Peter Brötzmann (1941–2023): Wider die deutsche Biederkeit
Im vergangenen November spielte Peter Brötzmann sein letztes grosses Konzert. Und zwar ausgerechnet beim Jazzfest Berlin, mit dem der Saxofonist so oft auf Kriegsfuss stand. Weil er sich mit dem damaligen Festivalleiter Joachim-Ernst Berendt überwarf, der ihn 1968 wegen Nichteinhaltung von Kleidervorschriften wieder auslud. Danach baute Brötzmann eine Gegenveranstaltung auf. Um die Kompromisslosigkeit und den Groll des letzte Woche im Alter von 82 Jahren gestorbenen, mehrere Generationen prägenden Musikers zu verstehen, muss man an das Jazzklima der sechziger Jahre erinnern.
Eine Fernsehsendung des WDR von 1967 zeigt den Zwiespalt, aus dem Brötzmanns Beitrag zur Musikgeschichte hervorging. Sieben Jazzkritiker in Anzügen diskutieren über den Gegensatz von «verständlichem Jazz» und Free Jazz, Letzteren nennt der Moderator bereits wertend «Klanggemetzel», nachdem Brötzmann im Trio eine Kostprobe gibt. Vor Brötzmann spielt Klaus Doldinger Modern Jazz, der selbst für 1967 an Biederkeit nicht zu überbieten ist. Die Dissonanz: zum einen diese verspiesserte Jazzlobby, zum anderen ein Livemarkt, auf dem man «das Neue», verkörpert von Eric Dolphy und Albert Ayler, hören konnte.
Peter Brötzmann, in Nordrhein-Westfalen geboren (Remscheid) und gestorben (Wuppertal), Mitbegründer der Free Music Production in Berlin, überschritt den nationalen Horizont. Das Album «Machine Gun» (1968) mit seinem Oktett wurde ein Klassiker und attackierte den deutschen Jazz jener Tage mit Musikern aus Dänemark, den Niederlanden, Grossbritannien. In den Achtzigern machte Brötzmann erfolgreiche Schritte in die USA und Japan.
Und als er Anfang November in Berlin mit dem US-Drummer Hamid Drake und dem marokkanischen Gimbrispieler und Sänger Majid Bekkas auf der Bühne stand, konnte man nur berührt sein. Weil alle merken mussten, dass Free Jazz nicht unverständlich ist, im Gegenteil. Schwierig ist es, den Harmonien von Charlie Parker und dem frühen John Coltrane zu folgen. Brötzmann interessierte sich weniger für Tonleitern und mehr für Energie und Ausdruck. Wie er im Konzert stets neu entschied, ob er den nordafrikanischen Mustern folgt oder nicht, wirkte äusserst lebendig. Beim Nachgespräch in kleiner Runde kehrte der Lakoniker Brötzmann zurück, der aus dem Moderatorenlob des Konzerts mit zwei kurzen Akzenten die Luft rausliess: «Na ja.»