Fünf Jahre Klimastreik: Neuer Schub dank bezahltem Aktivismus?

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Die Bewegung hat der Debatte um das Klima eine neue Dringlichkeit verliehen und auch die Arbeit von NGOs und Kampagnenorganisationen verändert. Der Druck auf Staat und Wirtschaft hat aber etwas nachgelassen.

Klimaprotest vor dem Bundeshaus in Bern am 30. September 2023
Ein Höhepunkt: Der Klimaprotest vom 30. September 2023 zählt zu den grössten Demonstrationen in der Schweizer Geschichte. Foto: Marcel Bieri, Keystone

«In fünf Jahren sollte es uns nicht mehr geben. Ich will nicht das Zehn-Jahr-Jubiläum des Klimastreiks feiern müssen», sagt der Klimaaktivist Jonas Kampuš in einem Café im Zürcher Universitätsviertel. Es ist neun Uhr morgens. Kampuš, ein Aushängeschild des Klimastreiks in der Schweiz, der Volkswirtschaft und Physik studiert und nebenbei für die Kampagnenorganisation Klima-Allianz arbeitet, spricht schnell und bestimmt. Handeln sei dringender denn je: «Wir sollten den Tatsachen ins Auge schauen und uns entsprechend radikalisieren und eskalieren.»

Über fünf Jahre sind seit der Geburtsstunde der weltweiten Klimastreikbewegung vergangen. In der Schweiz nahm sie am 14. Dezember 2018 mit einer spontanen Demonstration von rund 300 Schüler:innen in Zürich ihren Anfang. Schon damals riefen einige: «System change, not climate change!» «Ein Hauch von Rebellion weht durch die Städte», schrieb die WOZ bereits eine Woche zuvor.

Die Initialzündung zur weltweiten Bewegung gab Greta Thunbergs wöchentlicher Klimastreik in Stockholm im August. Im September gründete sich in Frankreich die Bewegung «Il est encore temps» und organisierte Grossdemos in verschiedenen Städten. Im Oktober demonstrierten 5000 Menschen in Genf, im November blockierten 6000 Aktivist:innen der neuen Bewegung Extinction Rebellion zentrale Brücken in London – und Ende November gingen auch schon 15 000 Schüler:innen in Australien auf die Strasse. Am 8. Dezember 2018 gab es rund achtzig Klimademonstrationen in gut zwanzig Ländern. In Bern, wo an diesem Tag 1500 Menschen an einem «Klimaalarm» teilnahmen, wurde im Anschluss an die Demo spontan die Kirchenfeldbrücke blockiert.

Hohe Fluktuation

Fünf Jahre später gibt es wenig zu feiern. Unbestrittenermassen hat die Klimabewegung auch hierzulande die Klimadiskussion stark mitgeprägt und vorangetrieben. In Meinungsumfragen ist das Klima zum wichtigsten Thema geworden; die Besorgnis über die ungebremste menschengemachte Erderhitzung geht mittlerweile durch alle Gesellschaftsschichten. Der Klimastreik hat in der Zwischenzeit diverse Aktionsformen ausprobiert, Allianzen geschmiedet und einen umfassenden Aktionsplan für die rasche Dekarbonisierung ausgearbeitet. Mit der Covid-Pandemie jedoch wurde er auch geschwächt, Demos konnten nicht mehr stattfinden, Treffen fielen aus – der Druck auf den Staat und die Wirtschaft hat etwas nachgelassen.

Inzwischen hat der Klimastreik auch mit einer hohen Fluktuationsrate zu kämpfen: «Leute kommen in die Bewegung, geben für kurze Zeit viel Energie rein – und sind dann wieder weg. Das müssen wir angehen», sagt Kampuš. Denn so gehe auch viel Wissen verloren. «Ständige Wechsel sind nicht gut für eine Bewegung. So kann man keine Vertrauensbasis aufbauen; man muss ja gewisse Dinge zusammen erlebt haben, um sich zu vertrauen.» Kampuš spricht von «Mehrfachbelastungen» durch Studium, Erwerbsarbeit und Aktivismus: «Das ist es schon schwierig, über längere Zeit durchzuhalten.» Hinzu kommt: Klimademos haben mit der Zeit etwas Ritualisiertes und erhalten medial immer weniger Aufmerksamkeit – weit weniger jedenfalls als polarisierende Aktionsformen etwa von Renovate Switzerland wie das Sichfestkleben auf Autostrassen.

