Industriepolitik: Autoteile zu Lastenvelos

Nr. 28 –

Seit zwei Jahren halten die Arbeiter des ehemaligen Autozulieferers GKN Driveline bei Florenz ihr Werk besetzt. Sie kämpfen für den Erhalt ihrer Jobs – und streben eine ökosozialistische Revolution an. Besichtigung eines einzigartigen Experiments.

Gewerkschafter Matteo Moretti
Wagt nicht zum ersten Mal den Aufstand von innen: Gewerkschafter Matteo Moretti (46) an einer Kundgebung zur Unterstützung der Insorgiamo-Bewegung diesen März in Florenz.

Massimo Cortini läuft durch den Gang, der zur Werkhalle führt. Die Kette am Ende solle dafür sorgen, dass niemand die Produktionsstätte mit den teuren Maschinen betrete, erklärt der 48-Jährige, bevor er über die Absperrung steigt. «Hier sieht alles noch genauso aus wie an dem Tag, an dem sie uns geschlossen haben.» Als Cortini in die Halle tritt, geraten Hunderte Maschinen, Gestelle und Rohre ins Blickfeld. Vierzig Millionen Euro – so viel seien die hier versammelten Geräte, die hochmodernen, teils noch originalverpackten Roboter und eingeschweissten Waren wert, so Cortini.

Die riesige Werkhalle ist das Herzstück des Autozulieferers GKN Driveline. Einst Teil des Fiat-Imperiums, ging die Fabrik in den Neunzigern in den Besitz des britischen Konzerns GKN über, bevor dieser 2018 vom Investmentfonds Melrose Industries übernommen wurde. Für Fiat, Renault, Toyota und BMW, sogar für Ferrari und Maserati habe man früher Antriebswellen produziert, zählt Cortini mit einem Anflug von Stolz in der Stimme auf. «Wir waren Weltmarktführer.»

Seit zwei Jahren steht die Produktion auf dem 26 000-Quadratmeter-Gelände still. Dafür ist im Industriegebiet von Campi Bisenzio, eine halbe Stunde Busfahrt von Florenz entfernt, ein einzigartiges Experiment entstanden: der Versuch einer Reindustrialisierung von unten, GKN for Future. Die Arbeiter wollen Klima- und Klassenkampf praktisch miteinander verbinden – ihr Ziel sind die Demokratisierung der Produktion und die Ökologisierung der Produkte. Oder, um es auf eine kurze Formel zu bringen: Autoteile zu Lastenvelos. Die Bewegung um Cortini und seine Mitstreiter:innen ist zur derzeit vielleicht grössten ökosozialistischen Hoffnung in Europa geworden.

An jenem heissen Sonntag Mitte Juni, an dem Cortini durch die Werkhalle führt, haben sich in der stickigen Fabrikmensa Vertreter:innen der italienischen Klimabewegung, Gewerkschafterinnen, solidarische Studenten und Arbeiterinnen aus anderen Fabriken versammelt, aus Umbrien, Neapel oder Triest, um von jenem öffentlichen Labor der Selbstverwaltung zu lernen, zu dem der Ort inzwischen geworden ist. Viele der rund achtzig Teilnehmer:innen tragen die GKN-Shirts, die es einen Stock tiefer zu kaufen gibt. Das Logo ist an das ursprüngliche Produkt, die Antriebswelle, angelehnt.

Die Leidens- und zugleich Kampfgeschichte der GKN-Arbeiter beginnt am 9. Juli 2021 mit einem E-Mail. An jenem denkwürdigen Freitag erhalten sämtliche 422 Beschäftigte sowie die rund 80 Leiharbeiter:innen plötzlich und ohne Vorwarnung ihre Kündigung: Bereits am Montag bräuchten sie nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen. Die Massenentlassung erfolgt – entgegen anderslautenden Versprechen – nur wenige Tage nachdem eine Vereinbarung zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmerverband über ein Kündigungsverbot in der Covid-Krise ausgelaufen ist. Der Standort Florenz ist damit Geschichte, die Produktion wird ins Ausland verlagert – zwecks Profitmaximierung und ganz nach dem Motto von Melrose Industries: «Buy, improve, sell.»

