Der Putschgürtel im Sahel: Die Macht der Militärs
Es ist ein altes und ein neues Phänomen zugleich: Seit den sechziger Jahren gab es in der Sahelzone eine grosse Anzahl Putschversuche. Ein Überblick über die neusten Entwicklungen.
In der Sahelzone zementieren Militärjuntas ihre Macht. In den vergangenen Jahren ist in der Region durch eine Serie von Coups der weltweit längste zusammenhängende Landstrich unter Militärherrschaft entstanden: Er reicht über 3500 Kilometer, vom Atlantik im Westen bis ans Rote Meer im Osten. Und es sieht derzeit nicht danach aus, als würden die Herrscher in Uniform die Kontrolle bald wieder in zivile Hände legen.
In Mali versprach Assimi Goïta nach seinem Putsch Anfang 2020 eine Rückkehr zur Demokratie binnen zweier Jahre. Mittlerweile spricht er von Wahlen im Jahr 2027. Er will selbst antreten und ist dabei, seine potenziellen Gegner:innen schon vor dem fernen Urnengang zum Verstummen zu bringen. Vorübergehend verbat er allen politischen Organisationen im Land die Arbeit; Journalist:innen klagen über immer engere Grenzen der Meinungsfreiheit.
Noch schwieriger ist die Lage für Gegner:innen der Militärherrschaft in Burkina Faso geworden. Dort putschten die Militärs 2022. Juntaführer Ibrahim Traoré lässt seit seiner Machtübernahme Kritiker zwangsrekrutieren und an die Front im Kampf gegen islamistische Terroristen schicken. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Traoré immer wieder Oppositionelle verschwinden lasse. Wahlen haben gemäss Traoré «keine Priorität»; Sicherheit sei wichtiger, liess der Oberst verlauten. Ein potenzieller Wahltermin: 2029. Auch Traoré bereitet sich darauf vor, selbst anzutreten.
Länder in der Sahelzone
Die Junta im Niger baut ihre Macht ähnlich ambitioniert aus. Ein Jahr nach dem Coup im Juli 2023 halten die Soldaten den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum noch immer wie eine Geisel fest. Putschführer Abdourahamane Tchiani und sein Regime haben ihm die Immunität aberkannt, um ihn wegen Hochverrat vor Gericht stellen zu können. Mehrere Mitglieder der früheren Regierungspartei sitzen bereits im Gefängnis. Auch im Niger gibt es keine Aussicht auf baldige Wahlen. Seitens der Junta hiess es nach dem Coup, dass sie binnen dreier Jahre folgen würden, konkrete Pläne gibt es aber nicht.
Die Entwicklungen im Sahel sind ein neues und ein altes Phänomen zugleich. Mehr als 200 Mal versuchten militärische Akteure auf dem afrikanischen Kontinent seit den sechziger Jahren, Staatsoberhäupter und Regierungen zu stürzen, über 100 Mal hatten sie damit Erfolg. Nachdem sie ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, waren in manchen afrikanischen Ländern Staatsstreiche fast schon an der Tagesordnung.
Die Gründe sind vielschichtig. Die Institutionen vieler Staaten waren in den Jahren nach der Kolonialzeit überaus fragil, ebenso die wirtschaftliche Lage. Zudem sträubten sich frühere Kolonialmächte lange dagegen, ihren Einfluss aufzugeben. Wiederholt sabotierten sie Politiker:innen, die ihr Land von ihnen lösen wollten. Oder sie hofierten Regimes, die sich für sie als nützlich erwiesen – ob sie sich nun demokratisch oder autokratisch gebärdeten. Auch der Kalte Krieg war ein Faktor: Der sogenannte Westen und die Sowjetunion trugen ihre Rivalität auch in Afrika aus, wobei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im globalen Ringen um Einflusssphären oft preisgegeben wurden.
Nach Ende des Kalten Krieges kehrte eine gewisse Ruhe ein, die sozioökonomischen Aussichten der Menschen in Afrika verbesserten sich, und mit der Jahrtausendwende ging auch die Zahl der Militärputsche zurück. Es sah nach einem Ende der Ära der Staatsstreiche aus. Doch es war bloss eine Auszeit.
