Essay: Wer darf sich abkühlen?
Heute gibts in den USA private Pools für Reiche und unattraktive Wasserbecken für alle anderen. Dabei wurden in den Städten einst riesige öffentliche Schwimmbäder gebaut.
Wenn es Sommer wird in Kalifornien, ziehe ich mit meiner Tochter ins Schwimmbad. Und vermisse – selbst unter der kalifornischen Sonne – die Schwimmbäder in Deutschland oder der Schweiz. Während ich in den winzigen, schlecht instand gehaltenen Becken herumplansche, spüre ich auch die Sehnsucht nach einer amerikanischen Vergangenheit, die ich selber nie erlebt habe, die es aber noch gibt – als Ruinen unter Parkplätzen, Tennisplätzen, Highways.
Wer sich mit der Geschichte der amerikanischen Schwimmbäder auseinandersetzt, wird mit Superlativen konfrontiert, egal um welche Stadt es sich handelt. Der Fairground Pool in St. Louis etwa bot mit einer Länge von 135 Metern Platz für bis zu 12 000 Schwimmer:innen. Als er im Jahr 1919 erbaut wurde, war er das grösste öffentliche Schwimmbad in den USA. In San Francisco zog sich eine ganze Kette von Schwimmbädern die westliche Flanke der Stadt entlang: von den Sutro Baths, deren Ruinen man heute noch besuchen kann, bis hinunter zum Fleishhacker Pool im Südwesten der Stadt – ein 300 mal 50 Meter grosses Schwimmbecken, 25 Millionen Liter Wasser. Über den Umkleidekabinen thronte ein Restaurant mit Blick auf den Pool auf der einen Seite, mit Aussicht auf den Pazifik auf der anderen.
Der Fleishhacker Pool gehörte der Stadt San Francisco, war aber einst von Herbert Fleishhacker (1872–1957) gestiftet worden, Sohn einer prominenten, aus Bayern stammenden jüdischen Familie, der mit Holz, Papier, Wasser und Banken enorm reich geworden war. Bäder wie der Fleishhacker Pool, ursprünglich als öffentliche Hygienemassnahmen gedacht, waren vor allem ein riesiger Integrationsmechanismus. Hier konnten sich Neuzugewanderte «amerikanisieren», hier konnten die Geschlechter einigermassen ungezwungen miteinander umgehen.
Niedergang der grossen Pools
Wenn Historiker:innen diese vergangene Welt beschreiben, klingt das oft utopisch. Doch selbst wenn wir diesen Utopien nicht hundertprozentig Glauben schenken: Das Schwimmbad war lange ein Sinnbild für den amerikanischen Multikulturalismus, wie Jeff Wiltse in seinem Buch «Contested Waters» erklärt. Es kam mit der massenhaften Zuwanderung ins Land und richtete sich lange vor allem an die Zuwander:innen. Womöglich entzündete sich am Schwimmbad auch der Ekel vor den «huddled masses», den zusammengepferchten Massen, die der Gedichtvers auf dem Sockel der Freiheitsstatue ins Land lockte. Das Schwimmbad war aber immer auch ein Hinweis darauf, was Individuen, insbesondere reiche Individuen, der Gemeinschaft schuldeten; vor allem der Gemeinschaft, die anders aussah, sprach und feierte als sie.
Zerstört wurde diese zumindest in der Rückschau paradiesisch anmutende Welt vom uramerikanischen Sündenfall – dem Rassismus. Denn die Schwimmbäder des «Goldenen Zeitalters» standen grösstenteils nur Weissen offen. Und sie begannen in jenem Moment zu verschwinden, als Bürgerrechtler:innen versuchten, die Schwimmbäder selbst – aber eben auch die Städte, die sie sich leisteten – zu integrieren, sie der ganzen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Der Niedergang der grossen Pools ging mit einer Privatisierung einher, einem Rückzug aus einer multikulturellen Öffentlichkeit in eine monokulturelle Blase der Privilegierten. Denn selbstverständlich sind amerikanische Schwimmbäder nicht komplett in die Hintergärten verschwunden. Gemeinschaftliche Schwimmbäder gibt es weiterhin, nur öffentlich sind sie nicht. Familien gingen – gesetzt, sie hatten das richtige Einkommen und die richtige Hautfarbe – auch in den 1970er und 1980er Jahren noch ins Schwimmbad. Aber eben im Country Club – oder in der Gated Community.
