Restitutionen: Guter König, böser König

Nr. 23 –

Die jüngste Kontroverse um die Beninbronzen zeigt, dass das koloniale Denken noch nicht verschwunden ist. Die Schweizer Museen sind aber auf der Höhe der Zeit.

Gürtelmaske aus dem Königtum Benin (17. / 18. Jahrhundert) im Museum Rietberg
Nachweislich Raubgut von 1897: Gürtelmaske aus dem Königtum Benin (17. / 18. Jahrhundert) im Museum Rietberg. Foto: Rainer Wolfsberger, © Museum Rietberg

Ziemlich genau zur selben Zeit, als die Welt gleichgültig bis wohlwollend auf die Krönung von Charles III. in London schaute, braute sich im deutschen Feuilleton eine Empörung gegen ein sehr viel kleineres Königreich zusammen. Zuvor war die Meldung aufgetaucht, dass der Präsident von Nigeria eine Erklärung unterschrieben habe, mit der er die Eigentumsrechte an restituierten Beninbronzen an den Oba Ewuare II. übertrage, der sich als Nachfolger des letzten unabhängigen Königs von Benin versteht. Dieser war 1897 ins Exil gedrängt worden, nachdem britische Kolonialtruppen seinen Palast erobert und ausgeraubt hatten.

Die Beninbronzen landeten nach der Plünderung auf teils direkten, teils verschlungenen Wegen als Raubgut in europäischen Museen und Sammlungen. In den letzten Jahren haben sie sich – auch aufgrund grosser medialer Aufmerksamkeit – zu Europas bekanntesten Restitutionsobjekten entwickelt. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass hier der vergleichsweise eindeutige Fall eines kaum bestrittenen, gut dokumentierten historischen Unrechts vorliegt.

Beschönigung von Sklaverei?

Nachdem also bekannt geworden war, dass diese Bronzen nun womöglich nicht wie gedacht an den nigerianischen Staat, sondern an ein kleines Königreich mit nicht restlos geklärtem Rechtsstatus zurückgehen sollen, publizierte die emeritierte Ethnologieprofessorin Brigitta Hauser-Schäublin am 5. Mai in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» einen viel beachteten Gastbeitrag. Unter dem provokanten Titel «War das der Sinn der Restitution?» monierte sie, dass die Bronzen durch diese Übertragung nun zum «exklusiven Privateigentum» einer «autokratischen Institution» würden, die vor der «Unterwerfung» durch die Briten «schlimmste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit» begangen habe. Und sie stellt die Befürchtung in den Raum, dass damit der öffentliche Zugang zu den Objekten gefährdet sein könnte.

Eine Woche später legte Hauser-Schäublin in der NZZ nach. Mit ähnlichen Argumenten bezichtigte sie nun explizit Schweizer Museen, die ebenfalls Restitutionsgespräche zu verschiedenen Beninobjekten in den eigenen Sammlungen führen, der «Beschönigung» von «Sklavenjagden, -haltung und -handel».

Benin Initiative Schweiz

Nach der gemeinsamen Deklaration der Benin Initiative Schweiz im Februar (siehe WOZ Nr. 6/23) startet im Juni nun die zweite Phase dieser Kooperation zwischen der staatlichen Museumskommission Nigerias, Mitgliedern von Palast und Kunstgilden sowie den schweizerischen Projektpartnern.

Geplant sind Forschungen zum Bedeutungswandel der Objekte. Auf nigerianischer Seite soll dabei der Kunsthandel vor und nach 1897 einen Schwerpunkt bilden wie auch Fragen zu Sklaverei. Zudem werden alternative Ausstellungsformate entwickelt, die auch den unterschiedlichen Rollen der Beninbronzen als Kultgegenstände, Kriegsbeute, Handelsware und Museumsobjekte Rechnung tragen. 2024 sollen die Forschungsergebnisse publiziert werden.

 

Ein schwerwiegender Vorwurf. Was ist da dran? Wir fragen im Zürcher Museum Rietberg nach, dem grössten Museum «für aussereuropäische Kunst in der Schweiz», das gemeinsam mit sieben weiteren Schweizer Häusern in der Benin Initiative Schweiz (BIS) engagiert ist. Die Gelassenheit von Michaela Oberhofer, Kuratorin für Afrika und Ozeanien, und der Provenienzforscherin Esther Tisa Francini steht in auffallendem Kontrast zu den lauten Feuilleton- und Onlinedisputen mit dem Vorwurf einer «Naivität der Restitutionsdebatte» (NZZ) bis hin zur Forderung, dass Restitutionen nun grundsätzlich zu hinterfragen seien.

Auf die spezifische Situation in der Schweiz angesprochen, betonen die beiden leitenden Mitarbeiterinnen des Museums Rietberg, dass es sich bei der BIS um ein Forschungsprojekt mit offenem Ausgang handle. Ein Vorteil des Schweizer Modells sei auch, dass man von sich aus das Gespräch gesucht habe, anstatt Rückgabeforderungen abzuwarten. Vor allem sei man von Anfang an mit allen Interessenvertreter:innen im Kontakt gewesen: also nicht nur mit Mitgliedern der staatlichen nigerianischen Museumskommission, sondern auch mit Vertretern des Königshauses. Denn vorläufig sei ja nicht zweifelsfrei geklärt, wer der Rechtsnachfolger des 1897 beraubten Königreichs sei.