Die demokratischen Strukturen, die in Mali, Burkina Faso und im Niger entstanden waren, wurden in den 2010er Jahren auf die Probe gestellt. Das hängt auch mit der Klimaerwärmung und häufiger gewordenen Dürren zusammen, die das Leben in der Sahelregion immer beschwerlicher machen. Die Bevölkerungen wuchsen zu schnell für die karger gewordenen Böden. Ganzen Generationen fehlen die Perspektiven auf ein besseres Leben. Konflikte entbrannten entlang ethnischer Bruchlinien, islamistischer Terror breitete sich aus. Menschen wurden zu Vertriebenen, viele hungerten, nicht wenige verhungerten. Die staatlichen Institutionen, die eh schon zerbrechlich waren, kollabierten vollends. Auch militärische Unterstützung aus dem Ausland hat nicht geholfen; ganze Landesteile sind in die Hände bewaffneter Gruppen gefallen.
Die Sicherheitskrise bot Goïta, Traoré und Tchiani die Gelegenheit, in ihren jeweiligen Ländern zu putschen. Dass die politischen Systeme, die sie mit ihren Staatsstreichen ablösten, auch ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeit derart fragil gewesen waren, verhalf ihnen zu einem beträchtlichen Rückhalt in der Bevölkerung. Viele Bürger:innen unterstützen sie bis heute, trotz wachsender Repression. Derweil wenden sich im Zentrum der Sahelzone die Militärregierungen in unterschiedlicher Ausprägung Russland zu. In mehreren Staaten sind mittlerweile russische Söldner oder Soldaten stationiert, während Streitkräfte aus Europa und den USA zum Abzug gedrängt wurden.
Die Menschen im Sahel sind nicht plötzlich zu Gegner:innen der Demokratie geworden – sie sind bloss der Auffassung, dass sie auch zuvor nie in einer gelebt hatten. Und sie haben zum Teil schlagkräftige Argumente auf ihrer Seite: schlechte Regierungsführung, umstrittene Wahlen, grassierende Korruption. Seit der Einführung von Amtszeitbeschränkungen an vielen Orten in Afrika blieben Präsidenten und Regierungschefs in vierzehn Ländern länger an der Macht, als es die Verfassung ihres Staates ursprünglich vorgesehen hatte. Weitere wagten den Versuch und scheiterten, so eine Studie des Africa Center for Strategic Studies. Und in dieser Statistik sind die Staaten, in denen jüngst geputscht wurde, nicht einmal mitgezählt. Dort klammerten sich in der Vergangenheit ebenfalls einige Präsidenten an die Macht. In Guinea, südlich der Sahelzone, war dies 2021 gar der Grund für den Putsch: Der amtierende Präsident wollte sich eine dritte Amtszeit sichern.
Und dann gab es noch die Putsche in Staaten, die schon lange rigide Autokratien waren. Im Tschad übernahm Präsidentensohn Mahamat Déby 2021 auf Geheiss der Militärs nach dem Tod seines Vaters die Macht. Nur wenige Monate vor den Wahlen im Mai 2024 erschossen seine Sicherheitskräfte seinen wichtigsten Herausforderer. Déby wurde nach einem fragwürdigen Urnengang zum Präsidenten gekürt. Leidlich legitimiert, führt er nun eine Familiendynastie fort, die das Land seit mehr als drei Jahrzehnten in der Hand hat. Und im Sudan stürzten Soldaten 2019 Umar al-Baschir, der das Land schon seit über zwanzig Jahren beherrscht hatte. Eine teils zivile Übergangsregierung übernahm, doch kaum zwei Jahre später hebelte das Militär unter der Führung von General Abdel Fattah al-Burhan deren Regentschaft aus. Mittlerweile ringt er mit Mohammed Hamdan Daglo, dem Anführer der paramilitärischen RSF-Miliz, in einem absolut verheerenden Krieg um die Macht im Land.