Raumplanung: Eine Familie in jedem Stall?

Nr. 23 –

Die Landschaftsinitiative ist hängig, gleichzeitig berät das Parlament das Raumplanungsgesetz. Gerade sah es nach Einigung aus. Doch nun droht ein neuer Konflikt.

Elena Strozzi spaziert mit ihrem Hund Ciro
Sollen alte Scheunen und Ställe vollständig zu Wohnungen umgebaut werden? Die Landschaftsinitiative findet: Nein. Deren Geschäftsführerin Elena Strozzi mit Hund Ciro, im Hintergrund potenzielle Objekte.

«Elena Strozzi, was bedeutet Ihnen Landschaft?» Die Geschäftsführerin der Landschaftsinitiative steht mit ihrem Hund, dem Bobtail Ciro, fürs Foto in einer Wiese im Kanton Freiburg. Sie bemüht sich, das Gras nicht niederzutrampeln, und denkt nach. «Landschaft ist wichtig für die Seele», sagt sie dann. Sie schaue gern in die Ferne.

Natürlich sind die Details kompliziert. Aber vereinfacht gesagt, besteht die Schweiz aus zwei Welten: dem Baugebiet und dem Nichtbaugebiet. Seit mehr als vierzig Jahren ist diese Trennung im Raumplanungsgesetz (RPG) verankert. Wenn es sie nicht gäbe, wäre der Immobiliensektor noch dominanter, das Mittelland noch zersiedelter. Und kaum jemand könnte von der Landwirtschaft leben, weil das Land dafür unbezahlbar wäre. Trotzdem liegt mehr als ein Drittel aller Siedlungsflächen im Nichtbaugebiet. Und der Druck ist gross – von Hobbytierhaltung über Deponien, Sportanlagen und Ferienhäuser bis zu Autobahnverbreiterungen.

Die Trennung sei so wichtig, dass sie in die Verfassung gehöre, sagt Strozzi. Das ist der Kernsatz der Landschaftsinitiative: «Bund und Kantone stellen die Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet sicher.» Verschiedene Umweltorganisationen tragen sie mit; 2020 wurde sie eingereicht.

Vorbild Tessin?

Im Parlament ist die Raumplanung eine unendliche Geschichte. Die erste Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes drehte sich um das Baugebiet und die Verdichtung. Dieser Teil ist seit neun Jahren in Kraft und hat dazu geführt, dass in vielen Gemeinden die Bauzonen verkleinert wurden.

In der zweiten Etappe (RPG 2) geht es um das Nichtbaugebiet. Letztes Jahr hat der Ständerat beschlossen, dass das RPG 2 auch der indirekte Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative sein soll; diesen Frühling beugte sich die Umweltkommission des Nationalrats (Urek-N) über die Vorlage. Ende April schrieb die Landschaftsinitiative, sie begrüsse die Beschlüsse der Kommission. Die Initiative fordert, dass die Zahl der Gebäude und ihre Fläche im Nichtbaugebiet nicht zunehmen, und ein solches Stabilisierungsziel steht auch im RPG 2. Ist die Vorlage des Parlaments so gut gelungen, dass die Initiative zurückgezogen werden kann?

Beim Treffen in Fribourg Ende Mai klingt Strozzi nicht mehr so optimistisch. Inzwischen liegt der Entwurf der Urek-N im Detail vor. Der wichtigste Streitpunkt: Die Kommission will es Landwirt:innen ermöglichen, an Bauernhäuser angebaute, nicht mehr genutzte Scheunen und Ställe vollständig zu Wohnhäusern umzubauen, «falls sie über eine ausreichende Erschliessung verfügen». Schon heute ist das teilweise möglich. Aber vollständig? «Diese Gebäude sind so gross», sagt Strozzi. «Da passen manchmal zehn Wohnungen rein. Dann braucht es zwanzig Parkplätze, eine breitere Zufahrt …» So werde die Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet sicher nicht gestärkt. «Wenn das drinbleibt, können wir das RPG 2 auf keinen Fall als Gegenvorschlag akzeptieren.»

