauptstadt Khartum sein, die knapp 150 Kilometer weiter nördlich liegt.
Burhan und seine SAF geben sich siegesgewiss. Und das Aussenministerium kündigte bereits an, eine Übergangsregierung sowie einen Nationalen Dialog mit politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen vorzubereiten, an dessen Ende freie Wahlen stünden. Jene, die er als «Feinde» bezeichnete, forderte Burhan dazu auf, «Reue zu zeigen und ihre früheren Handlungen aufzugeben».
Wie aussichtsreich der neuerliche Versöhnungsvorstoss tatsächlich ist, bleibt indes fraglich. Zwar kursierten nach der Wiedereinnahme von Wad Madani Videos und Fotos feiernder Menschen in den Strassen der Stadt. Gleichzeitig kam es gemäss der «Washington Post» und dem Londoner Centre for Information Resilience auch zu zahlreichen Vergeltungsakten an jenen, die den RSF im letzten Jahr Unterstützung zukommen liessen.
Seit Kriegsausbruch im April 2023 haben sich beide Seiten schlimme Kriegsverbrechen zuschulden kommen lassen, etwa gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die Blockade humanitärer und medizinischer Güter oder den Einsatz von Hunger als Waffe. Gemäss der «New York Times» soll Armeechef Burhan zudem kürzlich Chemiewaffeneinsätze autorisiert haben. Und den RSF-Milizen werden gezielte Massaker an der nichtarabischen Bevölkerung in Darfur vorgeworfen. Erst im Januar hat die abtretende US-Regierung Joe Bidens offiziell von einem Völkermord durch die RSF gesprochen.
Oberflächliche Verhandlungen
Dass der Krieg tatsächlich bald enden könnte, wird von Expert:innen bezweifelt. Etwa von Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin: Bereits seit Beginn der Kämpfe hätten internationale Akteure wie die Uno, die Afrikanische Union oder auch die USA versucht, beide Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen, sagt er. Aber der wechselhafte militärische Verlauf sowie der fortwährende Glaube beider Seiten, im Konflikt die Oberhand gewinnen zu können, hätten zu einer Verfestigung der Kämpfe geführt.
Eine wesentliche Rolle spielen dabei umfangreiche Waffenlieferungen aus dem Ausland: So werden die SAF mutmasslich von Ägypten, der Türkei und dem Iran unterstützt, die RSF vor allem von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Gleichzeitig habe den bisherigen internationalen Bestrebungen – bei Vermittlungsgesprächen etwa im saudischen Dschidda oder in Genf – keine tiefgreifende Analyse des Konflikts zugrunde gelegen, sagt Kurtz. «Die humanitäre Krise, aber auch die Suche nach einem schnellen Durchbruch vor dem Hintergrund der scheidenden Biden-Regierung sorgten dafür, dass die Vermittler eher kurzsichtige Ansätze verfolgten», so der Konflikt- und Krisenexperte.
Bisher habe der Fokus einiger afrikanischer Organisationen vor allem darauf gelegen, die beiden verfeindeten Generäle an einen Tisch bringen zu wollen – wobei beide allerdings keine vollständige Kontrolle über ihre jeweiligen Seiten hätten. Denn im Konflikt im Sudan stehen beide an der Spitze von Koalitionen bewaffneter Akteure, die sich aus unterschiedlichen Rebellengruppen, Milizen, aber auch ausländischen Söldnertruppen zusammensetzen. So stütze sich Burhans militärische Macht etwa auch auf islamistische Milizen, die Netzen des früheren Regimes von Exdiktator Umar al-Baschir zuzurechnen seien und sich bisher stets gegen Friedensverhandlungen mit den RSF gestemmt hätten. «Um beide Seiten zu verstehen, reicht es nicht, nur auf deren Führung zu schauen», sagt Kurtz.
Neue Hoffnung könnte eine Initiative der Türkei bringen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der wohl langfristig seine Stellung am Roten Meer und auf dem gesamten afrikanischen Kontinent festigen möchte, hat im Dezember angeboten, zwischen den SAF und den VAE, dem wichtigsten internationalen Verbündeten der RSF, zu vermitteln. Zwar sei, so Kurtz, fraglich, wie viel Druck die Türkei tatsächlich auf VAE und RSF ausüben könne, aber andererseits verfüge das Land über gute Kontakte zu jenen islamistischen Kräften, die aufseiten Burhans bislang stets gegen Friedensverhandlungen opponiert hätten.
Zukunftsszenarien gesucht
Gerrit Kurtz plädiert dafür, bereits jetzt Zukunftsszenarien für die Zeit nach einem etwaigen Waffenstillstand zu entwickeln. Auf Regierungsseite würden Verhandlungen nämlich vor allem auch deshalb von vielen abgelehnt, weil solche den RSF künftig eine Rolle im sudanesischen Machtgefüge einbringen dürften. «Dafür muss eine Lösung gefunden werden», sagt Kurtz. Die Parteien würden aber einen ungewissen Nachkriegszustand ablehnen, der ihr politisches und wirtschaftliches Überleben gefährde. Mögliche Ansätze wären daher auch bedingte Amnestien oder Sicherheitgarantien für ranghohe Militärs in der Übergangszeit – ohne aber eine generelle Straffreiheit zu schaffen. Zudem müssten die verschiedensten Interessen auf beiden Seiten ausbalanciert werden, ohne einzelnen Machtansprüchen ein Übermass an Legitimität zu verschaffen. Und es müssten insbesondere auch zivile Akteur:innen einbezogen werden.
Essenziell sei ein realistischer Blick auf die Zukunft des Sudan: «Viele fordern eine Auflösung der RSF, aber Hunderttausende von Kämpfern können nicht einfach verschwinden oder militärisch niedergeschlagen werden», gibt Kurtz zu bedenken. Selbst falls ein Waffenstillstand dereinst in Reichweite kommen sollte: Ein solcher wäre nur der Anfang auf dem langen Weg zum Frieden.