Arbeitskampf in den USA: Die neue Macht ausgespielt
Erfolg für die Teamsters: Die Gewerkschaft hat dem Logistikkonzern UPS unter Androhung eines riesigen Streiks historische Zugeständnisse abgerungen.
Streik oder nicht Streik, das war die Frage. Seit April hatten die Gewerkschaft der Teamsters und das Logistikunternehmen UPS über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag verhandelt. Klar war dabei von Anfang an, dass der Konzern substanzielle Zugeständnisse machen muss – angesichts der neuen Konfrontationsbereitschaft der Beschäftigten. Im Raum stand eine Arbeitsniederlegung durch 340 000 Gewerkschaftsmitglieder, was für UPS wohl einen Milliardenverlust bedeutet hätte. Eine Aktion dieser Grössenordnung hätte sich im ganzen Land bemerkbar gemacht (siehe WOZ Nr. 17/23).
Immer wieder in den vergangenen Monaten konnte die Teamsters-Führung Teilerfolge vermelden. Zuletzt sah es jedoch so aus, als wären die beiden Seiten zu weit voneinander entfernt. Man sah protestierende Arbeiter:innen vor den Paketzentren, die eine Art Teststreik abhielten. «Just practicing» stand auf ihren Plakaten: Wir üben nur. Unterstützt wurden sie von progressiven Politiker:innen wie Alexandria Ocasio-Cortez, linken Organisationen wie den Democratic Socialists of America und zahlreichen anderen Gewerkschaften.
Geld ist vorhanden
Die kollektive Demonstration der Stärke zeigte schliesslich Wirkung. Vergangene Woche, wenige Tage vor Ablauf des alten Vertrags, trafen Teamsters und UPS nun eine «vorläufige Vereinbarung». Sollte die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder bis zum 22. August zustimmen, wofür derzeit einiges spricht, ist ein neuer Vertrag besiegelt. Laut Teamsters-Präsident Sean O’Brien, seit 2022 im Amt, ist es der fairste in der Geschichte von UPS.
Das Ergebnis der Verhandlungen ist tatsächlich historisch: Alle Beschäftigten bekommen noch in diesem Jahr 2,75 US-Dollar mehr pro Stunde. In den kommenden fünf Jahren sollen die Löhne um insgesamt 7,50 Dollar pro Stunde steigen. Als Mindestlohn für Teilzeitbeschäftigte wurden 21 Dollar festgehalten. Beendet wird das Zweiklassensystem, wonach manche Fahrer:innen für praktisch den gleichen Job wesentlich weniger verdient haben als andere. Auch «erzwungene Überstunden» am Wochenende sind fortan untersagt, genauso wie die Kameraüberwachung der Fahrzeugkabinen. UPS verpflichtet sich zudem, einen weiteren Feiertag zu bezahlen (Martin Luther King Day), die Fahrzeuge und Paketzentren zu klimatisieren und insgesamt Tausende neue Stellen zu schaffen.
Verglichen mit dem alten Vertrag muss das Unternehmen über die nächsten fünf Jahre 30 Milliarden US-Dollar mehr in die Hand nehmen, wie die Teamsters verkündet haben. UPS-Chefin Carol Tomé zeigte sich dennoch zufrieden – zumindest nach aussen hin. Der neue Vertrag lasse dem Unternehmen die nötige «Flexibilität, um wettbewerbsfähig zu bleiben», sagte sie. Dazu muss man wissen, dass UPS im vergangenen Jahr 14 Milliarden Dollar Profit gemacht hat. Geld ist also vorhanden. Auch bei Tomé privat. Sie verdiente zuletzt knapp 28 Millionen Dollar pro Jahr.
Wesentlich angriffslustiger
Viele Beschäftigte zeigten sich zufrieden über die vorläufige Einigung. Von mancher Seite gab es allerdings auch Kritik. Der Warenlagerarbeiter Luigi Morris bemerkte gegenüber dem Magazin «Left Voice», dass die ursprüngliche Forderung nach einem Anfangslohn von 25 Dollar pro Stunde für Teilzeitkräfte nicht durchgesetzt wurde. Auch die bekannte Gewerkschaftsforscherin Jane McAlevey wies in «The Nation» darauf hin, dass trotz der bemerkenswerten Fortschritte längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Die Teamsters befänden sich in der «extrem seltenen Position, eine bedeutende Macht über die gesamte Wirtschaft ausüben zu können», so McAlevey. Diesen Vorteil hätte man noch offensiver ausspielen und es im Zweifel auf einen Streik ankommen lassen können.
Dass die Teamsters überhaupt in der Lage waren, so viele Forderungen durchzusetzen, liegt daran, dass sich innerhalb der Gewerkschaft ein Wandel vollzogen hat. Progressive Reformer:innen haben in den vergangenen Jahren wichtige Positionen besetzt und die Basis mobilisiert. So konnte schliesslich auch der konservative Technokrat James Hoffa Junior letztes Jahr von der Spitze verdrängt werden. Seit Sean O’Brien die Teamsters führt, tritt die Gewerkschaft wesentlich angriffslustiger auf.
Wie immer, wenn Gewerkschaften signifikante Erfolge in Verhandlungen über Gesamtarbeitsverträge feiern, stellt sich nun auch bei den Teamsters die Frage, wie man die Energie aufrechterhält. «Wir müssen fokussiert und militant bleiben», sagte Vincent Perrone, der als Präsident des Ortsverbands Local 804 über 8000 UPS-Mitarbeiter:innen in New York vertritt. Es spricht für die Teamsters, dass diese Risiken schon jetzt erkannt werden.