Tausende schlossen sich den Arbeitern an: Die erste grosse Demo nach der Besetzung der Fabrik, Juli 2021.
Tausende schlossen sich den Arbeitern an: Die erste grosse Demo nach der Besetzung der Fabrik, Juli 2021.

Statt einen neuen Job zu suchen, besetzen die Arbeiter kurzerhand die Fabrik. Seither hängt über dem Eingang ein rotes Transparent mit dem Logo der Bewegung, am Zaun prangen Solibotschaften. Weil eine Besetzung rasch geräumt werden würde, wenden sie einen Trick an – und sprechen von einer «permanenten Versammlung», die ist legal.

Massimo Cortini, den alle nur «Berva» nennen, was so viel wie Biest heisst und gar nicht zu seiner freundlichen Art und der schmächtigen Erscheinung passt, ist in der Nähe aufgewachsen. 1998 trat er in der Fabrik seinen ersten Job an, den er gern machte, wie er sagt. Während der Führung zeigt er hier auf einen Roboter, da auf eine Fräsmaschine, nimmt einen Teil einer Kurbelwelle in die Hand, um die Funktionsweise zu erklären. Irgendwann bleibt er vor einer Werkzeugmaschine stehen: «Das ist meine.» Hier habe er jeweils in Schichten gearbeitet: von 6 bis 14 Uhr, 14 bis 22 Uhr oder 22 bis 6 Uhr.

Massimo Cortini
Massimo Cortini (48), Fabrikarbeiter bei GKN Driveline.

Die Schliessung im Sommer vor zwei Jahren war für Cortini ein Schock. «Mental hatte ich es auch nach einer Woche noch nicht verkraftet», sagt er. Jeden Tag sei er in die Fabrik gekommen – mit dem Gefühl, er gehe zur Arbeit. Stattdessen ging er zu den Versammlungen des Collettivo di Fabbrica GKN, so etwas wie die Schaltzentrale des Widerstands. Das Kollektiv habe ihn von Anfang an zum Kämpfen motiviert.

Das Erbe des Operaismus

Wer verstehen will, wie der Kampf ums GKN-Werk in Campi Bisenzio zum Vorbild werden konnte, muss einige Jahre in der Geschichte zurückgehen. Nachdem die sonntägliche Konferenz in der Mensa zu Ende ist, findet Matteo Moretti Zeit, von der Entstehung des Collettivo zu erzählen.

Moretti (46), stoppeliger Kurzhaarschnitt, im obligatorischen GKN-Shirt, hat über zwanzig Jahre lang die Maschinen in der Fabrik gewartet. Dass das Ringen um die künftige Produktion zum Modell werden konnte, ist ihm zufolge der maximalen gewerkschaftlichen Organisierung im Betrieb zu verdanken. 2007 trat Moretti in die Metallarbeiter:innengewerkschaft Fiom ein, die Teil des italienischen Gewerkschaftsbunds CGIL ist – um schon bald von innen heraus den Aufstand zu wagen. «Wir hatten das Gefühl, die Gewerkschaft vertritt unsere Interessen nicht, also haben wir uns neu organisiert», sagt er.

Unter dem Dach eines basisgewerkschaftlichen Fabrikrats, dem nicht nur gewählte Repräsentanten wie Moretti angehörten, sondern auch externe Unterstützer:innen und viele der bisher nicht aktiven Arbeiter, formierte sich eine Art autonomes Gegengewicht zu den traditionellen Gewerkschaften, die über die Jahre immer mehr dazu übergegangen waren, den Stillstand zu verwalten. «Ein Klassenbewusstsein schaffen», nennt das Moretti. 2018 entstand daraus das Collettivo di Fabbrica.

GKN-Fabrik in Campi Bisenzio bei Florenz.
Blick in eine Halle der besetzten GKN-Fabrik in Campi Bisenzio bei Florenz. 

