Medikamentenpreise: Nach dem Wunsch der Pharma

Nr. 34 –

Die Arzneimittelpreise sind in der Schweiz viel zu hoch. Trotzdem weist die Mehrheit im Bundeshaus die Industrie nicht in die Schranken. Stattdessen lenkt der Bundesrat mit einer Reform der Vertriebsmargen ab.

Pillen
Pillen zu teuer? Nun sollen es die Apotheken büssen. Foto:Ursula Häne

Silvio Ballinari sagt am Telefon: «Man kann auch einfach alle Apotheken eliminieren. Das würde am meisten Einsparungen bringen.» Aus den Äusserungen des Mannes, der bis zu seiner Pensionierung vor einem Jahr die bekannte Zähringer-Apotheke Ballinari in der Berner Länggasse geführt hat, spricht Sarkasmus. Worüber Ballinari sich aufregt? Der Bundesrat plant per Verordnung eine Reform der Margen, die Apothekerinnen, Ärzte und Spitalambulatorien bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten verlangen dürfen. Das erklärte Ziel: Die Ausgaben für Heilmittel durch die Krankenkassen sollen um sechzig Millionen Franken gesenkt werden.

Die Apotheken, die mehr als die Hälfte aller Medikamente abgeben, sollen also Umsatzeinbussen in Kauf nehmen, um Kosten im Gesundheitswesen zu sparen. Gemäss dem jüngsten Auslandsvergleich des Krankenversicherungsverbands Santésuisse und des Branchenverbands der forschenden Pharmaindustrie Interpharma kosteten patentgeschützte Medikamente 2022 in der Schweiz im Durchschnitt 8,8 Prozent mehr als im Ausland, bei den Originalpräparaten mit abgelaufenem Patent betrug die Differenz gar 15,4 Prozent – und bei Generika 48,4 Prozent. In der Schweiz Lebende bezahlten also für Generika doppelt so viel wie die Kund:innen in den Vergleichsländern.

Wie dieser Wucher bei den Medikamenten bekämpft werden soll, ist allerdings umstritten.

Das grosse Geld

Silvio Ballinari sagt: «Auf den Vertrieb zu zielen, ist absurd. Die Apotheken müssen mit den Margen alle Betriebskosten zahlen. Und die Löhne für Apotheker oder Pharmaassistentinnen haben sich in den letzten zwanzig Jahren kaum erhöht. Das grosse Geld macht dagegen die Pharmaindustrie.»

Die Schweizer Pharmaindustrie hat 2021 einen weltweiten Umsatz von 99,35 Milliarden Euro erzielt, ihr Exportvolumen ist in den letzten Jahren laufend gewachsen. Gemeinsam mit der chemischen Industrie ist die Branche inzwischen für rund die Hälfte der Schweizer Exporte verantwortlich. Entsprechend gross ist ihr Einfluss auf die Politik. Das Parlament hat das Kostendämpfungspaket, das die Gesundheitskosten senken soll, fast fertig verhandelt. Beim Thema der hohen Medikamentenpreise herrscht politischer Leerlauf: Vorschläge, die den Umsätzen der Pharma schaden könnten, werden debattiert und mit riesigen Dokumentationen unterfüttert. Und fallen am Ende doch durch. Flavia Wasserfallen, Gesundheitspolitikerin der SP, klagt: «Es war eine verlorene Legislatur.»

Ein Referenzpreissystem, mit dem nur noch das billigste Generikum von der Krankenkasse erstattet würde und das Einsparungen von bis zu 500 Millionen Franken gebracht hätte: abgelehnt – weil es angeblich ein zu starker Eingriff in den Wettbewerb sei. Die Förderung von Parallelimporten aus dem Ausland, wo die Medikamente viel billiger sind: keine Umsetzung. Das Kostengünstigkeitsprinzip, das besagt, dass bei der Preisbildung jenes Kriterium herangezogen wird, das den billigsten Preis rechtfertigt: verworfen. Derweil sind die Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel seit 2014 um ein Drittel gestiegen.

Scheinlösungen

Derzeit debattiert die Gesundheitskommission des Nationalrats einen neuen Vorschlag zur Preisbildung. Bislang verhandelte der Bund zuerst die generelle Zulassung eines Medikaments und erst danach den Preis. Weil diese Verhandlungen oft langwierig sind, müssen Patient:innen lange auf die Behandlung mit einem neuen Wirkstoff warten. Der Lobbyverband Interpharma wünscht sich deshalb, dass neue Medikamente vom Moment ihrer Zulassung an zu einem provisorischen Preis verfügbar sind. FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt hat diesen Vorschlag gemäss Informationen der WOZ eingebracht – eine Mehrheit der Kommission unterstützt ihn. Der Clou dabei: Den provisorischen Preis soll die Pharmaindustrie selber bestimmen können.

