Schädliche Anlagen: Wie die Suva alles schlimmer macht

Nr. 41 –

Die Schweizerische Unfallversicherung lässt kein Fettnäpfchen aus: Sie investiert grosse Summen in private Ölkonzerne, den russischen Staatskonzern Gazprom und einen gefürchteten Wohnungsspekulanten.

Illustration: notdürftig reparierte Pipeline

Die Schweizerische Unfallversicherung (Suva) ist mit Abstand die grösste Unfallversicherung der Schweiz und eine öffentlich-rechtliche Einrichtung des Bundes. Sie verwaltet mit 54 Milliarden Franken mehr Geld als jede öffentliche Pensionskasse in der Schweiz. Die WOZ wollte wissen, in welche Finanzanlagen sie dieses Kapital steckt, und hat dafür auf Grundlage des Öffentlichkeitsgesetzes bei der Suva eine Liste sämtlicher Investitionen angefordert. Eine Auswertung der erhaltenen Daten zeigt: Die Suva investiert grosse Summen in Unternehmen, die die Klimakatastrophe befeuern, zur Umweltzerstörung beitragen und soziale Ungleichheiten verschärfen.

Mit dem Fonds durch die Wand

Rund zwanzig Prozent ihrer Gelder investiert die Suva in Anlagefonds externer Anbieter. Auf Rückfrage, in welche Unternehmen diese Fonds wiederum investiert sind, verweigert die Suva genauere Angaben. Sie schreibt, dass sie bei den meisten Fondsanbietern Vereinbarungen unterzeichnet habe, die eine Publikation ebendieser Daten untersagen würden. Klar ist allerdings: Die meisten der berücksichtigten Fonds verzichten auf Nachhaltigkeitskriterien.

Im Fonds «T. Rowe Price – Amplified US Structured Research» liegen mit 670 Millionen Franken am meisten Suva-Gelder. Die Zusammensetzung eines eng verwandten Fonds, der wie dieser den grössten US-Unternehmen folgt, ist öffentlich einsehbar. Dadurch lässt sich errechnen, dass die Suva allein mit diesem Fonds rund 20 Millionen Franken in die fünf weltweit grössten Frackingunternehmen (Exxon Mobil, Chevron, EOG Resources, EQT, Conoco Phillips) gesteckt hat. Ganz öffentlich ist die Zusammensetzung des «Vanguard Pacific ex-Japan Stock Index Fund», der 370 Millionen Suva-Franken verwaltet. Deshalb weiss man nun, dass mehrere Suva-Millionen in Aktien des chinesischen Kohlekraftwerkbetreibers CLP Holdings angelegt sind.

Intransparenz bevorzugt

Die Suva ist erst die dritte grosse Schweizer Sozialversicherung, die ihre Investitionen zumindest in Teilen offenlegt. Es ist unwahrscheinlich, dass sie dies ohne den Druck des Öffentlichkeitsgesetzes getan hätte. Öffentliche Pensionskassen wie jene der Stadt Zürich und jene des Kantons Zürich haben sich bislang erfolgreich gegen eine Offenlegung gewehrt. Die detaillierten Zahlen der Suva-Investments sind unter folgendem Link einsehbar: docs.google.com (Tabelle).

 

Mit den Zahlen konfrontiert, schreibt die Suva, dass es sich beim T.-Rowe-Price-Fonds um einen Indexfonds handle. Solche Fonds hätten zum Ziel, «bestimmte Aktienindizes möglichst genau nachzubilden», und würden «somit keine aktive Strategie in Bezug auf Nachhaltigkeitskriterien verfolgen». Zum Vanguard-Fonds schreibt sie, dass es sich «um einen Publikumsfonds handelt, bei dem die Suva keinen direkten Einfluss auf die Anlagepolitik nehmen kann».

