Medikamentenpreise: Ein Urteil gegen die Öffentlichkeit
Wie viel etwa teure Krebsmedikamente kosten, bleibt immer öfter geheim. Zu Recht, sagt das Bundesverwaltungsgericht nun in einem problematischen Urteil.
Wie viel Geld Pharmafirmen für ihre Medikamente einkassieren – das bleibt oft im Dunkeln. Grund dafür sind neuere sogenannte Preismodelle, die Pharmaunternehmen mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) aushandeln. Diese sind geheim. Und das soll auch so bleiben, wie das Bundesverwaltungsgericht nun in einem Urteil gegen das Magazin «K-Tipp» entschieden hat. Ein bedenkliches Verdikt gegen die Transparenz.
Nimmt das BAG ein Medikament in die Spezialitätenliste auf, damit es von den Krankenkassen bezahlt wird, handelt es mit der Pharmafirma dafür einen Preis aus. Lange wies der Bund diesen auf Franken und Rappen genau aus. Doch mit dem Aufkommen neuartiger Krebsmedikamente, von Gen- oder Zelltherapien, die pro Patient:in über eine Million Franken kosten können, liess sich das BAG auf geheime Preismodelle ein. Der Bund veröffentlicht zwar weiterhin einen Preis fürs Schaufenster. Darauf werden jedoch nicht deklarierte Rabatte gewährt.
Die hohen Schaufensterpreise dienen den Pharmafirmen dazu, mit Verweis darauf in anderen Ländern ebenfalls hohe Preise zu verlangen. Das Versteckspiel ist also in deren Interesse. Der Preisüberwacher Stefan Meierhans resümierte in der letzten WOZ: «Es nützt nur der Pharmaindustrie, wenn niemand weiss, was für welches Medikament effektiv bezahlt wird.»
Die Klage des «K-Tipps»
Ärger über die Geheimdeals des BAG herrscht auch beim «K-Tipp». Das Konsument:innenmagazin verlangte deshalb vom BAG im August 2020 gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz die Offenlegung der amtlichen Dokumente zu den effektiv bezahlten Preisen von elf sehr teuren Medikamenten. Darunter die Präparate Kymriah von Novartis und Yescarta des US-Herstellers Gilead, die bei bestimmten Blutkrebsarten eingesetzt werden.
Das BAG verweigerte jedoch die Herausgabe der Daten – auch nach einer Intervention von Adrian Lobsiger, dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten. Die Prämienzahler:innen hätten einen Anspruch darauf, zu wissen, wie viel eine Behandlung koste, schrieb Lobsiger dem BAG im Juli 2022 im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens. Die Kosten für Arzneimittel müssten transparent sein. Dass das BAG der Argumentation des Öffentlichkeitsbeauftragten nicht gefolgt ist, dürfte auch politisch motiviert sein: Bundesrat Alain Berset will die Geheimabsprachen mit der Pharma gesetzlich festschreiben; dies im Rahmen des sogenannten Kostendämpfungspakets, das derzeit im Parlament behandelt wird. SP-Gesundheitsminister Bersets Argument für die Deals: So stünden innovative Medikamente «schneller und günstiger zur Verfügung».
Mit seinem jüngsten Entscheid hat nun auch das Bundesverwaltungsgericht dem «K-Tipp» eine Abfuhr erteilt. Brisant am Urteil ist: Das Gericht übernimmt dabei ganz die Argumentation des unter Druck der Pharma stehenden BAG. In seinem Urteil, das der «K-Tipp» kürzlich zugeschickt erhielt, schreibt das Bundesverwaltungsgericht: Das BAG habe mit Verweis auf die internationale Praxis überzeugend dargelegt, «dass eine Offenlegung» der real vergüteten Preise die Versorgung der Patienten «sehr wahrscheinlich gefährden würde». Es sei zu befürchten, «dass Gilead oder Novartis mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Rabatte mehr einräumen oder ihre Medikamente gleich ganz aus der Schweiz zurückziehen würden». Daher sei es rechtens, dass das BAG eine Offenlegung abgelehnt habe.
Ein Präzedenzurteil?
Der «K-Tipp» will den Entscheid nun ans Bundesgericht weiterziehen. Herausgeber René Schuhmacher sagt: «Das Bundesverwaltungsgericht argumentierte, das BAG habe die nötige Fachkompetenz, um zu beurteilen, ob eine Offenlegung der Preise im öffentlichen Interesse liege oder nicht.» Das BAG aber beuge sich einfach dem Druck der Pharmaunternehmen.
Schuhmacher sieht im Rechtsstreit zudem einen Präzedenzfall. Denn der «K-Tipp» muss die Verfahrenskosten übernehmen und zusätzlich den beiden Pharmafirmen Novartis und Gilead eine hohe Prozessentschädigung zahlen. «Die Gegenseite hat Wirtschaftskanzleien beauftragt, die viel Aufwand betrieben und dem Gericht hohe Rechnungen einreichten.» Weil der «K-Tipp» die Daten zu elf Medikamenten verlangt, hat das Bundesverwaltungsgericht zudem elf einzelne Verfahren eröffnet, das jetzige Urteil betrifft erst die erwähnten Medikamente von Novartis und Gilead. Weil sich die einzelnen Verfahren um die exakt gleiche Rechtsfrage drehen, beantragt der «K-Tipp» ihre Sistierung. «Verlieren wir alle Fälle einzeln bis vor Bundesgericht, könnte uns das am Ende etwa 100 000 Franken kosten», sagt Schuhmacher.
Das Öffentlichkeitsgesetz kehrt den Grundsatz der Geheimhaltung um, indem es jeder Person ein Recht auf Zugang zu amtlichen Dokumenten verleiht, ohne dass ein besonderes Interesse nachgewiesen werden müsste. Eingeschränkt werden darf dieses Recht nur mit sehr guten Begründungen, etwa wenn «die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet» ist. Schuhmacher sagt: «Wenn aber bei einem Weiterzug derart hohe Kosten drohen, könnte das gerade auch Medienredaktionen von Gesuchen abhalten. Niemand hat solche Budgets für Rechtsstreite.»