Sein Hauptquartier hat das Kollektiv im Gewerkschaftscontainer mitten in der Werkhalle. An den Wänden des sonst schmucklosen Büros hängt eine schwarz-rote Flagge mit der Aufschrift «26 Julio», dem Anfangsdatum von Fidel Castros kubanischer Revolution. Weitere Fahnen stehen für Kämpfe und Gruppierungen, mit denen man sich solidarisiert oder an die hier erinnert wird: der kurdische Befreiungskampf in Rojava oder der heisse Herbst im Turiner Fiat-Werk Mirafiori im Jahr 1969, als die dortigen Arbeiter den Boden für eine militantere Gewerkschaftspolitik bereiteten.

Auf dieses Erbe beziehen sich auch Moretti und seine Mitstreiter:innen. «Wir haben uns an der Geschichte unseres Landes orientiert», erzählt er. Er meint die Erfahrungen des als Operaismus bekannten Klassenkampfs der sechziger und siebziger Jahre – einer neomarxistischen Bewegung, die sich in Norditalien mit Streiks gegen die Fremdbestimmung der Fabrikarbeit richtete; das Collettivo di Fabbrica ist den damals in vielen Betrieben etablierten Räten nachempfunden. Leider sei dieses Instrument zerstört worden, so der Gewerkschafter. «Mit den Vereinbarungen zwischen Firmen und Gewerkschaften in den Neunzigern hat man den Arbeitern die Autonomie genommen.»

Auch die Haltung, der Klassenkampf solle nicht bloss in der Fabrik selbst geführt werden, hat ihren Ursprung in jener Zeit. So sind die Mitglieder des Kollektivs stark in der Region verankert, nicht nur an den Demos oder in den Centri Sociali, den autonomen Zentren der Umgebung, sondern auch im lokalen Fussballklub, in der Kirche oder beim Zivilschutz. Entscheidend ist zudem die Solidarität mit anderen politischen Initiativen. Kaum eine Demo oder ein Streik in der Region und darüber hinaus ohne die Präsenz jener Bewegung, die rund um die Fabrik entstanden ist. Ihr Motto: «Insorgiamo con i lavoratori GKN», wir erheben uns mit den GKN-Arbeitern – angelehnt an ein Motto der florentinischen Partigiani.

Am Tag vor der Konferenz etwa reisen Cortini, Moretti und die anderen mit ihrem roten «Insorgiamo»-Banner nach Bologna. Gemeinsam mit 10 000 weiteren Protestierenden prangern sie die Untätigkeit der Regierung nach der verheerenden Flut in der Emilia-Romagna an, jubeln, als vor der Regionalverwaltung ein Laster voller Schlamm ausgekippt wird. Am Konferenztag selbst wird ein Möbelhändler in der Nachbarschaft besucht, wo die Arbeiter:innen für gerechte Löhne streiken. Und einen Tag später versammeln sich Kollektivmitglieder vor dem griechischen Konsulat in Florenz, um ein Zeichen gegen das Sterben im Mittelmeer zu setzen.

Was in linken Diskursen stets etwas abgegriffen «Kämpfe verbinden» heisst, wird in Campi Bisenzio gelebt. Wer sich mit anderen solidarisch zeigt, bekommt Solidarität zurück, so die eigentlich einfache Formel. Im März 2022 etwa demonstrieren in Florenz Zehntausende für die Anliegen der Fabrikarbeiter.

In den zwei Jahren seit der Betriebsschliessung hat der GKN-Kampf diverse Phasen durchlebt. Erst wehrte sich die Arbeiterschaft gerichtlich gegen die Kündigung. Im Dezember 2021 aber kaufte der Unternehmer Francesco Borgomeo das Areal. Finanzmedien berichteten damals, Borgomeo, der eigentlich zur Abwicklung der Fabrik eingesetzt worden war, habe bloss einen Euro dafür gezahlt.