In der Herbstsession dürfte sich die Pharma ein weiteres Mal durchsetzen. Auf dem Tisch liegt eine Reform, die ein lukratives Geschäftsmodell schützen soll, mit dem die Pharma dank innovativer Medikamente für spezifische Krankheiten enorme Preise erzielt. «Der Druck, für diese Preismodelle zu stimmen, ist unheimlich gross», sagt Flavia Wasserfallen, die wie ihre Partei und die Grünen gegen die Regelung ist. Nicht nur die Pharmalobby, sondern auch die Patient:innenorganisationen würden darauf drängen. Worum geht es konkret?

Lange Zeit wies die Schweiz die Preise von kassenpflichtigen Medikamenten transparent aus. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG), das die Preise in Verhandlungen mit der Pharma festsetzt, veröffentlichte sie jeweils auf Franken und Rappen genau. Doch mit dem Aufkommen neuartiger Krebsmedikamente, von Gen- oder Zelltherapien, die pro Patient:in über eine Million Franken kosten können, liess sich das BAG auf geheime Preismodelle ein, bei denen nicht deklarierte Rabatte gewährt werden. Der vom BAG veröffentlichte Preis wird damit zum reinen Schaufensterpreis. Im Rahmen des Kostendämpfungspakets will Bundesrat Alain Berset dieses Vorgehen nun gesetzlich verankern – und verkauft dies als Erfolg: So stünden innovative Medikamente «schneller und günstiger zur Verfügung».

Tatsächlich hat Berset schlicht dem Druck der Pharmalobby nachgegeben, die ein enormes Interesse am Versteckspiel hat. Der Gesundheitsökonom Heinz Locher sagt: «Es geht den Unternehmen in erster Linie darum, im Ausland einen möglichst hohen Preis zu erzielen; der Schweizer Schaufensterpreis ist ein wichtiger Referenzpunkt für andere Länder.» Die Pharmafirmen sind gegenüber dem BAG am längeren Hebel: Lässt sich dieses nicht auf die Deals ein, haben sie die Möglichkeit, die Aufnahme des Medikaments in die krankenkassenfinanzierte Spezialitätenliste nicht zu beantragen.

Geheime Preismodelle sind im gesamten europäischen Raum Praxis. «Man müsste diesem Powerplay der Pharmafirmen ein internationales Regierungskartell gegenüberstellen», sagt Locher. Stattdessen hoffe einfach jedes Land, jeweils den besten Deal zu erzielen. Locher weiter: «Es herrscht seitens der Pharma maximaler politischer Druck, dem sich der Bundesrat entgegensetzen müsste.»

Günstige Medikamente teurer

Kritisiert wird die Intransparenz bei der Preisfestsetzung auch von der Nichtregierungsorganisation Public Eye sowie vom Preisüberwacher Stefan Meierhans. Public Eye hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die zeigt: Die Gewinnmargen der Pharmaunternehmen für teure Krebsmedikamente liegen bei vierzig bis neunzig Prozent. Meierhans schreibt auf Anfrage: «Es nützt nur der Pharmaindustrie, wenn niemand weiss, was für welches Medikament effektiv bezahlt wird.»

Intransparent sind jedoch nicht nur die neuartigen Deals. Pharmaunternehmen haben auch keinerlei Transparenzpflichten, was die Forschungs- und Entwicklungskosten eines Medikaments angeht. Meierhans resümiert: «Es liegt bei den Medikamenten ein sehr hohes Sparpotenzial drin, ohne gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung. Viele Vorschläge liegen auf dem Tisch, sie müssten nur umgesetzt werden.»

Dass nun erst einmal die Apotheker:innen für Kostensenkungen sorgen sollen, das findet der Krankenversicherungsverband Santésuisse im Gegensatz zu Apotheker Ballinari im Grundsatz richtig. Mediensprecher Matthias Müller sieht «erhebliches Sparpotenzial» bei den Margen und sagt: «Es gibt insbesondere in den Städten sehr viele Apotheken, das zeigt, dass die Margen hoch sind und die Versorgung auch mit einer Senkung gewährleistet wäre.»

Santésuisse kritisiert jedoch die Ausgestaltung der Reform, die der Bundesrat voraussichtlich ebenfalls im Herbst definitiv beschliessen will. Dies unter anderem, weil der Bund den Apothekerverband ins Boot geholt hat, indem die Marge nur bei teuren Medikamenten gesenkt werden soll, während jene der billigen Arzneimittel sogar erhöht würde. Der Bundesrat will damit auch den Verkauf von Generika ankurbeln. Ein Medikament von gut sieben Franken könnte künftig jedoch gleich doppelt so viel kosten. Solche Medikamente würden von Patient:innen mit hohen Franchisen oft selber bezahlt, kritisiert Müller. «Man schont die Pharmaunternehmen, und jetzt sollen die Prämienzahlerinnen und Konsumenten bezahlen.»