Eric Blanc: Wie wichtig sind Partys im Kampf gegen den autoritären Putsch?
Weil viele Gewerkschaften in den USA zu passiv seien, sollten sich Arbeiter:innen auch ohne Funktionäre organisieren und den Kongress besetzen, sagt der Wissenschaftler und Aktivist.

WOZ: Eric Blanc, Sie haben in den vergangenen drei Monaten den Widerstand staatlicher Bediensteter gegen die Trump-Regierung mitorganisiert. Wo genau stehen wir?
Eric Blanc: Donald Trump und Elon Musk sind mit einer Abrissbirne unterwegs, zertrümmern staatliche Programme und Gewerkschaften. Die Staatsangestellten sind normalerweise nicht für Militanz bekannt. Doch jetzt ist diese Belegschaft quasi gezwungen, sich zur Wehr zu setzen. Sie haben aber kein Recht auf Streik. Die gewerkschaftlichen Möglichkeiten sind sehr eingeschränkt. Angesichts dieser Hindernisse und angesichts der grossen Angst ist es erstaunlich, wie viel Widerstand sich regt.
WOZ: Die Organisierung läuft über das Federal Unionists Network (FUN), ein Netzwerk von Staatsangestellten, die gewerkschaftlich aktiv sind. Wie sind Sie dort gelandet? Sie selbst sind ja kein Staatsangestellter.
Eric Blanc: Die Leitung des FUN hat mich im Januar um Hilfe gebeten. Zum grossen Bedauern meiner Frau ist das dann ein Vollzeitjob geworden. Am Anfang waren es zehn, zwölf Stunden pro Tag. Ich hatte das Gefühl, das ist so ein Alle-Mann-an-Deck-Moment. Wir erleben einen autoritären Putsch, und wenn ich in fünfzig Jahren zurückblicke, möchte ich nicht bereuen, dass ich nicht alles getan habe, um das zu verhindern.
«Die Gewerkschaftsbewegung ist immer noch die stärkste mitgliederbasierte Kraft.»
WOZ: Wie sieht der Widerstand konkret aus?
Eric Blanc: Im Februar hat das FUN zu einem landesweiten Aktionstag aufgerufen. Das Netzwerk hat auch eine führende Rolle bei der Organisierung der «Hands Off!»-Proteste am 5. April übernommen. Millionen Menschen demonstrierten an diesem Tag gegen Trump. Das waren die bisher grössten Proteste gegen die Regierung. Und mittlerweile zeigt sich die Wirkung. Musk hat gerade erst angekündigt, dass er sich aus der Politik zurückziehen wird. Wir waren nicht die Einzigen, die das bewirkt haben, aber eine entscheidende Kraft.
WOZ: Die Regierung hat bereits Zehntausende Staatsangestellte in etlichen Behörden entlassen. Sind diese Arbeitsplätze nun alle verloren, oder können Sie einen Teil davon zurückgewinnen?
Eric Blanc: Der Bewegung ist es bereits gelungen, vielen Arbeiter:innen den Job zurückzuholen. Durch eine Kombination aus öffentlichem Druck und Gerichtsverfahren. Die Frage ist natürlich, ob das Trump abschreckt. Und klar ist auch, dass schon jetzt ein enormer Schaden entstanden ist. Wir kennen die genauen Zahlen nicht, aber möglicherweise geht es um Hunderttausende, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder kurz davor stehen.
WOZ: Warum, glauben Sie, verfolgt Trump die Zerschlagung von Bundesbehörden überhaupt so brachial?
Eric Blanc: Es ermöglicht ihm die uneingeschränkte Kontrolle über die Behörden. In seiner ersten Amtszeit hatte er das Gefühl, von Behörden und ihren Mitarbeiter:innen eingeengt zu sein. Dazu kommen ideologische Gründe. Trump und Musk sind zutiefst davon überzeugt, dass der private Sektor effektiver und effizienter ist als der Staat. Und dann handelt es sich auch schlichtweg um Korruption. Wenn die Raumfahrtbehörde Nasa geschrumpft wird, hat Musk für sein Unternehmen SpaceX klare finanzielle Vorteile. Das Gleiche gilt für Jeff Bezos und Amazon, die davon profitieren, dass der Postal Service verkleinert wird. Wir sehen einen Raub gigantischen Ausmasses durch die reichsten Männer der Welt.