Das geflutete Tal
Die ersten öffentlichen Schwimmbäder der USA entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Prüderie jener Jahre hatte dem öffentlichen Baden in Seen, Buchten und Flüssen nahe den rasant wachsenden Metropolen – etwa im Charles River in Boston, im East River in New York oder im Lake Michigan in Milwaukee – den Kampf erklärt. Denn hier marodierten vor allem die Kinder der neuen Einwander:innen: meist nackt, in grossen Banden und ziemlich anarchisch. Gleichzeitig hatte man Angst, dass in den neuen Slums Cholera und Sittenlosigkeit um sich greifen könnten. Das «Philadelphia Evening Bulletin» empfahl öffentliche Schwimmbäder 1883 als «grossartiges Moralisierungs- und Desinfektionsmittel». Die Schwimmbäder waren «Biopolitik»: Sie begegneten Ängsten über die gesundheitlichen und moralischen Entgleisungen der Unterschicht.
Die Hochzeit des Schwimmbadbaus kam etwas später, aber mit genau diesem reformatorischen Ziel: in der «Progressive Era», von etwa 1890 bis 1920. Damals, im «Goldenen Zeitalter» der Schwimmbäder, wurden in beinahe allen grossen US-Städten überdimensionierte öffentliche Pools gebaut, eine ganze Kultur entstand um sie herum. Die Schwimmbäder waren Teil imposanter öffentlicher Projekte: in New York etwa der Highway- und Brückenbauten des Robert Moses. San Francisco verwendete im bereits erwähnten Fleishhacker Pool Wasser aus einem äusserst kalifornischen Projekt: Die Stadt hatte nach dem Erdbeben 1906 das wunderschöne Tal Hetch Hetchy in der Sierra Nevada erworben und prompt geflutet. Das Wasser aus dem Stausee versorgt die Stadt bis heute. Und das Unternehmen, das im Namen der wohlhabenden Stadt den designierten Nationalpark verschandelt hatte, spendete – sozusagen als Krönung seiner Aktivitäten – der Stadt das Bad.
Segregation durch Privatisierung
Die Städte, dort angesiedelte Unternehmen und die wohlhabendsten unter ihren Bürger:innen gaben Unsummen aus, um riesige Pools mit Sandstrand und grossen Liegewiesen zu bauen, die allen zugänglich sein sollten. Allen, die weiss waren, hiess das in der Regel. Denn auch während dieser Blütezeit, in der sich die grossen Städte die Gesundheit ihrer Bewohner:innen etwas kosten liessen, zählten für die Erbauer der Riesenschwimmbecken nicht alle Einwohner:innen einer Stadt auch als Bürger:innen.
«Separate but equal» – getrennt, aber gleich – lautete die Formel, die in den USA im Prinzip seit dem Präzedenzfall Plessy v. Ferguson (1896) galt. Wie bei Schulen und Wohnraum war das aber auch bei Schwimmbädern Augenwischerei. Anfang der 1950er Jahre standen in Baltimore sechs Bäder für Weisse einem für Schwarze gegenüber, das auch noch ausserhalb lag und für die meisten Schwarzen Einwohner:innen kaum erreichbar war. Schwarze (und Weisse, die mit Schwarzen schwimmen gehen wollten) waren auf verschmutzte Flüsse und Seen angewiesen, an denen es keine Aufsicht gab. Wie Heather McGhee in ihrem Buch «The Sum of Us» schreibt, warf der Versuch, die Rassentrennung rückgängig zu machen, «in den kleineren Orten der USA, in denen es nur ein einziges öffentliches Schwimmbad gab, die Frage auf, was ‹öffentlich› eigentlich bedeutete». Denn Afroamerikaner:innen verlangten nun Zugang «zu öffentlichen Institutionen, die ihre Steuern mitfinanzierten».