Kampuš ist nicht der einzige Klimastreik-Aktivist, der mittlerweile für seine Arbeit bei der Klima-Allianz einen Lohn erhält. Ob beim Organisieren der Grossdemo vom 30. September 2023 in Bern, bei der Kampagne zur Dekarbonisierung des hiesigen Finanzplatzes oder jener für eine grünere Nationalbank: Überall mischen nun auch bezahlte Klimastreik-Aktivist:innen mit.

Ein aktivistisches Ökosystem

«Die Bewegung hat uns beflügelt», sagt Christian Lüthi, Geschäftsleiter der Klima-Allianz, eines Kampagnenbündnisses von NGOs wie Greenpeace, WWF, VCS und Entwicklungsorganisationen. Auch Lüthi selber hat eine Vergangenheit als freiwilliger Aktivist – bei der Organisation Fossil Free, die vor rund zehn Jahren begann, die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu fordern, und dabei besonders den Finanzplatz ins Visier nahm. Bei Lüthi war es die Feststellung, «dass es auf die grossen Räder ankommt, die richtig gestellt werden müssen», die ihn zum Aktivisten werden liess. «Wir rasen immer noch auf die Klimakatastrophe zu.»

Die grossen Räder in der Schweiz: Das sind zweifellos der Finanzplatz, die Banken und die Pensionskassen, die mit ihren Krediten und Aktienkäufen der fossilen Industrie neue Investitionen ermöglichen – und Versicherungen, die diese neuen Projekte auch noch gegen Risiken absichern.

Inzwischen hat die Klima-Allianz die Strategie von Fossil Free übernommen und professionalisiert. Wie ist da heute das Verhältnis der Organisation zu den Bewegungen? Lüthi spricht von einer Art «Ökosystem», in dem die verschiedenen Akteure aufeinander angewiesen seien. Trotz der angesprochenen Schwächung der Bewegung: Die Präsenz der Menschen aus der Bewegung sei immer noch spürbar. Als Beispiel nennt Lüthi die grosse Demo mit 60 000 Menschen Ende September in Bern, eine der grössten Demos in der Geschichte der Schweiz. «Auf solchen Veranstaltungen», so Lüthi, «merken wir, dass wir ein Akteur unter vielen sind.» Sorge bereite ihm allerdings, wie die Medien mit der Grosskundgebung umgingen: «Über das Thema Klima wird in keiner Weise angemessen berichtet. Dabei stehen doch unsere Zukunft, unsere Lebensentwürfe auf der Kippe.»

Auch Peter Bosshard spricht von einem «Ökosystem». Er ist Kampagnenleiter von Sunrise Project, einer international tätigen Organisation, die sich ebenfalls auf die Rolle der Finanzplätze spezialisiert hat. So hat die NGO eine Kampagne lanciert, mit der sie Versicherungen davon abbringen will, fossile Projekte und Unternehmen zu versichern. «Wir sind am stärksten, wenn wir in einem Netz mit sozialen Bewegungen, NGOs und Thinktanks verbunden sind», sagt Bosshard. Innerhalb dieser Kampagnen und Strategien aber sollen beteiligte Organisationen und Bewegungen weiterhin autonom entscheiden.

Bosshard verweist auf die Erfahrungen in Australien, dem Geburtsland von Sunrise Project, wo es dank eines solchen Ökosystems gelungen ist, die Expansion des Kohleabbaus zu stoppen. Das habe auch Grossspender:innen beeindruckt, junge Techmilliardär:innen etwa, die ihren Reichtum sinnvoll und möglichst effektiv einsetzen möchten. «Stiftungen von solchen Leuten sind mittlerweile bereit, gewisse Risiken zu tragen», sagt Bosshard. Das Sunrise Project berät heute solche Institutionen, setzt deren Gelder aber auch für Kampagnen ein und unterstützt bewegungsnahe Organisationen.