WOZ: Trump ist nicht der erste US-Präsident, der den Staat abbauen will. Ist die Situation heute mit jener unter Ronald Reagan zu vergleichen, der in den achtziger Jahren ähnliche Ziele hatte?
Eric Blanc: Was Trump macht, ist vom Umfang her viel extremer. Es geht um eine Million Beschäftigte, die aufgrund seiner Executive Order möglicherweise ihr Recht auf Verhandlungen, vertreten durch ihre Gewerkschaft, verlieren. Und die Angriffe auf die Bundesbehörden betreffen jede:n Amerikaner:in. Wenn Trump damit ohne signifikante Gegenwehr durchkommt, dann werden Unternehmen das Gleiche tun. Sie werden ihre Beschäftigten einschüchtern, ihnen das Mitspracherecht nehmen, Gewerkschaftsverträge ignorieren.
«Gewerkschaften haben zu viel Angst vor dem Verlieren.»
WOZ: Mit welchen Massnahmen versucht die Regierung, Gewerkschaftsarbeit zu verhindern?
Eric Blanc: Die Regierung hat beispielsweise ein Direktionsmitglied des National Labor Relations Board entlassen. Der Behörde, die Abstimmungen über die Gründung von Gewerkschaften überwacht und für die Durchsetzung der Arbeitsgesetze für die meisten amerikanischen Arbeitnehmer:innen sorgt, wurde so die Beschlussfähigkeit genommen.
WOZ: Die Arbeitsschutzbehörde ist also derzeit lahmgelegt?
Eric Blanc: Gewerkschaftswahlen werden zum Glück von den Regionalbüros der Behörde durchgeführt. Insofern ist diese immer noch aktiv. Allerdings ist alles noch viel langsamer als davor schon. Das National Labor Relations Board ist chronisch unterbesetzt.
WOZ: Trump spricht davon, die amerikanischen Arbeiter:innen schützen zu wollen. Sein Ziel sei es, ein «goldenes Zeitalter der amerikanischen Industrialisierung» einzuleiten. Gibt es Arbeiter:innen, die von Trumps Politik profitieren?
Eric Blanc: Trump ist ein Lügner. Es heisst also gar nichts, wenn er sagt, dass er sich für Arbeiter:innen einsetze. Wer Gewerkschaften bekämpft, kann nicht arbeitnehmer:innenfreundlich sein. Gut möglich, dass Trump glaubt, dass etwa die Zölle im Sinne der Arbeiter:innenklasse sind, weil sie Jobs in der Produktion zurückbringen. Ohne gewerkschaftlichen Schutz sind solche Arbeitsplätze allerdings in der Regel ziemlich schlecht bezahlt und gefährlich. Dazu kommt, dass seine Zollpolitik so chaotisch ist, dass sie am Ende wohl der ganzen Wirtschaft schaden wird.

WOZ: Blicken wir auf die Gewerkschaftsbewegung als Ganzes. Wie reagieren die verschiedenen Kräfte bislang auf Trump?
Eric Blanc: Die meisten Gewerkschaften haben es nicht geschafft, der Situation gerecht zu werden. Es werden zwar Pressemitteilungen veröffentlicht, in denen Trump kritisiert wird, Klagen eingereicht und Mitglieder dazu aufgefordert, an ihre Kongressabgeordneten zu schreiben. Aber das ist völlig unzureichend angesichts dieser autoritären Machtübernahme. Es gibt ein paar Gewerkschaften, die sich aktiv bei der Regierung einschmeicheln. Die «Teamsters», die unter anderem Lkw-Fahrer:innen vertreten, sind dafür ein trauriges Beispiel. Und auf der linken Seite gibt es eine Minderheit von Gewerkschaften, die ernsthaft versuchen, sich gegen den Trumpismus zu wehren. Die Gewerkschaft der Lehrer:innen in Chicago beispielsweise mobilisiert gerade stark für Massenproteste am 1. Mai.
WOZ: Nur 9,9 Prozent der Arbeiter:innen sind gewerkschaftlich vertreten, ein historischer Tiefstand. Ist die Gewerkschaftsbewegung am Ende vielleicht einfach zu schwach, um eine wirkliche Rolle in der Opposition zu spielen?