Doch die wenigsten Pools überlebten ihre Integration. Weisse reagierten mit Gewalt, etwa als der Fairground Pool in St. Louis integriert werden sollte, dann mit Boykotten. Wenn die Schwarzen ins Bad kamen, blieben die Weissen weg. Nachdem die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) endlich Zugang zum Fairground Pool erstritten hatte, brachen die Besucher:innenzahlen massiv ein, von 300 000 im Jahr 1947 auf gerade mal 10 000 nur vier Jahre später. 1956 wurde das Schwimmbad geschlossen und durch einen winzigen Pool und ein paar Tennisplätze ersetzt.
Im Laufe der Stadtflucht und Suburbanisierung begann das langsame Austrocknen der öffentlichen Schwimmbäder – und der Aufstieg der privaten. Hatten 1950 erst ungefähr 2500 amerikanische Häuser ihren eigenen Pool, lag die Zahl 1999 bei vier Millionen. Und in den neu gegründeten Vorstädten, in denen – wie Richard Rothstein in seinem Buch «The Color of Law» nachzeichnet – eine härtere Rassentrennung herrschte, als es sie in den Innenstädten je gegeben hatte, beschloss man, gleich ganz auf öffentliche Schwimmbäder zu verzichten. Stattdessen legten Country Clubs ihre eigenen Pools an; oder eine Wohnanlage («Development») baute sich ein Schwimmbad, häufig vom Hauseigentümerverband unterhalten und selbstredend «nur für Anwohner:innen». Selbst in den Städten hat man die Segregation schlicht per Privatisierung weitergeführt: 1953 hob Washington D. C. die Rassentrennung in Schwimmbädern auf – und binnen eines Jahrzehnts wurden in der Stadt 125 neue private «Schwimmclubs» eröffnet.
«Pissoirs für Riesen»
In den 1960er Jahren erreichte die «white flight», der Auszug der weissen Stadtbewohner:innen, ihren Höhepunkt: US-Grossstädte verloren massiv an Bevölkerung, viele Arbeitgeber zogen gleich mit weg in die Vorstädte; Steuereinnahmen brachen ein. Die Innenstädte waren immer weniger weiss, immer ärmer, kämpften viel stärker mit Arbeitslosigkeit. Chicago hatte in der ersten Jahrhunderthälfte zehn grosse öffentliche Schwimmbäder gebaut, insbesondere in den Quartieren der Einwander:innen. Nur: Der Black Belt, eine Kette von Vierteln an der South Side, in der Mitte des 20. Jahrhunderts drei Viertel der afroamerikanischen Bevölkerung der Stadt lebten, bekam mysteriöserweise kein einziges Bad.
Wer schon einmal einen Sommer in Chicago verbracht hat, weiss, wie gefährlich es sein kann, dort während der häufigen Hitzewellen ohne Abkühlung auskommen zu müssen. Die Abhilfe, zu der die Einwohner:innen des Black Belt Zuflucht nahmen, kennt man auch in Europa von Fotos und Filmen: Sie öffneten kurzerhand die Hydranten der Feuerwehr. Das war illegal – und wurde nur in afroamerikanischen Quartieren je belangt. Im Juli 1966, bei 35 Grad im Schatten, geriet eine Gruppe Schwarzer Jugendlicher mit Polizisten aneinander, die die jungen Menschen wegen illegaler Öffnung eines Hydranten festnehmen wollten. Die Unruhen, die dieser Zwischenfall auslöste, dauerten drei Tage.