Annika Müller hat im vergangenen Jahr mehrere Monate bezahlte Kommunikations- und Medienarbeit für die bewegungsnahe Organisation Break Free gemacht. Auch sie kommt aus dem Klimastreik und war mehrere Jahre in der Winterthurer Lokalgruppe aktiv. Sie studiert heute Umweltnaturwissenschaften an der ETH. Wie ist das, wenn man für den eigenen Aktivismus plötzlich bezahlt wird? Anfänglich habe sie Bedenken gehabt, sagt Müller. «Mit der Bezahlung gibt es automatisch eine gewisse Hierarchie – die Bezahlten arbeiten mehr und verfügen so über mehr Wissen und auch Macht.» Dadurch bestehe die Gefahr, dass in Organisationen Kerngruppen aus bezahlten Aktivist:innen entstünden. Dem müsse mit einer «radikalen Transparenz» begegnet werden.

Jonas Kampuš sieht seine Lohnarbeit bei der Klima-Allianz als Möglichkeit, mit sinnvoller Arbeit Geld zu verdienen. Zudem lerne man dabei vieles, von dem wiederum der Klimastreik profitieren könne. Sein Engagement beim Klimastreik sieht er aber klar als etwas anderes, «da steckt mein Herzblut drin». Eine Bewegung könne im Gegensatz zu einer NGO viel spontaner handeln, sei nicht an Konventionen gebunden und müsse nicht jeden Entscheid in mehreren Stufen absegnen lassen. Auch sei der politische Hebel viel grösser. Allerdings sei ihm aufgefallen, dass er als Vertreter der Klima-Allianz ernster genommen werde, als wenn er für den Klimastreik auftrete. «Es wird mir mehr Kompetenz zugeschrieben.»

Gefahr der Bürokratisierung

Ist bezahlter Aktivismus auch eine Möglichkeit, den Klimastreik effektiver zu machen? In Deutschland gibt es die Bewegungsstiftung, die «Bewegungsarbeiter*innen» finanziell unterstützt. In Bern wurde vor wenigen Monaten das Moving Change Collective gegründet. Dieses entlöhnt drei Personen monatlich mit einigen Hundert Franken für ihr Engagement in der Klimabewegung. Neben einer Anschubfinanzierung durch einen Fonds und einer Grossspende erhält das Kollektiv inzwischen auch Geld von «Mover*innen», die monatlich einen bestimmten Betrag überweisen.

Im Klimastreik dagegen gibt es laut Kampuš bislang noch keinen mehrheitsfähigen Beschluss, Leute zu bezahlen. Viele hätten Angst davor, dass das die Bewegung zu stark verändern könnte. Ausserdem sei die konkrete Umsetzung eines solchen Modells schwierig und könne schnell zu Neid führen. «Ich fühle mich auch schnell unwohl, wenn ich im Rahmen der NGO mit Freiwilligen zusammenarbeite. Ich glaube, es wäre fatal, wenn man sich in Richtung NGO bewegen würde.» Annika Müller sieht das ähnlich: «Eine Bewegung, in der einzelne Leute bezahlt arbeiten, kann mögliche neue Mitstreiter:innen durch Bürokratie abschrecken. Abhängigkeiten müssten jedenfalls genau reflektiert werden.»

Gewiss, der Klimastreik ist immer noch in der Öffentlichkeit präsent: Auf nationaler Ebene hatte er die Bundesversammlung aufgefordert, Bundesrat Albert Rösti «aufgrund seines Engagements zur Zerstörung der Umwelt abzuwählen». In Bern fordern Klimastreik-Aktivist:innen vom Energieversorgungsunternehmen Energie Wasser Bern den Ausstieg aus dem Geschäft mit Erdgas. Und in Zürich wird versucht, einen Klima-Aktionsplan zu verwirklichen (siehe WOZ Nr. 37/23), und man setzt auf inhaltliche Vertiefung in einem «Crashkurs Klimakrise». Doch es ist offensichtlich: Die grosse Bewegung der ersten Jahre gibt es nicht mehr. Es braucht einen Schub wie 2018. So wichtig Kampagnenorganisationen auch sind, ohne starke Bewegung sind sie zahnlos. Für Kampuš ist klar: «Die Klimabewegung muss breiter abgestützt sein.» Die Linke mache es sich zu einfach, wenn sie glaube, sie könne den Aktivismus an «einige unbezahlte junge Menschen auslagern».

«Ohne Bewegungen geht es nicht», sagt auch Annika Müller. Ohne den Rückhalt und die Kraft von Bewegungen würden NGOs und bezahlte Kollektive nur sehr wenig erreichen. «Das Wichtigste ist die Mobilisierung der Bevölkerung.»