Wahljahr 2023: Wer FDP wählt, hilft Glarner

Nr. 31 –

Bescheidenheit war ihre Sache nie. Geht es nach der FDP, hat sie vor 175 Jahren nicht nur den Bundesstaat gegründet, sondern sichert bis zum heutigen Tag auch seinen Wohlstand: «Die FDP ist seit 1848 der Garant des Erfolgsmodells Schweiz», heisst es im Selbstporträt auf der Parteiwebsite. Doch was ist geblieben vom revolutionären Geist von damals, als Liberale und Radikale im Sonderbundskrieg die Konservativen und Reaktionären besiegten – und inmitten von Monarchien eine Demokratie errichteten?

Ein Liberaler aus dem 19. Jahrhundert würde angesichts der heutigen FDP die Schweiz nicht mehr verstehen. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr des Bundesstaats paktiert die Partei in mehreren Kantonen mit der reaktionären SVP. Im Aargau etwa scheut sie sich nicht, mittels Listenverbindung den rechtsextremen Nationalrat Andreas Glarner zu unterstützen.

Noch sind zu Beginn des Wahlkampfs fast alle Medien auf die SVP und ihren Kulturkampf gegen «Genderismus», Migration und alles vermeintliche linke Übel fokussiert. Je dümmer ein Text, desto besser für die Klicks. Bloss wird diese Wahl wohl nicht am rechten Rand entschieden, sondern rechts von der Mitte. Zwischen der FDP und der neu formierten Mitte-Partei, die fern der katholischen Stammlande punkten könnte. Und zwischen der FDP und den Grünliberalen. Die Freisinnigen dürften dabei verlieren, weil sie Wähler:innen in der bürgerlichen Mitte nicht mehr adressieren.

Dass sich die Partei derart stark nach rechts bewegte, hat historisch zwei Gründe. Zum einen ist es der neoliberale Wirtschaftskurs, den sie spätestens seit dem Wahlkampf 1979 und dem Slogan «Mehr Freiheit, weniger Staat» verfolgt. Den einst stolzen Staatsfreisinn, dem es um mehr als die persönliche Bereicherung ging, gibt es kaum mehr. Der zweite Grund für den Rechtskurs ist die Ignoranz gegenüber der Klimakatastrophe, mit der man die eigenen Umweltliberalen auf der Strecke liess. Ganz kurz, im letzten Wahljahr, unter dem Präsidium von Petra Gössi, flammte ein ökologisches Bewusstsein auf. Ihr Nachfolger Thierry Burkart plädiert wieder für den Neubau von Atomkraftwerken.

Ihre harte Programmatik mag die FDP gerne hinter wohlklingenden PR-Hülsen wie «Erfolgsmodell» oder «Eigenverantwortung» verbergen. Für wen sie sich im Zweifel einsetzt, zeigte sich diesen Frühling beim Ruin der Credit Suisse exemplarisch. Von wegen Eigenverantwortung: FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter sicherte die Übernahme der Grossbank durch die UBS mit 259 Milliarden Franken ab, per Notrecht und ohne Auflagen. Den Staat ständig kleinreden, um ihn in der Not als Risikoversicherung zu beanspruchen, als ob er einem allein gehört: Man kann nur darüber staunen, wie der freisinnige Taschenspielertrick noch immer funktioniert.

Bei der Altersvorsorge oder im Gesundheitswesen soll derweil die breite Bevölkerung bezahlen, auch wenn die sozialpolitischen Vorschläge der FDP unbeliebt sind, wie unlängst eine Tamedia-Umfrage zeigte. Ein höheres Rentenalter, wie es die Partei fordert, lehnt eine Mehrheit deutlich ab – unterstützt aber umgekehrt die gewerkschaftliche Initiative für eine 13. Altersrente. Die Umfrage wurde zwar sofort wieder von Kulturkampf-Gagatexten überdeckt. Und doch ist sie ein Hinweis, welche Probleme die Bevölkerung fern der rechten Medienrealität umtreiben: real sinkende Löhne, steigende Mieten und wachsende Krankenkassenprämien.

Will die Linke diese Wahlen gewinnen, darf sie in den nächsten Wochen bloss nicht über jedes rechte Stöckchen springen. Stattdessen sollte sie die soziale Frage konsequent zum Thema machen. Angenommen, die FDP liegt am 22. Oktober weiterhin hinter der SP und fällt auch hinter eine erstarkende Mitte-Partei zurück, könnte sie für ihre Arroganz abgestraft werden und einen Sitz im Bundesrat verlieren.

Es wäre das Ende der rechten Mehrheit in der Regierung. Und das beste Geschenk, das sich die Schweiz zum 175. Geburtstag wünschen kann.