Nach diesen und ähnlichen Ausschreitungen wurden in den USA wieder jede Menge öffentliche Pools gebaut – um die buchstäblich erhitzten Gemüter abzukühlen. Nur sieht man den Bauten diesen Zweck auch an, Schwimmbäder im europäischen Sinn sind sie jedenfalls nicht. Mit einer Fläche von zwölf mal sechs Metern und bloss einem Meter Tiefe waren sie sogar kleiner dimensioniert als die meisten privaten Pools, die zeitgleich in den Hintergärten der Vorstädte entstanden. Mit Maschendrahtzaun umgeben, ohne Umkleidekabinen oder Liegewiesen, waren sie ausserhalb der ärgsten Sommerhitze kaum zu gebrauchen und zum Schwimmen sowieso nicht geeignet: Sobald es heiss wurde, standen die Kinder des Quartiers in ihnen herum. «Pissoirs für Riesen» nannte man sie in New York. Diese Minipools wurden zu eingezäunten und trostlosen Ikonen der Ära der Deindustrialisierung und Desinvestition. In keinem Panorama der entvölkerten und ruinierten Städte des Rust Belt darf das verlassene Schwimmbad fehlen, als Inbegriff einer grossen Vergangenheit und einer angeblich über ihre eigenen Verhältnisse lebenden Stadt. Wie Jeff Wiltse schreibt, «sahen viele Amerikaner:innen das öffentliche Schwimmbad nicht länger als Gegenmittel gegen den Verfall der Städte an, sondern als ihr Emblem».
Eine klare Schikane
Waren die Swimming Pools einst ein Symbol dafür gewesen, was das Land gerade auch seinen ärmeren Bürger:innen schuldete, wurden sie nun zum Mahnmal für das Gegenteil: für das Recht, Menschen in einer immer weniger lebenswerten Umgebung im Stich zu lassen. Im Jahr 1962 unterhielt die Stadt Jackson, Mississippi, fünf öffentliche Parks sowie Schwimmbäder und Golfplätze, die alle nach Hautfarbe getrennt waren. Von den fünf Schwimmbädern waren vier für Weisse und eines für Schwarze, obwohl von den insgesamt 144 000 Einwohner:innen der Stadt 36 Prozent Schwarz waren. Nach mehreren gerichtlichen Niederlagen öffnete die Stadt ihre öffentlichen Parks, Golfplätze und den Zoo für alle Einwohner:innen Jacksons. Aber der Stadtrat entschied sich dagegen, auch die öffentlichen Schwimmbäder ohne Rücksicht auf Hautfarbe zu betreiben. Stattdessen verpachtete man ein Schwimmbad an die christliche Jugendorganisation YMCA, die weiterhin nur Weissen den Zutritt erlaubte, und schloss die vier verbleibenden.
Bürgerrechtsorganisationen klagten gegen diese Massnahme – schliesslich handelte es sich um eine eindeutige Schikane. McGhee nennt dies «drained-pool politics», also wörtlich eine Politik der trockengelegten Schwimmbäder: Anstatt öffentliche Güter teilen zu müssen, wurden diese lieber kaputtgemacht. Diese Klage (Palmer v. Thompson) brauchte allerdings Jahre, um den Supreme Court zu erreichen, und als dieser 1971 im Fall schliesslich urteilte, hatte der politische Wind gedreht. Der Oberste Gerichtshof, der zu Beginn der 1950er Jahre angetreten war, die Segregation aufzuheben, war unterdessen weitaus konservativer geworden. Im Fall Palmer versus Thompson beschloss er schliesslich, dass öffentliche Desinvestition keine Diskriminierung sei – und billigte damit letztlich Diskriminierung per Desinvestition. Das Urteil bestimmt das Erscheinungsbild der USA bis heute.
Ab den späten 1970er Jahren schwappte ein Tsunami der Desinvestition über die USA. Und obgleich man sich dabei nie ganz offen an Hautfarbe oder Herkunft orientierte, waren diese nie weit weg, wenn entschieden werden musste, welche Gelder wo gekürzt wurden. Die Städte, denen die Steuereinnahmen wegbrachen? Wurden gerade damals immer stärker von Minderheiten bewohnt; heute sind fast 80 Prozent der Einwohner:innen von Jackson, Mississippi, Afroamerikaner:innen. Die Vorstädte, von denen die Opfer von Rassismus und Segregation zuerst de jure und später de facto ausgeschlossen waren? Blieben grossmehrheitlich weiss. Öffentliches Geld floss vor allem in Autobahnen, Sportstadien, Einkaufszentren – Infrastruktur, die primär für Menschen aus den Suburbs gedacht war, die mal eben schnell in die Stadt kommen wollten, um Spass zu haben oder zu arbeiten. Infrastruktur, die für die Stadtbewohner:innen selbst da war, wurde dagegen weggespart.
