Auf allen Kanälen: Fun ist ein Eisbad
SRF begleitet die Beratungsagentur Zeam auf Geschäftsreise nach Berlin. Das ist auf bizarre Art unterhaltsam.
Ein junger Mann, Unternehmer von Beruf, sitzt mit einem Angestellten in einem Fass voller Eis und atmet schwer, die Stoppuhr läuft seit über sieben Minuten, der Mann sagt, «es ist alles im Kopf», und die Reporterin, die ihn gefilmt hat, blickt kurz darauf direkt in die Kamera und flüstert: «Das ist mir etwas zu esoterisch.» Willkommen in der inzwischen vorletzten Folge von «rec.», dem Reportageformat von SRF, das laut Website über Dinge berichtet, die die Reporter:innen und die Community beschäftigen, für unter 35-Jährige gedacht und tatsächlich auch sehr erfolgreich ist.
Bei «rec.» wollen die Reporter:innen «die Welt zeigen», heisst es bei SRF, und zwar «echt, ohne Filter, aufgenommen im Moment». Das ist mal interessant und gut gemacht, mal eher bizarr, zum Beispiel wenn ein «rec.»-Reporter wie kürzlich ein privilegiertes Mittdreissigerpaar begleitet, das sich entschieden hat, ohne Geld leben zu wollen: «Wir machen da einfach nicht mehr mit.» Man sieht die zwei dann in schicken Häusern wohnen, die ihnen Leute aus ihrem vermutlich begüterten Umfeld vorübergehend zur Verfügung stellen, hört ihnen dabei zu, wie sie von einer «fucking Gefühlsrevolution» fabulieren, die dringlicher sei als Systemkritik, von Problemen, die auf der Yogamatte zu lösen seien, und muss sich anhören, wie sie Obdachlosigkeit als Frage des richtigen Mindsets verhandeln. Ganz nach dem Motto «Homeless? Buy a house, live in it!»
Auf nach Berlin
Aber zurück zur Szene mit dem Eis: Der junge Mann im Eisbad ist nicht Gefühlsrevolutionär, sondern Jo «Dream it, do it» Dietrich, Kogründer der Werbe- und Beratungsagentur Zeam. Die «Gen Z Agentur aus der Schweiz» (Eigenbeschreibung auf Tiktok) ist ein Phänomen. Gefühlt alle Medien haben schon mal über Dietrich, seine Partnerin und Kogründerin Yaël Meier oder ihre Agentur berichtet, meistens als Stimme(n) ihrer Generation. Nun also «rec.». Titel der Folge: «Macht ‹New Work› glücklich? Zwischen Freiheit und Burnout». Die Reporterin fährt darin mit dem Zug nach Berlin, weil das Team von Zeam dort «Workation» (ein Kofferwort aus «vacation» und «work») macht und diese Geschäftsreise als «New Work» verkauft.
Auf dem Hinweg erklärt die Reporterin ihr Erkenntnisinteresse (Machen die dann auch Party?) und trifft das «Zeam-Team» spätabends in der Lobby eines loftigen Hotels. Dort arbeiten die Angestellten gerade, und das werden sie die ganze Zeit über tun, weil – und das zeigt diese Sendung verdienstvollerweise ganz wunderbar – «Workation» komplett entgrenzte Arbeit bedeutet. Sie arbeiten, während (!) sie im Hotel-Gym Gewichte stemmen, sie arbeiten beim Essen, sie arbeiten bis tief in die Nacht, wahrscheinlich arbeiten sie auch im Schlaf. Chef Dietrich erklärt der Reporterin in Sätzen, die er direkt vom Yuppienetzwerk Linkedin geklaut haben könnte, wie viel Freiheit dieses «New Work»-Modell bedeute und wie ausserordentlich die Leistungen seien, die erbracht werden müssten (man habe auch schon «gemeinsam» mit Mitarbeitenden «herausgefunden», dass das nichts für sie sei).
Während man diesen jungen Menschen zuschaut, wird man den Eindruck nicht los, sie wirkten von Tag zu Tag abgespannter, aber ein Mitarbeiter, der seine Lehre abgebrochen hatte, um zu Zeam zu gehen (der Schulabbruch: das biografische Gewinnernarrativ!), versichert, es sei mit der Arbeitsbelastung schon viel schlimmer gewesen. Freiheit!
In aller Herrgottsfrühe
Und dann hat Dietrich, als Überraschung, für sein Team das Eisbaden organisiert, die Mitarbeiter:innen müssen beziehungsweise dürfen in aller Herrgottsfrühe möglichst lange in Kübeln voller Eis ausharren, und wie alles andere wird auch das für die Social-Media-Kanäle von Zeam festgehalten. «Ihr kennt die Bedürfnisse der Generation Z, und ihr kennt die Bedürfnisse der Unternehmen, und das müsst ihr zusammenbringen», hatte Dietrich sein Team zuvor eingeschworen, und er bleibt am längsten von allen im Eisbad. Freiwillig!
Derweil drückt die Reporterin ihre wachsende Entgeisterung über das alles in diplomatischem Unbehagen aus, was zwar nicht die Frage beantwortet, warum neoliberale Horrorpraktiken so viel Aufmerksamkeit erfahren, aber für einmal einen kritischen und unterhaltsamen Blick auf ein Arbeitsmodell wirft, das Freiheit behauptet und Leistungszwang bedeutet. Selbstgewählten natürlich.