Borgomeo verpflichtete sich, innert sechs Monaten Investor:innen für ein neues Industrieprojekt zu finden. Gelinge dies nicht, so versprach er zumindest, werde er eigenes Kapital in eine Konversion der Produktion stecken. Es folgten Monate mit Kurzarbeitsgeld und Unsicherheit, zahlreiche runde Tische und Sitzungen mit dem Wirtschaftsministerium, den Gewerkschaften und dem neuen Konzernchef. Borgomeo liess Frist um Frist verstreichen, einen Zukunftsplan oder Investor:innen präsentierte er nie. Letzten November erhielten die Arbeiter dann plötzlich keinen Lohn mehr.

Inzwischen sind es fast neun Monate ohne Einkommen, was an keinem der Arbeiter spurlos vorbeigeht. Viele sagen, der Kampf befinde sich zurzeit an einem schwierigen Punkt, beschreiben die Zeit des Wartens als zermürbend, was wohl auch Borgomeos Ziel ist: Als Fabrikbesitzer ist er am längeren Hebel und kann den Konflikt einfach aussitzen. Hatte sich zu Beginn die Mehrheit der Besetzung angeschlossen, sind heute noch rund 180 Arbeiter übrig. Die Verbliebenen verfolgen unterschiedliche Strategien, um mit dem Erwerbsausfall umzugehen: Einige nehmen Kredite auf, andere stellen Anträge an den Solidaritätsfonds, den Unterstützer:innen eingerichtet haben, oder erhalten Hilfe von ihren Familien. «Ich habe Glück, die Hypothek meines Hauses habe ich bereits abbezahlt», erzählt Massimo Cortini. Ausserdem arbeite seine Frau Vollzeit. «Das hat mir geholfen, alles entspannter anzugehen.»

«Im Moment kämpfen wir an mehreren Fronten», sagt Gewerkschafter Matteo Moretti. Zum einen gehe es um den Lohn. Das Nationalinstitut für Soziale Fürsorge (INPS) würde eine Lohnausfallentschädigung zahlen, doch dafür braucht es Angaben von Borgomeo, die dieser nicht liefert. Für Moretti nichts als «Erpressung». Am Tag nach der Versammlung in der Fabrik protestiert darum eine Delegation im INPS-Büro in Florenz. Zum anderen gebe es den zweiten Kampf, so Moretti, jenen um die Reindustrialisierung von unten. «Wir wollen wieder in der Fabrik arbeiten können.»

Reindustrialisierung 2.0

Lange bevor sich abzeichnet, dass auf Borgomeos Versprechen kein Verlass ist, nehmen die Arbeiter die Zukunft der Fabrik selbst in die Hand. Bereits kurz nach der Schliessung findet eine Gruppe zusammen, um einen Plan zur ökologischen Konversion der Produktion zu erstellen: ökologisch verträgliche Güter statt Teile für die umweltschädliche Autoindustrie. Mit dabei ist auch Francesca Gabbriellini. Die 34-Jährige lernt die Leute um Moretti und Cortini 2016 bei einer Politveranstaltung kennen. Als sie fünf Jahre später von der Massenentlassung bei GKN Firenze hört, eilt sie mit Unikolleg:innen aus Pisa nach Campi Bisenzio. «Wir schliefen in der Fabrik und halfen mit, wo es uns brauchte», erzählt die Historikerin in einem Zoom-Call aus Paris, wo sie zurzeit als Doktorandin weilt.

Als die Besetzung erst wenige Wochen alt ist, bittet das Kollektiv Gabbriellini und weitere solidarische Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen, ihr Wissen für GKN einzusetzen. «Alles beruhte aber auf der Vision der Arbeiter», betont sie. Der erste umfassende Industrieplan, den die Gruppe entwickelt, sieht eine Umstellung der Produktion auf Antriebswellen für Busse vor, an der sich laut Plan auch der italienische Staat beteiligen soll. Obwohl diese Verschiebung vom Individual- zum öffentlichen Verkehr ökologisch sehr wünschenswert wäre, zeigen die Behörden kein Interesse an der Idee – und zwingen das Kollektiv damit zum Umdenken.