Eric Blanc: So schwach die Gewerkschaftsbewegung auch sein mag, sie ist immer noch die stärkste mitgliederbasierte Kraft in den USA. Wir sprechen von über vierzehn Millionen Mitgliedern. Wichtige Bereiche der Wirtschaft sind weiterhin gewerkschaftlich organisiert: Häfen, Fabriken, Schulen. Man könnte hier für erhebliche Störungen sorgen.
WOZ: Sie beschreiben in Ihrem Buch «We Are the Union» eindrücklich den Erfolg neuer Graswurzelgewerkschaften. Ich würde aber gerne zunächst über eine allgemeine Beobachtung von Ihnen sprechen. Sie schreiben, dass die meisten progressiven Bemühungen seit den achtziger Jahren entweder «gut verwurzelt, aber klein» oder «schlecht verwurzelt und gross» gewesen seien. Was meinen Sie damit?
Eric Blanc: Wir haben in den vergangenen zwanzig Jahren einige Massenbewegungen erlebt, die grossen Demos gegen den Irakkrieg, Occupy Wall Street, Black Lives Matter, Klimamärsche. Die Menschen gehen auf die Strasse und dann wieder nach Hause, weil es an Möglichkeiten der längerfristigen Organisierung fehlt. Auf der anderen Seite gibt es solche Strukturen, wo echte Macht durch Basisarbeit aufgebaut wird, zum Beispiel bei Gewerkschaften und in lokalen Community-Gruppen, aber diese Organisationen sind oft viel zu klein. Die entscheidende Herausforderung liegt also in der Skalierung. Es geht darum, sich auf nationaler Ebene dauerhaft zu organisieren.
WOZ: Wie müssen sich die Gewerkschaften verändern, um das zu erreichen?
Eric Blanc: Das Grundproblem ist, dass die meisten Gewerkschaften gar nicht erst versuchen zu wachsen. Und ich würde behaupten, dass man als Gewerkschaft die eigenen Mitglieder kaum konsequent schützen kann, wenn man nicht versucht, die eigene Basis zu vergrössern. Einmal, weil Unternehmen, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, so im Vorteil bleiben. Nehmen wir den Paketlieferer UPS, der von den Teamsters vertreten wird. Für UPS ist es sehr schwierig, mit Amazon zu konkurrieren, wo es noch keine gewerkschaftliche Organisierung gibt. Auch aus politischen Gründen müssen Gewerkschaften ihre Basis vergrössern. Ohne starke Gewerkschaften ist es für rechte Ideen nämlich viel einfacher, sich durchzusetzen. Anstatt ihre Arbeitgeber für ihre materiellen Probleme verantwortlich zu machen, neigen unorganisierte Beschäftigte dazu, Einwanderer:innen oder anderen Sündenböcken die Schuld zu geben. Dazu kommt, dass auch die Gewerkschaften, die zu wachsen versuchen, an Grenzen stossen. Ihr Ansatz ist viel zu personalaufwendig und teuer. Laut Studien kostet es Gewerkschaften im Schnitt 3000 Dollar, eine:n Arbeiter:in anzuwerben.
WOZ: Wachstum allein macht eine Gewerkschaft aber auch noch nicht stark, oder?
Eric Blanc: Richtig. Wenn man zwar viele nominelle Mitglieder hat, die sich aber nicht wirklich engagieren, dann sind die Druckmittel gegenüber den Unternehmen begrenzt. Die Frage ist also, wie wir wirkliche Macht aufbauen können. Das geht nur, wenn Arbeiter:innen sehen, dass die Organisierung am Arbeitsplatz zu Ergebnissen führt.
WOZ: Das bringt uns zu dem Modell, das Sie in Ihrem Buch als «worker-to-worker unionism» beschreiben. Statt auf die Hilfe von Gewerkschaftsfunktionären zu warten, organisieren sich die Arbeiter:innen selbst untereinander.
Eric Blanc: Sie übernehmen dabei viele der Aufgaben, die normalerweise bei den Festangestellten der Gewerkschaften liegen. Sie betreiben das Organizing, entscheiden über Strategie, bilden andere Organizer:innen aus.
WOZ: Dieses Modell basiert darauf, dass die Beschäftigten neben ihren normalen Jobs auch noch die gewerkschaftliche Arbeit übernehmen, und das unbezahlt. Was ist mit Leuten, denen die Zeit fehlt oder die schlichtweg keine Lust haben?
