Israel im Krieg: Angriff auf ein gespaltenes Land

Nr. 41 –

Wer Menschen vergewaltigt, als Geiseln nimmt und massakriert, verteidigt nicht sich selbst, sondern ist ein Verbrecher. Wenn bewaffnete Kämpfer ein Festival überfallen, Jagd auf Zivilist:innen machen, mehr als 200 Feiernde erschiessen, ihr Morden mit der Kamera festhalten und Videos davon in sozialen Netzwerken publizieren, handeln sie unfassbar zynisch. So etwas macht kein Partisan in einem Kampf für eine bessere Welt.

Jene, die die terroristische Schreckenstat in Israel dennoch als einen Akt des Widerstands feiern, haben nichts verstanden. Hier gibt es nichts zu differenzieren und zu relativieren. Denn die Islamisten der Hamas kennen nur ein Ziel: Israel zu vernichten. Den grössten Teil ihrer Ressourcen stecken die Terroristen in genau dieses Vorhaben. Der Hamas geht es nicht darum, das Leben der Palästinenser:innen zu verbessern, sie lehnt eine politische Lösung ab; mit dem Ermorden von Zivilist:innen will sie vielmehr eine friedliche Lösung des Konflikts verhindern.

Doch so wird die Hamas den Staat Israel niemals bezwingen können – das weiss sie auch. Israel verfügt über die mächtigste Armee im Nahen Osten. Innert Kürze hat sie nun 360 000 Reservist:innen mobilisiert. Alles deutet auf eine Bodenoffensive hin. Womöglich will die Hamas sogar genau das, um das israelische Militär in einen Häuserkampf zu verwickeln. Für die Bevölkerung wäre das katastrophal. Derweil hat schon jetzt sowohl auf israelischer als auch palästinensischer Seite die Zahl der Getöteten die Schwelle von tausend überschritten. Das Uno-Hilfswerk UNRWA muss nun mehr als 187 000 Personen im Gazastreifen unterbringen, die vor den Gegenangriffen geflohen sind – all das hat die Hamas einkalkuliert.

Bei jeder militärischen Auseinandersetzung mit Israel zahlten die Palästinenser:innen einen hohen Blutzoll – und verloren weitere Gebiete. Heute ist der Gazastreifen einer der ärmsten Orte der Welt. Fast die Hälfte der über zwei Millionen Palästinenser:innen hier ist jünger als achtzehn Jahre. Viele von ihnen kennen nur die elenden Verhältnisse des gerade einmal 360 Quadratkilometer grossen, dicht besiedelten Gebiets, denn die Ein- und Ausreise wird seit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas 2007 streng kontrolliert. Die jetzt von Israel verkündete Totalblockade von Wasser-, Strom- und Treibstofflieferungen kann zu einer humanitären Katastrophe führen. Der einzige Zugang zu Ägypten ist inzwischen von der ägyptischen Regierung auch geschlossen worden – es gibt kein Entkommen mehr.

Die politische Verantwortung für das Versagen der israelischen Geheimdienste, die vom Angriff überrascht wurden, trägt Premierminister Benjamin Netanjahu. Der Likud-Chef hat mit seiner Politik das Land derart gespalten, dass die Hamas es in einem Moment der Schwäche überfallen konnte. Nun rächt sich, dass der Friedensprozess seit 2014 stillsteht. Seit einem Vierteljahrhundert dominiert Netanjahu die Politik seines Landes. Aber eine ernst zu nehmende Lösung in Sachen Souveränitätsansprüche der Palästinenser:innen konnte er bisher nicht formulieren. Nach den letzten Wahlen im November 2022 quetschte er einen Sieg heraus, indem er die am stärksten rechtsgerichtete Regierung in Israels Geschichte zusammenschusterte. Seine Koalitionspartner sind nicht ansatzweise bereit, Zugeständnisse an die Palästinenser:innen zu machen.

Anstatt zu beobachten, was die Feinde Israels planen, lenkte die rechtsreligiöse Regierung ihre Ressourcen auf die Durchsetzung ihrer antidemokratischen Justizreform, gegen die regelmässig Hunderttausende auf den Strassen demonstrierten. Netanjahu hat jahrelang jede ernsthafte Auseinandersetzung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde vermieden und es vorgezogen, mit der Hamas zu reden. Der selbstsüchtige Regierungschef, der selbst mitten in einem Verfahren wegen Korruptionsvorwürfen steckt, ist im eigenen Land in Bedrängnis.

Netanjahu kündigte «noch nie gesehene» Vergeltung an. Doch sollte die Regierung tatsächlich den Gazastreifen in Blut tränken, würden nur noch mehr Zivilist:innen ihr Leben verlieren, die von der Hamas auch als Schutzschilde missbraucht werden. Auch würde es nicht gelingen, die Strukturen der Hamas auszutrocknen. Die Organisation konnte sich nach militärischen Operationen immer erholen.

Noch steht das Land unter Schock. Doch je mehr Tote es gibt, desto tiefer wird die ohnehin schon erhebliche Spaltung werden, die sich auch durch das Militär zieht. Vor allem die Liberalen im eigenen Land haben genug von dem nicht endenden Konflikt und von den zahllosen Opfern – zumal sich rund 150 israelische Geiseln in der Gewalt der Hamas befinden. Die Hardliner riskieren derweil mit einem kompromisslosen Vorgehen, die Sympathien der Unterstützer:innen im Ausland zu verlieren, und einen Stopp des Friedensprozesses mit Saudi-Arabien. Genau das scheint das Kalkül der Hamas zu sein. Der antiarabische Finanzminister Bezalel Smotrich hat schon vorgeschlagen, kein Mitleid mit den israelischen Geiseln zu haben, um sich so dem moralischen Druck zu entziehen. Das hiesse: Angriff ohne irgendwelche Rücksicht.