Jetzt rächten sich die Ambitionen der Progressive Era, aber auch die unterschwellige Furcht vor der neuen Massengesellschaft vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Dem Fleishhacker Pool in San Francisco wurden zum Beispiel seine enormen Dimensionen zum Verhängnis. Da seine Nutzung stetig nachliess, war das Becken für 10 000 Schwimmer:innen irgendwann nicht mehr zu rechtfertigen. Das Geld wurde ohnehin woanders gebraucht, da auch in San Francisco die meisten wohlhabenden Bürger:innen in Richtung Suburbs abgewandert waren. Den Schlussstrich zog der Pazifische Ozean, indem er die Abflussrohre des Schwimmbads überflutete. 1971 schloss der Fleishhacker Pool und lag, wie so viele seiner Geschwister, lange eingezäunt im Dornröschenschlaf. Im Jahr 2000 wurde er abgerissen und durch einen Parkplatz für den Zoo von San Francisco ersetzt, unter dem bis heute einige Betonelemente des alten Bads schlummern. Der nächste Eigentümer wird der Ozean sein, der mit jedem Jahr bedrohlicher an der Westflanke der Stadt nagt.
Wer gehört zur Öffentlichkeit?
Es ist beinahe unmöglich, während dieses Rekordhitzesommers 2023 über Abkühlung nachzudenken, ohne in den Konflikten um diese Schwimmbäder Vorboten für die Verteilungskämpfe zu sehen, die uns noch drohen werden. Denn hinter der Entscheidung darüber, wer ein Recht auf Kühlung, Schatten, Wasser hat, steht immer mehr eine Überlebensfrage. Kalifornien kämpft schon jetzt immer wieder mit Wasserrationierungen, während in den Suburbs weiterhin die Swimming Pools in der Sonne glitzern. Im Central Valley sterben die Arbeiter:innen bei der Ernte bei 40 Grad Hitze, während Küstennähe noch etwas Abkühlung verschafft. Auch diese Sortierung hat in den USA mit Rassismus – und Klasse – zu tun und mit der Frage, die die Schwarzen Bürger:innen in Jackson schon in den 1960er Jahren gestellt haben: Wer gehört eigentlich zur Öffentlichkeit, und was schulden wir ihr?
Die grossen Hitzewellen in Texas und anderswo haben im Sommer 2023 schon mehr als ein Dutzend Menschenleben gefordert. Die Klimaerhitzung wird all das noch schlimmer machen. Und die Schwimmbäder, wo es sie überhaupt noch gibt und wo die Gemeinschaft sich noch bemüssigt fühlt, sie zu finanzieren und offen zu halten, richten unsere Aufmerksamkeit auf eine ganz alte und zugleich äusserst moderne Frage: Inwiefern ist die Gesellschaft, die der Neoliberalismus den Amerikaner:innen hinterliess, überhaupt noch bereit, das Leiden, das die Klimakatastrophe mit sich bringen wird, kollektiv zu mildern? Wer heute in der prallen Sonne arbeiten muss, wer ein Recht auf eine Hitzepause hat, wer sich eine Klimaanlage leisten kann und, ja, auch wer die Möglichkeit hat, in ein kühles Nass zu springen: All das wird immer öfter über Leben und Tod entscheiden. Die öffentlichen Schwimmbäder der Progressive Era waren ein Stück Kachel und Beton gewordene Biopolitik. Ihr Fehlen ist das Gegenteil: Nekropolitik, ein achselzuckendes Leben mit dem Hitzetod des anderen.
Adrian Daub, geboren 1980 in Köln, lehrt als Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University in Kalifornien. Auf Deutsch ist zuletzt sein Buch «Cancel Culture Transfer. Wie eine moralische Panik die Welt erfasst» (Suhrkamp 2022) erschienen.