Inzwischen steht ein neuer Plan, Reindustrialisierung 2.0: Die Fabrik soll inskünftig als Genossenschaft geführt werden und statt Antriebswellen Lastenvelos und Solarpanels produzieren. Per Crowdfunding kamen kürzlich 170 000 Euro zusammen, nun ist das Kollektiv auf der Suche nach Investor:innen. Die eleganten Prototypen der Velos lassen sich bereits am Fabrikeingang besichtigen – auch sie sind mit dem GKN-Logo versehen.

Emanuele Genovese ist für die Konferenz in der Fabrikmensa aus Rom angereist. Der 25-jährige Student der Umweltökonomie ist Teil von Fridays for Future (FFF) Italien – und mitverantwortlich dafür, dass Klimabewegung und GKN-Arbeiter eng miteinander verbunden sind. «Ein Freund rief mich im Oktober 2021 an und meinte, da passiere gerade eine grosse Sache in Florenz», erinnert sich Genovese. Die Klimaaktivist:innen traten daraufhin mit dem Kollektiv in Kontakt. «Wir waren sehr beeindruckt von ihnen – sie hatten nicht nur sehr klare Visionen zur ökologischen Transformation, sondern auch eine neue Idee von Arbeit.»

Auch wenn nicht alle Arbeiter von Beginn weg von der Konversionsidee begeistert waren, endeten die Debatten immer mit einvernehmlichen Beschlüssen. Diese Demokratisierung der Entscheidungsprozesse, wie sie das Kollektiv lebe, sei zentral für das Gelingen einer ökologischen Transformation, ist Aktivist Genovese überzeugt. Entsprechend ist die Klimabewegung treue Partnerin, begleitet die Arbeiter auf ihren Aufklärungstouren, unterstützt sie mit Onlinekampagnen, an Demos und bei strategischen Entscheiden im Zusammenhang mit dem Reindustralisierungsplan.

In Italien sei der Fall GKN einzigartig, sagt Genovese. Denn sofern eine Belegschaft nicht bereits eine ökologische Vision habe, gestalte sich die Zusammenarbeit zwischen Klimaaktivistinnen und Arbeitern schwierig. Und auch die Gewerkschaften seien nicht gerade empfänglich. «Das Wichtigste an GKN? Dass es ein Vorbild ist.» Ähnlich tönt es bei Antonella Bundu.

Antonella Bundu
Antonella Bundu (53), Stadtparlamentarierin in Florenz. 

Schon jetzt ein Sieg

Die 53-Jährige empfängt im Palazzo Vecchio, einer der Sehenswürdigkeiten von Florenz. Im imposanten Palast, für dessen Besichtigung die Tourist:innen gerade Schlange stehen, tagt montagnachmittags jeweils das sozialdemokratisch dominierte Stadtparlament. Seit ihrer Wahl 2019, als Bundu als erste Schwarze Frau Italiens auch für ein Amt als Bürgermeisterin kandidierte, vertritt sie dort die linke Koalition Sinistra Progetto Comune. Wie Gabbriellini war auch Bundu gleich nach der Fabrikschliessung vor Ort. «Wir Unterstützer:innen mussten sicherstellen, dass niemand aufs Gelände eindringt», erinnert sie sich, «so wuchsen wir zu einer Art Familie zusammen.» Seither engagiert sich Bundu für das Kollektiv.

Die GKN-Arbeiter träten nicht nur für ihre eigenen Rechte ein, sondern für die Rechte aller, das spreche sie am meisten an. «Jeder von ihnen könnte morgen einen anderen Job finden», meint die Politikerin. Sie glaubt, dass der Kampf der GKN etwas Universelles habe: Was den Arbeitern passiert sei, könne einem auch selbst passieren; wer sich für sie einsetze, setze sich also auch für sich selbst ein.