Oberhofer wird noch programmatischer: «Wenn man Objekte zurückgibt, ist es nicht an uns zu entscheiden, was danach mit ihnen passiert.» Die Befürchtung, dass die Objekte aus der Öffentlichkeit verschwinden könnten, teilen die beiden allerdings nicht. Und ob am Ende der Palast oder der Staat das geplante neue Museum für die Bronzen baue, sei doch zweitrangig.

Mediale Fixierungen

Bereits im Februar hat man im Rahmen einer ersten BIS-Forschungsrunde eine detaillierte Bestandsaufnahme und Recherche zu allen in Schweizer Museen befindlichen Beninobjekten publiziert. Etwa die Hälfte davon wurde als sicheres oder wahrscheinliches Raubgut deklariert. Gemeinsam mit der Delegation aus Nigeria haben die Schweizer Museen zudem eine Absichtserklärung unterzeichnet: Die Besitzrechte an diesen Objekten sollen an die ursprünglichen Besitzer zurückgehen – ohne dass alle einzelnen Werke zwingend auch physisch permanent retourniert werden.

Insgesamt registriert Tisa Francini eine mediale «Fixierung auf physische Restitutionen» und Eigentumsfragen. Dabei gehe es doch viel eher um eine möglichst offene «Zirkulation der Objekte» – und um die grundsätzlichere Frage, wie das Museum der Zukunft aussehen könnte, auch jenseits von seiner Funktion als physischer Aufbewahrungsort. Tendenziell zu wenig Beachtung fänden auch die kooperativen Forschungsprojekte und teils aufwendigen Provenienzrecherchen zu Objektbiografien, die sich am Ende vielleicht bloss mit einem ergänzenden Satz in den Ausstellungsinformationen öffentlich sichtbar niederschlagen. Doch nur auf der Basis seriöser Forschung könnten künftig auch nachhaltige politische Entscheidungen gefällt werden. Oberhofer fügt an: Vorläufig sei es vor allem wichtig, dass bald mehr Bronzen an ihrem Herkunftsort Benin gezeigt würden, wo sie nun mehr als ein Jahrhundert lang gefehlt hätten.

Und die explosive Sklavereifrage? «Benin hat vom Sklavenhandel mit dem Westen profitiert. Das ist ein Fakt», sagt Michaela Oberhofer. «Aber daraus abzuleiten, dass das Königreich Benin heute deswegen kein Anrecht haben soll auf die Rückgabe von Objekten, die ihnen – Jahrhunderte später – von den Briten gewaltsam abgenommen wurden», findet sie «problematisch». Ebenfalls wichtig: Hauser-Schäublin stufe in ihren Artikeln die Sklavereigeschichte als klar bedeutender ein als den kolonialen Raubzug, womit sie die Rolle der kolonialen Mächte, die ja selbst ebenfalls am Sklav:innenhandel beteiligt waren, zumindest implizit kleinrede, wie Tisa Francini ergänzt.

Im Gespräch mit den Expertinnen wird deutlich: Die losgetretene mediale Skandalisierung kann der konkreten, weiterhin durchaus mit Unsicherheiten behafteten Gemengelage nicht gerecht werden. Die BIS scheint von den jüngsten Entwicklungen nur bedingt überrascht worden zu sein, da man bereits mit allen Beteiligten an einem Tisch sitzt – und auch noch keine politischen Entscheidungen gefallen sind.

Angst vor Kontrollverlust

Wenn nun von verschiedenen Seiten Restitutionen grundsätzlich infrage gestellt werden, zeigt das: Das Denken ist offenbar weiterhin kolonial geprägt. Auch das in der deutschen Debatte geäusserte Unbehagen, dass man mit der Übertragung an den Oba nun die Kontrolle über diese Objekte verlieren könnte, macht deutlich, dass man sie weiterhin als eigenen Besitz begreift. So wie man auch Begriffe wie «Weltkulturerbe» aus der Deutungshoheit des Globalen Nordens herauslösen müsste, da sie heute teils als Kampfbegriff gegen Restitutionen eingesetzt werden: Weil die Bronzen eben Weltkulturerbe seien, dürften sie nicht an den Oba von Benin zurückgehen, lautet das schiefe Argument.

Und damit zurück zu Charles III. Dass weiterhin nicht mit gleicher Elle gemessen wird, lässt sich auch daran ablesen, dass die Sklavereifrage beim Königreich Benin einen grossen Wirbel verursacht, beim König von England aber nur im «Guardian» breit thematisiert wurde, wo zur Krönungsfeier eine aufwendige Recherche zu den Sklavereiverstrickungen des britischen Königshauses erschienen ist. Eine Debatte löste das nicht aus. Dabei steht in Charles’ Palästen nach wie vor viel koloniales Raubgut herum – selbstredend nicht öffentlich zugänglich.