Prämien-Entlastungs-Initiative: Höchste Zeit für eine Korrektur

Nr. 18 –

Gemessen an der Gesamtwirtschaft, wachsen die Gesundheitskosten nur minim. Was steil ansteigt, sind die Prämienkosten. Eine moderate Umverteilung würde das entschärfen.

Sechzig Prozent: So hoch war im April laut einer Umfrage der Tamedia-Medien der Anteil jener, die der Prämien-Entlastungs-Initiative der SP zustimmen würden. Die Initiative verlangt, dass kein Haushalt mehr als zehn Prozent seines verfügbaren Einkommens an Prämien zahlen muss. Dazu sollen Bund (zu mindestens zwei Drittel) und Kantone das Prämienverbilligungsvolumen erhöhen.

Abwegige Kritik

Je tiefer das Einkommen, desto höher die prozentuale Prämienbelastung: Das ist die bittere Realität in diesem europaweit einzigartigen Kopfprämiensystem. Doch ob es am 9. Juni nach der 13. AHV-Rente zu einem weiteren sozialpolitischen Durchbruch kommen wird, ist unsicher. Die Gegenkampagne der bürgerlichen Verbände und Parteien läuft auf Hochtouren. Deren Hauptkritik jedoch, wonach mit der Initiative nichts am Kostenwachstum im Gesundheitswesen geändert würde, lenkt vom eigentlichen Ziel der Initiative ab: Ihre Absicht ist nicht primär eine Senkung der Gesamtkosten; vielmehr geht es darum, die stetig zunehmende finanzielle Belastung immer grösserer Teile der Bevölkerung zu lindern. Die Kritik ist umso abwegiger, als sie ausgerechnet aus jenen Ecken kommt, die zahlreiche Kostendämpfungsvorschläge abgelehnt haben – wie etwa Einsparungen bei Chefarztlöhnen, Spezialistinnentarifen oder Medikamentenpreisen. Und das wiederum waren allen voran jene Parlamentarier:innen, die als Verwaltungsrätinnen oder Verbandspräsidenten die Interessen von Krankenkassen und Leistungserbringern vertreten.

Abgesehen davon sind es gar nicht die Gesundheitskosten an sich, die die Belastung immer grösserer Teile der Bevölkerung derart verstärken. Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft sind die Ausgaben für das Gesundheitswesen seit 2019 nicht einmal gewachsen. Und gemäss der Konjunkturforschungsstelle der ETH sind sie selbst in realen Zahlen deutlich langsamer gestiegen als die Prämienkosten der Haushalte: 2023 um rund 4 Prozent (gegenüber 6,6 bei den Prämienkosten) und 2024 um voraussichtlich 3,6 Prozent (gegenüber 8,7). 2022 zahlten private Haushalte 53,5 der total 91,5 Milliarden Gesundheitskosten aus den eigenen Taschen (34,5 über Prämien und 19 Milliarden für Behandlungen, die weder durch die Kassen noch durch Steuergelder finanziert sind). Mittlerweile beträgt die durchschnittliche Prämienbelastung eines Haushalts über 14 Prozent seines verfügbaren Einkommens – im Jahr 2000 waren es noch 6,6 Prozent. Das hat auch mit dem krassen Missverhältnis zwischen der Prämien- und der Lohnentwicklung zu tun: Seit 1997 sind die Prämien um 158 Prozent gestiegen, die Löhne dagegen um nur gerade 12 Prozent.

Der Geiz der Kantone

Was genau die Ursachen für diese Prämiensprünge sind, ist nicht einfach herauszufinden. Manche Expert:innen argumentieren, dass die zunehmenden ambulanten Behandlungen dazu beitragen. Diese werden zu 100 Prozent von den Prämien finanziert – gegenüber stationären Behandlungen, die zu 55 Prozent durch Steuergelder und zu 45 Prozent durch Prämien finanziert werden. Eine Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums hingegen attestiert dem Trend zur Ambulantisierung eine kostendämpfende Wirkung. Dennoch hat das Parlament kürzlich eine Motion der ehemaligen Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel angenommen, die die Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen vereinheitlichen will. Mit diesem Modell würden alle Behandlungen neu zu je 73 Prozent durch Prämien und zu je 27 Prozent mit Steuergeldern finanziert.

Pikant ist: Humbel ist Verwaltungsrätin der Concordia-Krankenkasse. Und ihr Modell ist auch deshalb fragwürdig, weil die Kantone rund zehn Milliarden Franken, die heute im stationären Bereich aufgewendet werden, an eine gemeinsame privatrechtliche Einrichtung der Versicherer überweisen müssten. Die Gewerkschaft der öffentlich Angestellten (VPOD) hat deshalb das Referendum ergriffen.

Klar ist: auch die Kantone selbst sind für die hohen Krankenkassenkosten mitverantwortlich. Bislang zahlt ihnen der Bund je 7,5 Prozent der Bruttokosten der obligatorischen Krankenversicherung für Prämienverbilligungen, sie entscheiden selbst, wie viel davon sie weitergeben. Entsprechend gross sind die Unterschiede: In Genf werden 68 Prozent des Bundesbeitrags für Prämienverbilligungen verwendet, in Nidwalden 12 Prozent. Setzt man Prämien- und Bevölkerungswachstum ins Verhältnis, haben siebzehn Kantone die Mittel für die Prämienverbilligungen effektiv gekürzt. So ist die Quote jener, die davon profitieren, innert zehn Jahren von 21,4 auf 17,8 Prozent gesunken. Hinzu kommt: Von den insgesamt 5,4 Milliarden, die Bund und Kanton für Prämienverbilligungen zur Verfügung stehen, wird mehr als die Hälfte für Bezüger:innen von Ergänzungsleistungen (EL) aufgewendet – und damit eigentlich zweckentfremdet.

1994, als mit dem Krankenkassenobligatorium auch die Prämienverbilligungen eingeführt wurden, war das mit dem Versprechen verknüpft, dass kein Haushalt mehr als acht Prozent seines verfügbaren Einkommens für Prämien aufwenden müsse. Auch wenn es noch lange keine Abkehr vom Kopfprämiensystem wäre: Mit dem Ausbau der Prämienverbilligungen, wie es die SP-Initiative vorschlägt, käme die Schweiz diesem Versprechen wenigstens etwas näher.