Klimastreik: Neue Energien
Die Klimabewegung schlägt im Kanton Zürich einen konkreten Klimaschutzplan vor. Die Aktivist:innen erhoffen sich davon einen Ausweg aus der Resignation – auf Kosten ihrer Radikalität?
Die letzten Jahre seien «frustrierend» gewesen, sagt Cyrill Hermann. «2019 machte die Massenmobilisierung des Klimastreiks noch grosse Hoffnung auf echte Veränderung», so Hermann, zwanzigjährig und mitverantwortlich für die Medienarbeit beim Klimastreik Zürich. Aber obwohl das Klimathema allgegenwärtig gewesen sei: Zu tatsächlicher politischer Veränderung habe das neue Bewusstsein kaum geführt.
Ein Weiteres tat die Coronapandemie. Die Einschränkungen der sozialen Kontakte hätten dem Klimastreik weiteren Schwung genommen und die Aktivist:innen entmutigt, sagt Hermann. «Als wir endlich wieder Streiks auf den Strassen durchführen konnten, kamen wir zum Schluss, dass diese ihre Wirkung verfehlen.»
Am vergangenen Samstag präsentierte der Klimastreik Zürich an einer Pressekonferenz nun pünktlich zum globalen Streik am 15. September seine neue Strategie: «We Have a Plan». Konkret: einen «Climate Action Plan».
Ein Ticket fürs Mietauto
Das Konzept ist eigentlich nicht neu. Der nationale Klimastreik hat schon vor zwei Jahren in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen einen solchen Plan erarbeitet. Neu ist, dass die Zürcher Lokalgruppe diesen jetzt auf die kantonale Ebene heruntergebrochen hat.
Zwanzig Forderungen enthält der Plan, darunter etwa ein «Klimaticket»: ein neues Abo für den öffentlichen Verkehr und Autovermietungen, das nur hundert Franken im Jahr kosten soll. Manche der Forderungen gehen aber auch deutlich weiter. So verlangen die Aktivist:innen etwa die Vergesellschaftung des Bodens.
Die grosse Bandbreite der Massnahmen, die der Climate Action Plan vorsieht, sei den Aktivist:innen wichtig, wie sie an der Pressekonferenz sagen. So sollen auch möglichst diverse Gruppierungen angesprochen werden – jede mit der passenden Forderung. Das Ziel davon: breite gesellschaftliche Unterstützung zu erhalten und so möglichst grosse Teile des Plans tatsächlich umzusetzen.
Gemäss den Aktivist:innen würde der Kanton Zürich mit der Umsetzung ihres Plans bis 2030 das Netto-null-Ziel erreichen – was sich schweizweit kein einziger Kanton überhaupt vorgenommen hat. Sie betonen die grossen finanziellen Möglichkeiten des Kantons.
Die Zürcher Lokalgruppe des Klimastreiks geht damit andere Wege als die Sektionen anderer Kantone. Das ist innerhalb der Bewegung erwünscht: Es ist ein erklärtes nationales Ziel, zu eruieren, welche Strategien in welchen Regionen erfolgreich sind – und diese dann anschliessend auf andere Regionen auszuweiten.
Im Kanton Neuenburg etwa beschreitet der Klimastreik schon länger den Weg der institutionellen Politik. Er macht sich die lokalpolitische Besonderheit der «Volksmotion» zunutze: Unterschreiben 300 Bürger:innen des Kantons eine Volksmotion, muss sie im Parlament gleich behandelt werden wie eine parlamentarische Motion, was den Klimaaktivist:innen schon vier Mal gelungen ist.
Revolution abgeblasen?
Was auffällt: Während der Präsentation des neuen Klimaaktionsplans verzichteten die Aktivist:innen auf ihre Forderung nach einem «System Change», für die der Klimastreik eigentlich bekannt ist. Entfernt sich der Klimastreik Zürich mit seinem neuen Umsetzungsplan von seinen revolutionären Ideen?
Charles-Mathieu Sérou verneint. Es habe sich lediglich die Zürcher Strategie verändert, sagt der 29-jährige Aktivist. Das Gegenteil treffe zu: «Mit dem Klimaaktionsplan wollen wir die für viele Menschen unverständliche Forderung nach einem Systemwandel mit Inhalten füllen und dadurch fassbarer machen», sagt Sérou. Und Cyrill Hermann ergänzt: «Wenn diese Forderungen eins zu eins umgesetzt werden, ist man einem Systemwandel beispielsweise im Wirtschaftssystem schon sehr nahe.»
Im Gespräch mit den Aktivist:innen zeigt sich, dass es ihnen nicht nur darum geht, ihre Forderung nach dem «System Change» mit Inhalten zu füllen, um sie für die breite Bevölkerung besser verständlich zu machen, sondern sie wollen sich auch selbst über die Implikationen klarer werden. Die Erarbeitung des Plans sei das Ergebnis eines langwierigen internen Findungsprozesses gewesen, der Plan solle den resignierten Aktivist:innen neuen Elan verleihen, sagt Sérou. Mit dem Entscheid, einen Klimaaktionsplan zu verfassen, hätten sie ein neues Ziel erhalten. Und seit sie mit der Arbeit daran begonnen hätten, sei beim Zürcher Klimastreik eine neue Energie zu spüren.
Das liegt aber sicher nicht nur am neuen Projekt, sondern auch an neuen Gesichtern. Es seien zuletzt viele junge Leute in die politische Arbeit eingestiegen, sagt Lisa de David. Die siebzehnjährige Gymnasiastin ist selbst erst seit einem halben Jahr aktiv. «Vieles ist neu für mich», sagt sie, und die Vorbereitung des kommenden globalen Klimastreiks sei stressig gewesen. «Aber es macht auch Spass, aktiv und Teil dieser Bewegung zu sein.»