Peter Haberstich, Experte für nachhaltige Anlagen bei Greenpeace Schweiz, widerspricht dem: «Natürlich gibt es auch Indexfonds, die Nachhaltigkeitsstrategien verfolgen.» So etwa jene, die den «Paris-aligned Benchmark» nachbildeten, also versuchten, mit den Zielen des Pariser Klimaübereinkommens kompatibel zu sein, so Haberstich weiter. Dies bestätigen auch Brancheninsider: Es gebe nicht nur eine Fülle an Publikumsfonds, die Nachhaltigkeitskriterien befolgten, Anbieter könnten für institutionelle Anleger wie die Suva auch massgeschneiderte Lösungen entwickeln, die diesen Anforderungen entsprächen.

Angesprochen auf die viel kritisierten Grosskonzerne Exxon Mobil und Chevron, weist Christoph Bianchet, Leiter Finanzanlagen bei der Suva, darauf hin, dass die Suva «Engagement» betreibe. Sie sei Organisationen angeschlossen, die mittels Gesprächen und Briefen Einfluss auf solche Unternehmen nähmen: «Irgendwann kommt der Punkt, wo wir sagen, dass es sich nicht mehr lohnt. Aber dieser Punkt ist bei Exxon Mobil oder Chevron noch nicht erreicht.»

Gerade hinsichtlich Exxon Mobil weist Haberstich allerdings auf die Lernresistenz des Konzerns hin. Seit Jahren gebe es engagierte Versuche der Einflussnahme beim Unternehmen, «doch es weigert sich auf ganzer Linie, seine Geschäftstätigkeit mit dem Pariser Klimaübereinkommen in Einklang zu bringen». Haberstich findet Engagement von Aktionären grundsätzlich sinnvoll. Damit könnten Missstände bei Unternehmen bekämpft werden. Im Fall von Exxon Mobil werde es aber ad absurdum geführt: «Sofern nicht konsequent gegen die verantwortlichen Personen im Verwaltungsrat gestimmt wird und keine ausreichenden Fortschritte aufgezeigt werden können, ist es komplett unglaubwürdig, weiterhin an solchen Konzernen mitzuverdienen und zu behaupten, dass sie verändert würden.» Auf Anfrage war die Suva nicht in der Lage, die von Haberstich geforderten Engagementfortschritte aufzuzeigen.

Mitverdienen an der Wohnungskrise

Während es aufgrund der undurchsichtigen Struktur vieler Anlagefonds letztlich unklar bleibt, wie viele Millionen genau die Suva etwa in Exxon-Mobil-Aktien gesteckt hat, ist ihr Investment im deutschen Immobilienkonzern Vonovia explizit ausgewiesen: Es sind zehn Millionen Aktien im Wert von 200 Millionen Franken. Vonovia ist der Mutterkonzern des Unternehmens Deutsche Wohnen, das vor allem in Berlin die Wohnungskrise vorantreibt. Erst letztes Jahr hat die Berliner Stimmbevölkerung deshalb erfolgreich über deren Enteignung abgestimmt, was die derzeitige Bürgermeisterin jedoch umzusetzen verwehrt.

Die Suva ist mit einer Beteiligung von rund einem Prozent an Vonovia eine der grössten Investor:innen beim Konzern. Das Investment entspricht in keiner Weise der wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens. Auf Anfrage begründet die Suva die grosse Anlage damit, dass sie Vonovia ihrem «indirekten europäischen Immobilienportfolio» zurechne. Die enorme Investition in Vonovia geht also auf den Wunsch der Suva zurück, umfangreich am europäischen Immobilienmarkt mitzuverdienen. Die Enteignungsdebatte in Berlin werde aufmerksam verfolgt, die Risiken einer Vergesellschaftung jedoch für beherrschbar gehalten. Zudem schreibt die Suva, dass die Debatte nicht dazu beitrage, «das Grundproblem des Wohnungsmangels, bei dem ein begrenztes Angebot auf eine steigende Nachfrage trifft, zu entschärfen oder zu lösen».

Millionengewinn mit Gazprom

Rund ein Drittel des Suva-Portfolios machen Obligationen aus, also handelbare Anleihen, die Zinsen abwerfen. Zu den wichtigsten Unternehmen zählen dabei der Londoner Flughafen Heathrow, die Korea National Oil Company oder Gazprom. In sie alle investiert die Suva Dutzende Millionen Franken. Vielsagend ist vor allem der Fall Gazprom.