Bundu begibt sich in den Saal, in dem die Sitzung des Stadtrats beginnt. «Die GKN-Leute haben diesen Ort letzten Herbst besetzt», erinnert sie sich lachend. 36 Stunden lang seien sie in dem altehrwürdigen Raum gewesen. Bundu unterstützte sie dabei. Auf politischer Ebene kann sie allerdings nur wenig ausrichten. Da die Fabrik auf dem Boden der Gemeinde Campi Bisenzio steht, hat der Florentiner Stadtrat keine direkten Einflussmöglichkeiten. Zwar hat die Mehrheit der Politiker:innen ihre Solidarität mit den Arbeitern bekundet, doch das seien nichts als leere Worte, meint 0Antonella Bundu.

Collettivo di Fabbrica GKN
Das Collettivo di Fabbrica GKN macht sich öffentlich bemerkbar: Protest im Industriegebiet von Campi Bisenzio.

Immerhin ein kleiner Erfolg war die Annahme eines Gesetzesvorschlags, der einen Solidaritätspakt zwischen der Stadt Florenz und der Unterstützungsorganisation der GKN-Arbeiter etablierte. Dank diesem sollen in Zukunft Mittel fliessen, auch aus dem EU-Haushalt. «Es ist das erste Mal in der Stadtgeschichte, dass so ein Pakt Realität wird», sagt Bundu stolz.

Wie es weitergeht, ist offen; ruhig geworden ist es um das umtriebige Kollektiv jedoch keinesfalls. Anfang Juli besetzten Mitglieder für eine knappe Woche einen 45 Meter hohen Turm im Herzen von Florenz, «als Fortführung des Kampfes in der Fabrik, auf der Strasse und beim Ausarbeiten eines Industrieplans», wie sie schreiben. Letztes Wochenende, zum zweijährigen Jubiläum der «permanenten Versammlung», fand in Campi Bisenzio ein rauschendes Fest mit internationalen Gästen statt. Und im Herbst will das Kollektiv auf der Suche nach Investor:innen auf grosse Europatour gehen. Die Unterstützer:innen Gabbriellini und Bundu glauben, dass das Collettivo unabhängig vom Ausgang seines Kampfes längst gewonnen hat. Gabbriellini sagt: «Es ist die wichtigste und längste Besetzung in der Geschichte der italienischen Arbeiter:innenbewegung.»

Historische Vorbilder

Bemühungen um eine Konversion der industriellen Produktion «von unten» hat es immer wieder gegeben. Nachdem etwa das Management des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace Mitte der Siebziger Massenentlassungen angekündigt hatte, legten die Arbeiter:innen einen umfassenden Plan für die Produktion von Windturbinen, Wärmepumpen oder Hybridmotoren vor. Besonders wichtig war den Gewerkschafter:innen damals die Demokratisierung der Produktionsprozesse – so, wie es nun auch das Fabrikkollektiv in Campi Bisenzio praktiziert.

Auch in der Schweiz wurde schon einmal der Versuch unternommen, die Industrie von unten zu verändern. 2008 traten die 430 Arbeiter:innen der SBB-Werkstätten in Bellinzona nach der Ankündigung eines Stellenabbaus und der Schliessung des Standorts in den Streik und besetzten das Werk. Nach fünf Wochen lenkte das Management schliesslich ein. Und auch die Arbeiter:innen in Bellinzona entwickelten einen Plan: zur ökonomischen Entwicklung einer Randregion. Per Volksinitiative forderten sie erfolgreich die Schaffung eines Kompetenzzentrums.

In den vergangenen Jahren hat das Bestreben, Klima- und Arbeitskämpfe miteinander zu verknüpfen, an Fahrt gewonnen – nicht zuletzt dank des Engagements der GKN-Arbeiter. In Deutschland etwa streikten im Frühling erstmals Klimaaktivist:innen gemeinsam mit Angestellten des öffentlichen Verkehrs für bessere Arbeitsbedingungen und einen Ausbau des Netzes. Kürzlich fand auch ein Austausch zwischen deutschen Gewerkschafter:innen und dem Collettivo di Fabbrica statt.

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