Eric Blanc: Zeitmangel und Burn-out sind Probleme. Was ich bei meinen Untersuchungen und Interviews jedoch herausgefunden habe, ist, dass Arbeiter:innen viel eher Zeit investieren, wenn sie merken, dass sie selbst die Kontrolle haben, wenn sie das Gefühl haben, das ist ihre Sache. Eine Gewerkschaft aufzubauen, kostet eine Menge Kraft, das ist klar. Aber es ist auch eine erfüllende Betätigung. Man verbindet sich mit Menschen, baut eine Community auf. Genau das Gegenteil von einem Job, den man hasst und bei dem man nur Ansagen von der Chef:in bekommt.
WOZ: Sprechen wir über ein konkretes Beispiel: die Organisierung bei Burgerville, der ersten gewerkschaftlich organisierten Fast-Food-Kette in den USA. Wie ist das den Beschäftigten ohne Gewerkschaftspersonal gelungen?
Eric Blanc: Die Organisierung bei Burgerville begann 2016, als ein paar «salts», also junge, linksgerichtete Leute, in einer Filiale in Portland, Oregon, Stellen antraten mit dem Ziel, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Danach kamen viel harte Organizing-Arbeit, Gespräche mit Kolleg:innen, die Bildung von Ausschüssen und mehrere Streiks. Die Streiks waren nicht nur wichtig, um wirtschaftlichen Druck auf Burgerville auszuüben, sondern auch, um öffentliche Aufmerksamkeit auf die schlechten Arbeitsbedingungen zu lenken und so die Marke zu beschädigen. Durch jahrelanges Organizing und auch Unterstützung von aussen ist es gelungen, die Geschäftsführung von Burgerville an den Verhandlungstisch zu bringen. 2021 wurde Burgerville dann zur ersten Fast-Food-Kette der USA, die eine gewerkschaftliche Vertretung hat.
WOZ: Sie beschreiben, wie wichtig es für die Beschäftigten in diesem ganzen Prozess war, zusammen Spass zu haben. Grillabende, Partys, Bowling, all das gehörte dazu. Aus flüchtig bekannten Kolleg:innen wurde nach und nach eine Community.
Eric Blanc: Man nimmt so was überhaupt nur in Angriff, wenn man Teil einer Gruppe von Menschen ist, die sich füreinander verantwortlich fühlen und sich gegenseitig Mut machen. Deshalb ist es wichtig, nach der Organisierungsarbeit etwas trinken zu gehen, gemeinsam etwas zu unternehmen. Auch der Austausch in Whatsapp-Gruppen gehört dazu, um die Energie aufrechtzuerhalten.
WOZ: Sie schreiben auch über die Gewerkschaftsorganisierung bei Starbucks. Es gibt in den USA mittlerweile über 500 Filialen, die für gewerkschaftliche Vertretung gestimmt haben. Was halten Sie von der Kritik, dass es sich dabei doch nur um eine Kaffeekette handle, es also sowohl für die Wirtschaft als auch für die Gewerkschaftsbewegung nicht allzu wichtig sei?
Eric Blanc: Der Dienstleistungssektor ist das Herzstück unserer Wirtschaft. Drei Viertel des Bruttoinlandsprodukts kommen aus dem Dienstleistungssektor. Starbucks ist mit über 200 000 Beschäftigten der achtgrösste Arbeitgeber im privaten Sektor der USA. Insofern ist die gewerkschaftliche Organisierung dort unverzichtbar.
WOZ: Welche Rolle spielt digitale Kommunikation?
Eric Blanc: Soziale Bewegungen benutzen soziale Medien oft recht ineffektiv. Da geht es dann nur um die Mobilisierung für kurzlebige, einmalige Aktionen. Ich versuche, in meinem Buch zu zeigen, dass man digitale Werkzeuge wie Zoom, Whatsapp und Instagram auch für tiefgreifendes Organizing am Arbeitsplatz benutzen kann, dass es eine bestimmte Organisierung über räumliche Distanz überhaupt erst ermöglicht.
WOZ: Wie reagieren die Unternehmen auf die neuen Graswurzelgewerkschaften?
Eric Blanc: Sie drehen ziemlich durch. Eine zentrale Methode in der Bekämpfung von Gewerkschaften bestand immer darin, zu behaupten, dass diese externe Kräfte seien, die nur die Mitgliederbeiträge der Beschäftigten einkassierten. Das lässt sich deutlich schwerer behaupten, wenn die Gewerkschaftsorganisierung von den Beschäftigten selbst ausgeht.