Ende 2021 hielt die Suva Gazprom-Anleihen im Wert von über 100 Millionen Franken, so viel wie von kaum einem anderen Unternehmen. Statt diese Wertpapiere nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zu verkaufen, behielt die Suva einen grossen Teil davon. So besass sie Ende 2022 noch immer Gazprom-Papiere im Wert von 42 Millionen beziehungsweise Ende Juli 2023 im Wert von 24 Millionen Franken. Auf Anfrage begründet die Suva dies mit ökonomischen Überlegungen. Sie schreibt, dass sie versuche, «für ihre Versicherten einen möglichst hohen Rückführungswert zu generieren», und es deshalb sinnvoller sei, die Anleihen bis zur Fälligkeit zu behalten. Dies verschaffte der Suva seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 Zinserträge von 4,1 Millionen Franken, wie sie auf Anfrage schreibt.

Das eigentliche Problem beginnt aber schon vor dem Februar 2022. Die Suva rechtfertigt den Kauf von zahlreichen Gazprom-Anleihen auf Anfrage mit deren attraktiven Konditionen vor dem Krieg. Dabei war schon damals klar, dass Gazprom als einer der weltweit grössten Öl- und Gaskonzerne die Klimakatastrophe stark vorantreibt. Ausserdem war auch schon bekannt, dass der russische Staat, der Mehrheitsaktionär von Gazprom, systematisch Menschenrechte missachtet, Kritiker:innen verschwinden lässt und die Ukraine seit 2014 militärisch destabilisiert.

Die Suva weist auch im Fall Gazprom auf ihr «Engagement» hin, den Konzern in eine nachhaltigere Richtung zu bewegen. Dies sei im Rahmen ihrer Mitgliedschaft bei der Vereinigung «Climate Action 100+» erfolgt und habe bis 2021 gedauert. Konkrete Details gehen allerdings aus den verfügbaren Unterlagen dieser Vereinigung nicht hervor. Diese mangelnde Transparenz sei, so Peter Haberstich von Greenpeace Schweiz, ein grundsätzliches Problem. Zum spezifischen Fall von Gazprom fügt er hinzu: «Es erschliesst sich mir nicht, wie ein Unternehmen, das zur Mehrheit dem russischen Staat gehört, massgeblich beeinflusst werden kann.»

Grösse bringt Verantwortung

Der Grund für den enormen Umfang der Suva-Gelder liegt im Kapitaldeckungsverfahren, zu dem die Versicherung verpflichtet ist. Die Prämien eines Jahres müssen sämtliche zukünftigen Kosten decken, die Unfälle aus diesem Jahr zur Folge haben. Dies macht die Suva zu einem Milliardenkoloss mit grosser Hebelwirkung: Ihr Treibhausgasausstoss aufgrund ihrer Investments beträgt nach eigenen Angaben 2,2 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr, mehr als doppelt so viel, wie die Stadt Zürich ausweist.

Mit ihrem Vermögen hätte die Suva umfangreiche Möglichkeiten, positiv auf die Wirtschaft einzuwirken. Als öffentlich-rechtliche Anstalt untersteht sie einem Aufsichtsgremium, in dem Gewerkschaften, Unternehmer:innenverbände und der Bund vertreten sind. Auf die Anfrage, ob dieser Suva-Rat im Sinne einer nachhaltigeren Anlagestrategie einzugreifen plane, winkt sein Präsident, der Tessiner Alt-FDP-Regierungsrat Gabriele Gendotti, ab. Der Rat sei davon überzeugt, dass die Suva bereits «einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems» leiste. Dem widerspricht die Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser, die 2022 eine Motion zur Klimawirkung der Suva-Investitionen eingereicht hat. Sie sagt: «Wenn die Suva den Spielraum, den sie hat, nicht nutzt, dann muss sie dazu verpflichtet werden.»

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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