«Barbenheimer»: Der Physiker und die Partybombe

Nr. 31 –

Todestrieb mit Abwehrzauber: Warum man die beiden grossen Erfolgsfilme dieses Sommers tatsächlich als unheimliches Doppel denken sollte.

Schön verstrahlte Kreuzung: «Barbie» und «Oppenheimer
Schön verstrahlte Kreuzung: «Barbie» und «Oppenheimer» werden eins.
 
Plakat: Sean Longmore, Layered Butter

Was für ein schönes Zusammentreffen: Da ist einmal die ganze US-Filmindustrie praktisch lahmgelegt, weil erstmals seit über sechzig Jahren zwei grosse Berufsverbände gleichzeitig streiken – und ausgerechnet jetzt holen zwei grosse Sommerfilme das Publikum überall in einem Ausmass zurück in die Kinos, wie man das schon vor Corona kaum mehr für möglich gehalten hätte. Mehr noch: Über die beiden Filme, die scheinbar unterschiedlicher nicht sein könnten, entwickelt Hollywood auch nochmals eine geballte Diskurswirkung, die das Kino eigentlich schon lange eingebüsst hat. Kann ein durch und durch kapitalistischer Spielfilm über eine Plastikpuppe, produziert von der Herstellerfirma, auch subversiv sein? Wie schreibt sich ein historischer Thriller über die Entwicklung der Atombombe in die Paranoia unserer Zeit ein? Es gab und gibt kein Entrinnen vor Fragen wie diesen, kein Entrinnen vor «Barbie» und «Oppenheimer».

Hypothek wird zum Happening

Klar ist das alles auch ein Triumph von flächendeckendem Marketing. Galt es im Vorfeld zunächst noch als ausgemacht, dass sich die beiden Filme bei zeitgleichem Kinostart gegenseitig das Publikum streitig machen würden, so kam es bald zu einer magischen Verwandlung: Was als Hypothek galt, wurde zum Happening. Der Zusammenzug der beiden Titel zu «Barbenheimer» zeitigte eigene Poster im Netz, auf denen schön verstrahlt die Sujets beider Filme gekreuzt wurden (Barbie mit Atompilz, Oppenheimer in Barbiefarben). «Barbenheimer» war nun kein Kalauer mehr, sondern Chiffre für eine kommerziell verheissungsvolle Wechselwirkung: Der eine Film war ohne den anderen gar nicht mehr denkbar.

Wobei die Rollenverteilung zwischen den beiden Teilen von «Barbenheimer» so eklatant ist, dass einem das auch zu denken geben muss. Den einen Film hat ein Mann, Christopher Nolan, geschrieben und realisiert (produziert hat er wie immer zusammen mit seiner Frau Emma Thomas). Den anderen Film hat eine Frau realisiert, Greta Gerwig (das Drehbuch hat sie zusammen mit ihrem Mann Noah Baumbach geschrieben). Es klingt wie ein schlechter Witz: Der Film des Mannes beruht auf einem Sachbuch über einen Mann von weltgeschichtlicher Bedeutung, der Film der Frau auf einer Spielzeugpuppe.

Der Film des Mannes ist denn auch ungeheuer ernst und bedeutungsschwer, schliesslich geht es um Quantenphysik und die Atombombe, also um die Möglichkeit der Vernichtung der Menschheit; der Film der Frau ist quietschfidel und leicht wie Plastik. Der Film des Mannes fächert auf mehreren parallel montierten Zeitebenen jeweils ein akkurates historisches Setting auf, der Film der Frau spielt grösstenteils in der ewigen Gegenwart einer plastifizierten Fantasiewelt namens Barbieland. Der Film des Mannes zeigt Männer bei intellektueller Arbeit, der Film der Frau ist die reinste Partybombe. Mann für die hohe Kunst zuständig, Frau für den Spass?

Barbie mit Todesangst

Um jedes Missverständnis auszuräumen: In beiden Filmen, in «Oppenheimer» wie auch in «Barbie», sieht man grossen künstlerischen Ehrgeiz am Werk. Und beide gehen, ästhetisch gesehen, auf je eigene Weise aufs Ganze. Aber der Film des Mannes trägt seine Ambitionen von Anfang an vor sich her, massiert sie uns gerade auch mit seinem penetrant dräuenden Soundtrack regelrecht ein und inszeniert jeden Kalenderspruch als gewichtige Sentenz («Wie kann ein Mann, der so viel sieht, so blind sein?»). Der Film der Frau spielt seine Ansprüche lieber herunter: alles Pop und Pink und Plastik hier, also reine Oberfläche.

So ist «Barbenheimer», als gemischtes Doppel gedacht, tatsächlich mehr als eine frivole, kommerziell enorm einträgliche Koinzidenz. Und so verschieden die zwei Filme vordergründig sein mögen, thematisch sind sie enger verflochten, als man meint. Beide Filme rekurrieren auf griechische Mythologie (Prometheus, Pygmalion). Vor allem aber greifen beide auf Gründungsmythen dessen zurück, wofür der US-Verleger Henry Luce einst den Begriff vom «Amerikanischen Jahrhundert» prägte. Es sind Filme über zwei ikonische Ausprägungen von US-Hegemonie im 20. Jahrhundert, und insofern sind Barbie und die Atombombe zwei Seiten derselben Medaille: Massenkultur und militärisch-industrieller Komplex, kultureller und weltpolitischer Imperialismus.

