Bundesratswahl: Der Kandidat heisst Pfister
Es gehört zur Eigenart dieses Wahljahrs, dass sich das Resultat laufend veränderte: Auf spekulative Hochrechnungen folgten statistische Korrekturen, die nun am Sonntag von überraschenden Ständeratsergebnissen abgelöst wurden. Das definitive Resultat lässt sich in einem Satz zusammenfassen: SVP und FDP haben ihren Anspruch auf eine Mehrheit im Bundesrat verwirkt.
Trotz der Zugewinne der SVP halten sie im Nationalrat zusammen bloss 90 der 200 Sitze – fern einer absoluten Mehrheit. Im Ständerat kommen sie noch auf 17 der 46 Sitze. In beiden Kammern liegt die FDP erstmals hinter der neu formierten Mitte-Partei. Was das für die Bundesratswahl bedeutet, hat ausgerechnet FDP-Präsident Thierry Burkart bisher wie ein Mantra heruntergebetet: «Die drei grössten Parteien haben Anspruch auf zwei Sitze.»
Bloss ist die FDP nur noch die viertgrösste Kraft. Sie hat – wenn sich der Präsident beim eigenen Wort nimmt – also bloss noch Anspruch auf einen Sitz.
Dass FDP und SVP kaum irgendwo im Land gemeinsam mehrheitsfähig sind, zeigten exemplarisch die zweiten Wahlgänge für den Ständerat: In Zürich und in Solothurn hatte die FDP ihre Kandidat:innen für die SVP aus dem Rennen genommen. In Schaffhausen drängte die FDP gar ein Jungtalent gegen dessen Willen zum Rückzug, zugunsten des Wutpatrioten Thomas Minder. Auch im Aargau stützten sich FDP und SVP. Es endete im Fiasko.
Stattdessen: sensationelle Erfolge von Frauen der SP (Franziska Roth, Solothurn), der GLP (Tiana Moser, Zürich) und der Mitte-Partei (Marianne Binder, Aargau) – und in Schaffhausen die Wahl von SP-Mann Simon Stocker (vgl. «Der Knall von Schaffhausen»).
Die Niederlage des Freisinns begann mit seiner Strategie: Die FDP biederte sich mit Listenverbindungen bei der SVP an und übernahm deren Hetze gegen Geflüchtete. Geschickt verkaufte Gerhard Pfister derweil seine Partei als Zentrum – auch wenn die Mitte-Partei einigen Aufhellungen in der Sozialpolitik zum Trotz rechts politisiert. Unterordnung oder Eigenständigkeit? Die mutigere Strategie ging auf.
Die Schweiz hat sich über diese Wahlen leise, aber markant verändert: Sie besteht nun definitiv aus drei Blöcken. Man muss sie ja nicht, wie Pfister es gerne tut, schön im Hufeisen als links, mittig und rechts beschreiben. Sozial-ökologisch, grünliberal-bürgerlich sowie neoliberal-rechtspopulistisch ist programmatisch zutreffender.
Wie auch immer man die Blöcke nennt – vor allem haben FDP und SVP inhaltlich keine Mehrheit mehr. Auch wenn die Berichterstattung der Medien oft anders wirkt: Der Absturz von Hardliner Gregor Rutz in Zürich zeigt, dass lediglich ein Drittel der Stimmberechtigten die SVP-Dauerhetze gegen Migrant:innen billigt. Auch Vorlagen zur Personenfreizügigkeit wurden bisher immer angenommen, sofern der Lohnschutz garantiert war. Und an die Heilslehre der FDP vom freien Markt glauben noch weniger Leute. Wichtiger ist den meisten die soziale Absicherung, mit der die SP im Wahlkampf punktete – ob bei den Krankenkassen, der AHV oder den Kitas.
Fast nirgendwo gibt es also noch eine Mehrheit von FDP und SVP – ausser zuoberst in der Landesregierung, seit 2003 Milliardär Christoph Blocher auf Kosten der damaligen CVP gewählt wurde. Zwanzig Jahre später ist es an der Zeit, dass diese Mehrheit fällt.
Natürlich zaudern sie jetzt in der Mitte-Partei, da sind sie ganz die alten CVPler. Amtierende Bundesrät:innen würden nicht abgewählt, so das unhinterfragte Argument. Mit Verlaub: Wer will, dass der glücklose FDP-Aussenminister Ignazio Cassis noch vier Jahre im Bundesrat bleibt? Oder gar acht? Bloss damit der zweite Sitz seiner Partei nicht verloren geht? Das ist doch keine Aussicht, erst recht nicht in der drängenden Europapolitik.
Mehr Bewegung, häufigere Wechsel würden dem Bundesrat im Gegenteil guttun. Ob es die Grünen diesmal schaffen (sportlich) oder die Mitte-Partei (realistisch): Hauptsache, das Kartell von FDP und SVP wird am 13. Dezember geknackt. Dafür muss die Mitte-Partei nur angreifen. Dass sie noch zögert, hat einen einfachen Grund. Der Mann, der die Ansage machen müsste, ist jener mit den grössten Wahlchancen: Gerhard Pfister.