Fürs Foto fahren wir in die Agglo von Fribourg. Eine extrem zersiedelte Gegend; vor zehn Jahren diente sie der WOZ als Beispiel für eine verfehlte Raumplanung. Wenn man sich vorstellt, dass die verstreuten Bauernhöfe zwischen den ausufernden Dörfern auch noch zu Mehrfamilienhäusern ausgebaut würden – der Siedlungsbrei wäre perfekt. «Unsere Initiative richtet sich nicht gegen die Landwirtschaft», betont Strozzi. «Was für sie nötig ist, ist auch nach einem Ja zu unserer Initiative weiterhin erlaubt. Aber Bauern sollen nicht zu Immobilienunternehmern werden.»

Der Umbau zu Wohnbauten wäre vor allem im Mittelland finanziell interessant. In den Voralpen und den Alpen geht es hingegen um die Umnutzung landwirtschaftlicher Gebäude zu Ferienhäusern. Und da kommt das Tessin ins Spiel – nicht nur weil Strozzi selbst ein Rustico besitzt. Sie ist in Biasca nördlich von Bellinzona aufgewachsen, hat in Lausanne studiert und lebt mit ihrer Familie in Fribourg; die Kinder wachsen dreisprachig auf. Regelmässig reist sie zurück nach Biasca und wandert hinauf zum Häuschen, tausend Meter über dem Talboden. «Meine Grosseltern sömmerten dort noch Kühe, ein Onkel hielt Schafe. Wir sind die erste Generation, die es nur noch zur Erholung braucht.» Eine typische Tessiner Geschichte. In einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der Bevölkerung und dem Bund ist das Tessin zu einer Regelung gekommen, die heute von Landschaftsschützer:innen gelobt wird: Der Kanton hat Spezialzonen für Rustici definiert, in denen eine Ferienhausnutzung unter strengen Auflagen erlaubt ist. So gibt es zum Beispiel Regeln für Materialien und Bauweise, keinen Anspruch auf neue Zufahrtsstrassen und Parkplätze, und die Eigentümer:innen sind verpflichtet, die Umgebung zu pflegen und die Verbuschung einzudämmen.

Solche Spezialzonen im Berggebiet will die Urek-N nun generell ermöglichen, «wenn sie in ihrer Summe zu einer Verbesserung der Gesamtsituation von Siedlungsstruktur, Landschaft, Baukultur, Kulturland und Biodiversität führen». Strozzi hätte gern eine strengere Regelung: «Solche Zonen sollen nur ausnahmsweise und nur für Vorhaben von öffentlichem Interesse zur Anwendung kommen.»

Mitte Juni kommt das RPG 2 nochmals in den Nationalrat, im Herbst in den Ständerat. Nach der Schlussabstimmung im Parlament muss das Initiativkomitee entscheiden, ob es die Initiative zurückzieht.

Achtung, Fehlanreiz!

Das Beispiel Tessin zeigt: Nicht jedes Haus ausserhalb der Bauzonen stört. Manche prägen auch die Landschaft, sind ein Kulturgut, also schützenswert. Darauf pocht Martin Killias, Jurist und Sozialwissenschaftler, Sozialdemokrat und Präsident des Schweizer Heimatschutzes, der die Landschaftsinitiative mitträgt. Der Heimatschutz sei «der Verein zur Verteidigung der kollektiven Erinnerung», sagt Killias. Leider beschränkten sich die Inventare der schützenswerten Bauten und Ortsbilder in den meisten Kantonen auf das Baugebiet: «Lange hat man übersehen, dass gerade in den Alpen und Voralpen viele Scheunen und Ställe sehr alt sind, oft aus dem ausgehenden Mittelalter stammen.» Unter Denkmalschutz stünden sie fast nie. Wichtig sei, dass das Ziel der Flächenstabilisierung im RPG 2 hier nicht zu Fehlanreizen führe – etwa dazu, dass zur Ermöglichung eines Hotelneubaus einfach fünf alte, womöglich schützenswerte Ställe abgerissen würden. Der jetzige Stand des RPG 2 stimme ihn optimistisch, aber man müsse weiterhin genau hinschauen.

Alte, landschaftsprägende Ställe und Scheunen solle man erhalten, ohne sie umzunutzen, sagt Killias, auch wenn das manche irritierend fänden. «Den Heimatschutz braucht es gerade dort, wo es um das scheinbar Nutzlose geht. Dazu gehören auch alte Kapellen oder Burgruinen. Erinnerungskultur ist ein Grundbedürfnis.»