Noch ein erstaunlicher Spiegeleffekt: Beide Filme kreisen explizit um das Ende, um Tod und Sterblichkeit. Im Fall von «Oppenheimer» liegt dieser Todestrieb auf der Hand, und in den eindringlichsten Szenen gelingt es Christopher Nolan, das, was ihn an J. Robert Oppenheimer am meisten interessiert, nämlich das Dilemma des Forschers zwischen Ruhm und schlechtem Gewissen, in gespenstische Kippbilder zu übersetzen. Da steht Oppenheimer (Cillian Murphy) vor einem Publikum, das ihm hysterisch zujubelt und dazu patriotische Fähnchen schwenkt, aber die Leute bleiben stumm, ihre Gesichter fratzenhaft, und plötzlich sieht ihr Jubel aus wie Panik, ihre Haut grausig zerfetzt. Eine Heimsuchung: Der Forscher wird von Visionen dessen geplagt, was er entfesselt hat.

Wenn das begeisterte Getrappel der Füsse auf der Tribüne dann auch noch wie ein marschierendes Heer klingt, kippt der Film wieder ins Plakative. Den ominösen Satz aus dem Hinduismus, den Oppenheimer bekanntermassen auf sich selbst bezieht, bringt Nolan auch gleich zweimal unter, zuerst beim Sex, später erst in Bezug zur Bombe: «Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.» Folgerichtig steht ganz am Ende nicht die obszöne Schönheit eines Atompilzes, das wäre banal. Nolans Film endet mit dem apokalyptischen Bild vom Weltenbrand im nuklearen Zeitalter – aber auch dieses Bild ist ungeheuer schön anzusehen, weil Nolan das nach rund drei Stunden Kammerspiel dann doch aus sicherer Distanz aus dem All zeigt, als erhabenes Schauspiel eines Lauffeuers, das den Globus erfasst.

In «Barbie» brennt gar nichts, sogar die Lagerfeuer sind aus Plastik. Aber auch hier ist es der Tod, der alles in Bewegung bringt beziehungsweise die ewige Party in Barbieland abrupt ausbremst: «Denkt ihr auch manchmal ans Sterben?» So fragt Barbie (Margot Robbie) einmal alle anderen Barbies in der Runde. Kurzes, betretenes Schweigen, dann wird frenetisch weitergetanzt – aber von da an ist die geordnete kleine Welt dieser Barbie aus dem Lot.

Feiern wie gehabt

Wie sie dann zusammen mit Ken (Ryan Gosling) in der realen Welt das Patriarchat entdeckt und wie Ken mit seinesgleichen später das Patriarchat in Barbieland einführt und letztlich doch über sich selbst stolpert: Das ist lustig, clever und immer sehr selbstironisch – und dadurch natürlich nur umso besseres Marketing für den Spielzeugkonzern. Wenn Barbiepuppen im Film auch mal explizit als Inbegriff des sexualisierten Kapitalismus verurteilt werden, ist das ja nur Öl in der Maschine.

Von ihrer Erfinderin lernt Barbie schliesslich, welchen Preis sie zahlen muss, wenn sie ein richtiger Mensch werden möchte. Sie bekommt ein unausweichliches Ende, das heisst, sie wird vom unsterblichen Markenartikel zum sterblichen Mängelwesen. Gerwig unterfüttert dieses alte Motiv von der Menschwerdung einer Puppe mit dem gängigen Kitsch aus dem Ratgeberbaukasten: Seht, wir Menschen sind nicht perfekt, aber das ist es doch gerade, was uns menschlich macht. Das ist gar nicht so weit weg von Nolans «Oppenheimer»: Seht, der Mann meinte es nur gut in seinem Forschungsdrang und ist dann doch erschrocken über das, was er ins Werk gesetzt hat.

Womöglich sind diese beiden Filme gerade im Doppel so erfolgreich, weil sie erst zusammen die routinemässige Verleugnung unserer Zeit auf den Punkt bringen, gemäss der Formel des französischen Psychoanalytikers Octave Mannoni: «Ich weiss sehr wohl, und trotzdem …»

«Oppenheimer» erinnert uns daran, was wir genau wissen: dass der Mensch auf der Schwelle seiner kollektiven Vernichtung steht, seit er die Möglichkeit eines nuklearen Holocaust geschaffen hat. Und «Barbie» führt uns vor Augen, was die Leute trotz dieses Wissens halt doch lieber tun: Party wie gehabt, Politik höchstens als hedonistisches Spiel.

«Barbenheimer». Regie: Greta Gerwig und Christopher Nolan. USA 2023. Jetzt im Kino.

Wie verleugnen Sie den Tod? www.woz.ch/debatte