WOZ: Viele etablierte Gewerkschaften konzentrieren sich auf die Organisierung von Widerstand bei bestimmten Unternehmen und Standorten, eins nach dem anderen. Sie hingegen betonen die Bedeutung des «seeding», also des Säens. Bitte erläutern Sie diese Strategie.
Eric Blanc: Es bedeutet, die Saat für neue gewerkschaftliche Bestrebungen zu streuen, ohne im Voraus festzulegen, bei welchem spezifischen Betrieb etwas herauskommen muss. Beim Seeding geht es darum, den Beschäftigten Instrumente an die Hand zu geben, damit sie sich selbst organisieren können. Aber ich sehe das nicht im Widerspruch oder gar getrennt vom Ansatz des «targeting», des Zielens. Die United Auto Workers zum Beispiel haben im Herbst 2023 erst einen gezielten Streik gegen die drei grossen Autobauer durchgeführt und anschliessend die gesamte Autoindustrie im Süden der USA in Angriff genommen.
WOZ: Um Werkzeuge der Selbstorganisierung geht es auch beim Emergency Workplace Organizing Committee (EWOC), einer Organisation, die Sie 2020 mit ins Leben gerufen haben.
Eric Blanc: Vor der Gründung von EWOC war es für Beschäftigte, die sich an ihrem Arbeitsplatz organisieren wollten, sehr schwierig zu wissen, an wen sie sich wenden sollten. Deswegen haben wir EWOC gegründet. Wir haben ein sehr grosses Netzwerk von freiwilligen Organizer:innen. Wer unser Formular online ausfüllt, wird innerhalb von 72 Stunden angerufen. Wir helfen dann Schritt für Schritt beim Aufbau einer Gewerkschaft. EWOC ist immer noch relativ klein, aber wir haben bereits Zigtausende Beschäftigte zu Organizer:innen ausgebildet. Würde die Gewerkschaftsbewegung einige dieser Praktiken übernehmen, könnte sie viel grösser werden.
WOZ: Die im vergangenen Jahr verstorbene Jane McAlevey, eine Legende der Gewerkschaftswelt, hatte das Mantra, dass es «keine Abkürzungen» gebe. Sie hingegen fordern, dass die Gewerkschaftsbewegung mehr riskieren soll. Aber braucht es nicht Zeit, um Vertrauen und Macht aufzubauen?
Eric Blanc: Progressive Bewegungen begnügen sich zu oft damit, ihre moralische Haltung kundzutun, ohne einen wirklichen Plan für den Sieg zu haben. Insofern hatte Jane auf jeden Fall recht damit, auf rigoroser Organisierung und Machtanalyse zu beharren. Das grössere Problem liegt aber darin, dass Gewerkschaften zu viel Angst vorm Verlieren haben. Vor einem Jahrhundert, als die gewerkschaftliche Bewegung exponentiell an Stärke gewann, wurden auch Streiks häufiger verloren als gewonnen. Jeder Gewerkschaftskampf ist ein Gewinn, weil neue Bande zwischen Arbeiter:innen entstehen. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der oder die es bereut hat, sich zu organisieren. Nicht mal Leute, die ihren Job wegen Organizing verloren haben.
WOZ: Welche Strategien wünschen Sie sich für die nächsten Monate?
Eric Blanc: Es braucht massenhaften zivilen Ungehorsam. Tausende von Arbeiter:innen und Leute aus den Communitys könnten etwa die Räume des Kongresses besetzen, bis die Polizei gezwungen ist, sie da rauszutragen. Das andere sind Streiks. Wenn Fluglotsen einen eintägigen Streik durchführen würden, würde das eine Menge Druck ausüben. Und sollte Trump immer autoritärer werden, etwa das Kriegsrecht ausrufen, stellt sich sehr bald auch die Frage nach einem Generalstreik.
Eric Blanc (40) lehrt und forscht an der Rutgers University in New Jersey zu Gewerkschaften. Er ist Mitgründer des Emergency Workplace Organizing Committee, eines Netzwerks, das Beschäftigte beim Aufbau betrieblicher Organisierung unterstützt. In seinem kürzlich erschienenen Buch «We Are the Union» geht es um die Methoden und Erfolge der neuen Graswurzelgewerkschaften bei Unternehmen wie Starbucks und Amazon.