Streik in der US-Autoindustrie: Erste bedeutende Siege
Wie lassen sich Klimaschutz und Arbeiter:innenrechte zusammenführen? Die US-Gewerkschaft United Auto Workers ist gerade dabei, Antworten darauf zu finden.
Die Forderung nach einer «just transition» ist nicht neu. Seit mehreren Jahrzehnten betonen Kräfte aus der Gewerkschafts- und Umweltbewegung, dass der für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen notwendige Wandel (transition) gerecht (just) gestaltet werden muss. Doch was heisst das konkret? Und vor allem: Wer ist in der Lage, diese Transformation anzuschieben?
Ein weitreichender Präzedenzfall
Die US-Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) ist derzeit dabei, Antworten auf diese Fragen zu finden. Seit Mitte September läuft ihr Streik gegen die Konzerne General Motors, Ford und Stellantis. Dieser gilt als historisch, weil die drei grössten Autohersteller der USA noch nie gleichzeitig von einer Arbeitsniederlegung betroffen waren (siehe WOZ Nr. 38/23). Die neue, linke Führung der UAW verlangt nicht nur eine drastische Gehaltserhöhung für ihre Mitglieder, eine 32-Stunden-Woche, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Renten, sondern auch ein Produktionsmodell, das von fossilen Energien wegführt und gleichzeitig die Belegschaft schützt. Der genaue Ausgang dieses Streiks ist noch ungewiss – dass er wirkt, steht aber schon fest. Die Gewerkschaft konnte bereits erste bedeutende Siege erringen.
Den bislang bemerkenswertesten Erfolg erzielten die UAW in Verhandlungen mit General Motors (GM). Durchgesetzt wurde, dass der neue landesweite Vertrag auch für all jene GM-Werke gelten wird, in denen Batterien für Elektroautos hergestellt werden. Diese Einigung ist aus zwei Gründen wegweisend: erstens, weil GM die Batterien bislang von Nichtgewerkschaftsmitgliedern unter deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen anfertigen lässt. Dieses Zweiklassensystem unter den Beschäftigten wird also abgeschafft. Und zweitens, weil der Konzern seine Produktion bis 2035 komplett auf E-Autos umstellen will. Der grösste Autobauer des Landes bewegt sich Richtung verbrennerfreie Zukunft – und kann sich dabei nicht mehr der mächtigen Gewerkschaft entziehen. Das ist ein Präzedenzfall in der US-Industrie, den die anderen Konzerne nicht ignorieren können. Der Gewerkschaftsforscher Eric Blanc nannte die Übereinkunft deshalb den «wohl grössten Gewinn aller Zeiten für eine ‹just transition›».
So sieht es auch Martha Grevatt, die sich bei den United Auto Workers in Sachen Umstellung auf das Elektroauto engagiert. «Bislang haben die Konzerne Umwelt und Arbeitsplätze gegeneinander ausgespielt», sagt Grevatt. Es habe die Drohung im Raum gestanden, dass die Umstellung auf E-Autos mit einem erheblichen Personalabbau verbunden sei. Die nun getroffene Einigung zwischen UAW und General Motors führe dazu, dass die Gewerkschaft dagegenhalten könne. Wichtig sei die gewerkschaftliche Vertretung auch deshalb, weil die Herstellung der Batterien aufgrund der verwendeten Chemikalien gesundheitliche Risiken mit sich bringe. Eine US-Bundesbehörde ermittelt bereits gegen das von GM gegründete Unternehmen Ultium Cells wegen zahlreicher Verstösse gegen den Arbeitsschutz.
Die 66-jährige Grevatt war 31 Jahre für das Unternehmen Chrysler, das mittlerweile Stellantis heisst, im Einsatz; sie war für die Herstellung und Reparatur von Werkzeug zuständig. Seit 2019 ist sie in Rente, aber weiterhin für die Gewerkschaft aktiv. In den vergangenen Wochen ist sie immer wieder von ihrem Zuhause im Nordosten des Bundesstaats Ohio zum nächstgelegenen Streikposten in der Stadt Streetsboro gefahren, um die Beschäftigten zu unterstützen. Das dortige Werk ist einer von 44 Standorten, die momentan am Streik beteiligt sind. Rund 34 000 Beschäftigte sind insgesamt involviert. Die Gewerkschaft erhöht die Zahl regelmässig, um den Druck auf die Konzerne zu steigern. Seit vergangener Woche haben auch die 8700 Beschäftigten eines Ford-Werks in Kentucky – des rentabelsten aller Ford-Standorte in den USA – die Arbeit niedergelegt.
Nächstes Ziel ist Tesla
«Wir sind in einer sehr, sehr starken Position», sagte UAW-Präsident Shawn Fain vor wenigen Tagen. Laut Umfragen steht der absolute Grossteil der US-Bevölkerung hinter den Streikenden. In Bezug auf das E-Auto-Geschäft hatte Fain in einer früheren Ansprache betont, dass der Gegner der Gewerkschaft nicht China sei – wie rechte Politiker:innen immer wieder behaupten – , sondern die «Gier der Konzernleitungen». Sobald der derzeitige Streik beendet sei, wolle man sich auf die Organisierung von Tesla-Beschäftigten konzentrieren, so Fain. Das von Elon Musk geführte Unternehmen hat jegliche Gewerkschaftsarbeit bislang im Keim erstickt.
Wird also bald alles gut in der US-Autoindustrie? Die Gewerkschafterin Grevatt weiss, dass eine vollständige Umstellung auf E-Autos allein nicht reichen wird, um zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft zu kommen. Ein schon jetzt absehbares Problem ist, dass für die Batterien gigantische Mengen von Lithium abgebaut werden müssen – ein endlicher Rohstoff. «Wir müssen dazu kommen, weniger Privatfahrzeuge zu nutzen und viel mehr öffentlichen Verkehr», folgert Grevatt. Entscheidend sei, «dass die Arbeiter:innenklasse unter diesen Umstellungen nicht leidet». Die Gewerkschaft fordert deshalb schon jetzt eine 32-Stunden-Woche. Und: «Ich denke, auf lange Sicht brauchen wir eine Jobgarantie», so Grevatt.